Mit allen Mitteln gegen das Internet

Chinesische Regierung befürchtet den Verrat von Staatsgeheimnissen übers world wide web – Todesstrafe angedroht

Mit dem wirtschaftlichen Boom wurde in China auch das Internet ausgebaut. Doch weltweite Kommunikation und unkontrollierte Nutzung von Medien sind den Machthabern in Peking suspekt. Deshalb versuchen die Behörden mit allen Mitteln, die freie Meinungsäußerung im Netz zu verhindern.

Kurz vor Beginn des 16. Parteikongresses der Kommunistischen Partei wurde Liu Di am 7. November auf dem Gelände der Pekinger Pädagogik-Hochschule festgenommen. Anschließend durchsuchten Polizisten die Wohnung der 22-jährigen Psychologiestudentin und beschlagnahmten Notizbücher, Disketten und einen Computer. Sie erklärten einem Dozenten, die Studentin sei wegen Verbindungen zu einer „illegalen Organisation“ inhaftiert worden – offenbar eine Anspielung auf andere Internetnutzer, mit denen sich Liu Di über Diskussionsforen ausgetauscht hatte.

Haft für mutigen Webaufruf

Unter anderem hatte sie unter Pseudonym einen Aufruf zur Unterstützung des im Juni 2000 inhaftierten Computer-Ingenieurs Huang Qi veröffentlicht. Dieser war wegen der Einrichtung einer Menschenrechts-Website des „Versuchs zum Sturz der Regierung“ angeklagt und verurteilt worden. Liu Di schlug vor, sich aus Protest an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Zeit gemeinsam der Polizei zu stellen. Dieser mutige Aufruf ging den Behörden wohl zu weit: Nun also ist Liu Di selbst inhaftiert.

Eine Begebenheit, die sehr eindringlich zeigt, wie zwiespältig das Verhältnis der Behörden in China zum Internet ist. Seitdem es 1995 zur kommerziellen Nutzung freigegeben wurde, wächst der Markt mit einem weltweit beispiellosen Tempo. Heute haben schon rund 46 Millionen Chinesen Zugang zum Netz.

Zugang zu Google gesperrt

Gleichzeitig ist die Regierung darum bemüht, das Angebot immer besser zu kontrollieren. So setzen die Behörden Filter ein und sperren bestimmte ausländische Websites, auf denen regierungskritische Artikel zu lesen sind. Schon lange sucht man in Peking oder Schanghai vergebens nach Adressen wie Human Rights Watch oder von großen westlichen Zeitungen. Ende August blockierten die Behörden schließlich sogar den Zugang zur Suchmaschine Google, um die Nutzer auf lokale Suchmaschinen umzulenken. Gebildet wurde eine Polizeieinheit zur Überwachung des Internets.

Das Ministerium für Staatssicherheit hat außerdem neue Technologien bei den Serviceanbietern installiert, mit denen angeblich jede einzelne E-Mail ausgespäht werden kann. Darüber hinaus sind sämtliche Internetcafés angehalten worden, sich registrieren zu lassen und Kundeninformationen an die Polizei weiterzugeben. Wer dennoch auf Informationen zugreift oder „heikles“ Material verbreitet, riskiert Festnahme und Haftstrafe. Und wer „einen besonders schweren Schaden“ anrichtet, weil er „Staatsgeheimnisse“ im Internet verbreitet, kann sogar zum Tode verurteilt werden.

Inoffizieller Wettlauf

Wie in vielen anderen Ländern gibt es aber auch in China einen inoffiziellen Wettlauf zwischen Behörden und subversiven Surfern. Ist eine Seite gesperrt, finden Hacker und Bastler meist recht schnell Möglichkeiten, die Filter zu umgehen. Dieses Wissen wird in Chat-Rooms oder per Massen-E-Mails, in denen der Absender verschlüsselt ist, verbreitet. Und die E-Mail-Überwachung versuchen kreative Dissidenten so zu umgehen, indem sie zu bestimmten Zeiten ganz viele Daten verschicken, dass eine vollständige Kontrolle gar nicht mehr möglich ist.

Dennoch, das zeigt nicht nur das Schicksal von Liu Di, werden immer wieder Menschen aufgegriffen, die das Internet nicht systemkonform genutzt haben. amnesty international hat Ende November in einem Bericht das Schicksal von 33 Personen dokumentiert. Zu ihnen gehören sowohl politisch engagierte Bürger und Publizisten als auch Angehörige verbotener Organisationen. Eine der längsten Gefängnisstrafen muss der Ex-Polizist Li Dawei verbüßen. Er wurde zu elf Jahren Freiheitsentzug verurteilt, weil er Internetseiten der chinesischen Demokratiebewegung aus dem Ausland herunter geladen hatte. „Wer allein aus dem Grund inhaftiert wird, weil er im Internet seine Überzeugungen oder andere Informationen verbreitet oder Webseiten konsultiert hat, ist ein politischer Gefangener“, sagt Dirk Pleiter, China-Experte der deutschen Sektion von amnesty international.

Verpflichtung zur Zensur unterschrieben

Die Organisation hat auch darauf hingewiesen, dass die chinesischen Behörden Druck auf Internetfirmen ausüben, damit diese selbst eine Kontrolle des Netzes garantieren. Seit August ist eine „Öffentliche Erklärung zur Selbstdisziplin“ wirksam. Darin verpflichteten sich die unterzeichnenden Unternehmen, „keine gefährlichen Informationen zu produzieren, zu veröffentlichen oder zu verbreiten, die die staatliche Sicherheit oder die soziale Stabilität gefährden könnten“. Mehr als 300 Firmen haben die Verpflichtung zur Zensur bisher unterschrieben, darunter auch der weltweit tätige Anbieter Yahoo.

Die Festnahmen von Internetnutzern sind nur ein Aspekt der Einschränkung von Meinungs- und Vereinigungsfreiheit. Dissidenten, unabhängige Gewerkschafter oder Herausgeber parteiferner Zeitungen können in China entweder nur versteckt arbeiten oder müssen ins Ausland oder vielleicht noch nach Hongkong flüchten. Dort ist zurzeit zumindest noch eine eingeschränkte Meinungsfreiheit garantiert.

Putins VetoDer russische Präsident Wladimir Putin hat sein Veto gegen die umstrittene Verschärfung der Mediengesetze des Landes eingelegt (siehe M, 10 -11 und 12 / 2002). Die Duma und das russische Oberhaus hatten die neuen Gesetze unter dem Eindruck des Moskauer Geiseldramas zuvor mit deutlichen Mehrheiten gebilligt. Putin verkündete seinen Einspruch kurz vor einem Treffen mit russischen Chefredakteuren, die mit einem Offenen Brief gegen die Pressegesetze protestiert hatten.

Eine Schlichtungskommission soll den Entwurf jetzt überarbeiten. Bis zu einer neuen Verabschiedung durch das Parlament kann das neue Mediengesetz nicht in Kraft treten. Es soll die Berichterstattung über Anti-Terror-Maßnahmen erschweren. Russische Journalistenverbände werten das als Versuch, die kritische Berichterstattung über den Tschetschenien-Krieg nach Moskauer Lesart auch eine Terrorbekämpfung – zu unterbinden. Auch im Ausland hatte die Reform zahllose Proteste hervorgerufen.

 

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