Vertrauensverlust

Zunehmendes Bewusstsein für Datenschutz bei der Social Media Week

Social Media haben Einzug gehalten in den redaktionellen Alltag. Damit reagierten die klassischen Medien auf den Medienwandel. Aber der NSA-Skandal hat die Online-Welt verändert: Vertrauen und Glaubwürdigkeit stehen auf dem Spiel. Die Social Media Week sucht nach Antworten und neuen Formen.

„50 bis 60 Millionen Schaden pro Jahr“ erwarte der Branchenverband Bitkom in Deutschland, so dessen Geschäftsführer Bernhard Rohleder während einer Podiumsdiskussion bei der Social Media Week. Der resultiere aus dem „entstandenen Vertrauensverlust“ nach der NSA-Affäre. Der Internetaktivist Jacob Applebaum meinte zu den Ausmaßen der Überwachung: Diese umfasse alle Bereiche des elektronischen Datenaustauschs, auch den bargeldlosen Zahlungsverkehr, Telefonate und Handy-Ortung. Damit sei auch die Integrität von Journalisten gefährdet, etwa wenn eine Reise bargeldlos bezahlt werde oder unterwegs mit dem Handy telefoniert werde. Dann entstehen Datenspuren, durch die sich ermitteln lasse, wer sich wann und wo aufhält; so könnten Rückschlüsse auf den Zweck einer Reise gezogen werden. Zunehmendes Sicherheitsinteresse und Datenschutzbewusstsein kennzeichneten deshalb die diesjährige Social Media Week.

Plädoyer Für Verschlüsselung

„Viele Informanten schweigen nun“, etwa in den arabischen Ländern, berichtete Hauke Gierow von „Reporter ohne Grenzen“ zu den Folgen des vom amerikanischen Geheimdienst NSA angewendeten Überwachungsprogramms PRISM. Informantenschutz erhält eine neue Bedeutung und Datenschutz wird für Journalisten immer wichtiger. Gierow erzählte, der arabische Fernsehsender Al Jazeera habe extra Experten angeheuert, um seinen Journalisten Verschlüsselungstechniken beizubringen. Kryptografie-Nachhilfe für Journalisten gab es auch während der Social Media Week: Sogenannte Crypto-Workshops vermittelten sichere Kommunikationsmethoden wie Off-the-Record Messaging (OTR). Das ist eine verschlüsselte Chat-Möglichkeit, die als besonders sicher gilt, da abgefangene Datenpakete im Nachhinein keinen Sinn mehr ergeben. OTR eignet sich für Gespräche über das Netz und kann Informanten zuverlässig schützen.
Auch „Reporter ohne Grenzen“ plädierte für Verschlüsselung. Noch fielen gerade diese Nachrichten auf, weil sie nur selten vorkämen. Sie seien dadurch besonders interessant für Geheimdienste, weil diese annähmen, nur wichtige Mitteilungen würden verschlüsselt. Aber je mehr Menschen ihre Kommunikation auf diese Art schützen, desto mehr Rechenaufwand erfordere es, einzelne Nachrichten herauszufiltern und zu entschlüsseln.
Social Media verändern weiterhin das journalistische Feld. Korrespondenten werden nicht mehr so häufig in Krisengebiete oder auf Auslandsreportage geschickt. Erste Meldungen von berichtenswerten Ereignissen kommen immer öfter von Menschen vor Ort und tauchen zuerst in den Social Media auf. Aber durch die Zunahme an Bürgerreportern verschwimme der Unterschied zu Berufsjournalisten, so Gierow. In Krisenländern entstünde dadurch ein Vertrauensverlust gegenüber Journalisten.

Übersicht schaffen

Die großen Social-Media-Plattformen wie Facebook und Twitter hätten festgestellt, dass die Auswertung und Interpretation der verfügbaren Inhalte von Menschen nicht mehr zu bewältigen sei, war kürzlich zu lesen. Das junge Berliner Startup „Tame“ trägt dem Rechnung und versucht Übersicht zu schaffen, indem es Twitter-Tweets je nach Kontext, in den Kategorien Inhalt, Themen und Personen ordnet. „Wir wollen sowas wie Google für Twitter sein“, sagte Frederik Fischer, einer der Gründer gegenüber M. Weil Twitter als Nachrichtenkanal zu einer extrem schnellen Verbreitung von Ereignissen führe, würden neue Verfahren benötigt. „Tame“ sei wie eine Twitter-Suchmaschine, die die wichtigsten Themen und Leute herausfiltert. „Im günstigsten Fall braucht man nur noch die Hashtag-Dialoge herunterscrollen und schon erzählt sich die Story“, so Fischer im Gespräch. Die Plattform wende sich vorrangig an Journalisten, PR-Experten und Politik-Berater. Vor einem Jahr als Spin-Off der Humboldt Universität Berlin gegründet, verfüge „Tame“ bereits über einen internationalen Kundenstamm, beispielsweise in Lateinamerika. Auch klassische Medien sind auf das Startup aufmerksam geworden, inzwischen gäbe es Kooperationen mit ZDF, ZeitOnline, Cicero. Zukünftig soll der Dienst auf Facebook ausgeweitet werden.
Nach PRISM bleiben viele Fragen offen. Die Online-Welt wird nicht mehr dieselbe sein wie zuvor. Aber gerade bei der Aufdeckung des NSA-Skandals hat der klassische Journalismus seine Funktion erneut unter Beweis gestellt: Ohne Guardian und New York Times hätten die Snowden-Enthüllungen nicht ihre Wirkung gehabt. 140 Zeichen, die maximale Länge eines Tweets, sind eben nicht immer genug.

Fünf Tage Social Media

Unter dem Motto „Re-Balance“ fand im September in Berlin und acht weiteren Städten die Social Media Week statt. Mehr als 3.000 Interessierte besuchten über 170 Veranstaltungen. Mit dem Motto wolle man die Suche nach einem neuen Gleichgewicht ausdrücken, sagte Pressesprecher Rico Valtin. Dies betreffe genauso die Frauenquote bei den Vortragenden – die dieses Jahr auf 40% stieg – wie auch auf das Verhältnis zwischen staatlicher Netzkontrolle und Schutz persönlicher Daten. Denn während die mobile Social-Media-Nutzung zunehme, verursachten die Snowden-Enthüllungen Unsicherheit und Ratlosigkeit, beschrieb Valtin den diesjährigen Trend.
Alle Veranstaltungen waren kostenfrei, dafür sorgten Sponsoren wie Nokia.

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