Stärker Flagge zeigen

1. Bundeskonferenz der dju in ver.di in Halle für offensivere Gewerkschaftspolitik

Ein Kongress ohne große Kontroversen und mit vielen einmütigen Beschlüssen: Das war die erste Bundeskonferenz der dju seit ihrem Aufgehen in ver.di. Die dju beschloss eine Charta für journalistische Qualität. Die Tarifpolitik soll offensiver, die Lage der Freien verbessert werden. Die 80 Delegierten diskutierten in Halle an der Saale auch über Medienvielfalt, Pressefreiheit und Arbeitsbedingungen im In- und Ausland. Sie verlangten, den Tendenzschutz abzuschaffen und die Urheberrechtsform in die Praxis umzusetzen. Und sie warnten nachdrücklich vor einem Irak-Krieg.

„Auch wenn heute Aschermittwoch ist: In Sack und Asche müssen wir nicht gehen“. So hatte der kommissarische Bundesvorsitzende Manfred Protze am Eröffnungstag die fünfjährige Vorstandsamtszeit bilanziert. Dabei deutete er die schwierigen Rahmenbedingungen an: zum einen der vorzeitige Ausstieg der regulären dju-Vorsitzenden Franziska Hundseder aus privaten und beruflichen Gründen und „andere Verluste unter Beisitzern“. Zum anderen: „Einen Großteil unserer Arbeitzeit hat der ver.di- Fusionsprozess gefressen“. Im ausführlicheren schriftlichen Rechenschaftsbericht heißt es dazu, die Transformation sei jahrelang das beherrschende Thema gewesen und habe beim dju-Bundesvorstand wie auch bei vielen Mitgliedern kaum Begeisterung aufkommen lassen. Doch „nach Lage und Perspektive von Mitgliederzahlen und materiellen Ressourcen“ habe es keine Alternative gegeben.

Als Beispiel für erfolgreiche Neuerungen nannte Protze die Strategiekonferenz 2001, auf der Vorstand und Bundesgeschäftsstelle mit Hilfe von Moderatoren ein laufend fortgeschriebenes und überprüfbares Arbeitsprogramm mit genauen Aufgabenzuweisungen entwickelten – die „Agenda 2002 der dju“. Gut angelaufen sei ebenso das Hochschulprojekt: An zehn Schwerpunkt-Orten zeigt die dju mit Vorträgen und Workshops Präsenz, um den Nachwuchs frühzeitig mit der Gewerkschaft bekannt zu machen („M“ 1 – 2 / 2002; „M“ 1 – 2 / 2003). Die Bundeskonferenz setzte sich dafür ein, das Projekt als Regeleinrichtung fortzuführen.

Auch sonst handelte die dju-Spitze verstärkt nach der Devise „Flagge zeigen“ – etwa mit Auftritten bei Podiumsdiskussionen oder mit den jährlichen Journalistentagen, zuletzt zum Thema „Wozu noch Recherche?“. Damit, meinte Protze, habe die dju bewiesen, dass sie mehr sei als eine reine Berufsorganisation; sie übernehme auch gesellschaftliche Verantwortung.

Glaubwürdigkeit der Medien gefährdet

Natürlich kamen in der Rede die Verleger nicht ungeschoren davon: Sie würden wie selbstverständlich davon ausgehen, dass die Beschäftigten jede Gehaltsanhebung selbst finanzieren müssten – durch Einschnitte an anderer Stelle. Arbeitslose würden „als Geiseln genommen“, um die Arbeitenden unter Druck zu setzen. Hinzu komme die schamlose „Selbstkannibalisierung in den Redaktionen“, also das „gnadenlose Ausspielen der jungen Kollegen gegen die alten und umgekehrt“. Protze appellierte an die Solidarität der Kolleginnen und Kollegen. Und sie sollten sich für journalistische Qualität einsetzen. „PR-Schreibtische und Redaktionsschreibtische rücken immer mehr zusammen“, klagte er. Das sei „eine Art Selbstmordprogramm“, ein „Erosionsprozess“, der die Glaubwürdigkeit der Medien gefährde.

In der zunächst zäh anlaufenden, aber dann immer lebhafteren Debatte verteidigten manche Delegierte die PR-Arbeit, solange sie sauber vom Redaktionellen getrennt werde. Der für internationale Zusammenarbeit zuständige Wolfgang Mayer warf dem „deutschen Medienkapital“ vor, schon im Inland Sozialdumping zu betreiben; „oft sogar menschenunwürdig“ seien aber die professionellen und menschlichen Standards bei den von ihnen aufgekauften Zeitungen „zwischen Polen und Bulgarien“.

In vielen Diskussionsbeiträgen schwang Enttäuschung und Ratlosigkeit mit. Etliche Freie, so klagte eine Delegierte, arbeiteten zu Dumpingpreisen, und viele Redakteure ließen sich zum „Produktionsvieh“ degradieren, ohne sich zu wehren. Stattdessen „reden sie den Verlegern nach dem Mund“.

Geringere Aktionsfähigkeit in den Betrieben

„In den zentralen tarifpolitischen Fragen sind wir gescheitert.“ Diese schonungslose Bilanz zog dju-Bundesvorstandsmitglied Malte Hinz. Vor allem der „defensive Politikansatz“ sei dafür verantwortlich, aber auch die nachlassende Aktionsfähigkeit in den Betrieben. Wegen mangelnder Kampfkraft werde sich die dju wohl auch auf das magere Arbeitgeber-Angebot beim Gehaltstarifvertrag für Tageszeitungsredakteure einlassen. „Trotz geballter Faust in der Tasche“, so der hessische Mediensekretär Manfred Moos, bleibe nichts anderes übrig. Andernfalls würden die Verleger den tariflosen Zustand verstärkt für Neueinstellungen weit unter Tarif nutzen.

Kampagne für Manteltarif

Offensiver will ver.di den Streit um den Manteltarifvertrag für Tageszeitungsredakteure führen. „Wir wollen unsere eigenen Vorstellungen über Qualitätsjournalismus einbringen“, sagte Tarifsekretär Matthias von Fintel. Hinz nannte als Forderungen unter anderem auch Antrittsgelder für Samstagsdienste und einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung. Die Bundeskonferenz forderte Vorstand und Tarifkommission dazu auf, schnell eine solche „Manteltarif-Kampagne“ zu entwickeln.

Mehrfach wurde in der Diskussion der Wunsch laut, dass die dju bei Tarifkämpfen mehr Unterstützung von anderen Fachgruppen oder sogar der gesamten Gewerkschaft bekommen müsste. Beschlossen wurde, dass zumindest mit den Fachgruppen Druckindustrie / Zeitungsverlage sowie Verlage / Agenturen die wichtigsten Tarifforderungen koordiniert werden sollen.

Die Tarifrunden für Redakteure und arbeitnehmerähnliche Freie sollen „künftig stets gemeinsam geführt“ und Abschlüsse für die Festangestellten erst dann unterschrieben werden, „wenn auch gleichzeitig angemessene Tarifanpassungen für Freie ausgehandelt wurden“. Nachdrücklich setzt sich die dju für die Durchsetzung von Vergütungsregeln für freie Journalisten und Fotografen ein, wie sie durch das neue Urheberrecht möglich geworden sind.

Die Kongressteilnehmer erhoben auch energisch ihre Stimme gegen einen drohenden Irak-Krieg. Alle Medienschaffenden seien aufgefordert, bei diesem Thema „die ethischen und handwerklichen Regeln strikt zu beachten.“ Das gelte vor allem für die Pflicht zur Wahrhaftigkeit, die „professionell gebotene Distanz zu den Konfliktparteien“ und das transparente Darlegen der Quellen. In einer zweiten Resolution aus Niedersachsen / Bremen unter dem Motto „Krieg ist keine Lösung! Krieg ist ein Verbrechen!“ wurde verlangt, dass die USA im Ernstfall nicht ihre Einrichtungen in Deutschland nutzen dürften und dass die Bundeswehr aus Afghanistan und dem vorderen Osten zurückkehren müsse.

Bei aller Ernsthaftigkeit kam in Halle der Spaß nicht zu kurz. Bundesgeschäftsführerin Ulrike Maercks-Franzen präsentierte ein Zeitungsfoto von 1970 mit Manfred Protze als Studentensprecher unter einem Saal-Transparent: „Übt Revolutionäre Selbstdisziplin! Keine …“ – der Rest war abgedeckt, damit sich die Delegierten an einem Wettbewerb für den schönsten Slogan beteiligen konnten. Die Vorschläge reichten von „Keine Fisimatenten“ bis „Keine Kopulation mit Klassenfeinden!“. Prämiert wurden die Sprüche „Keine Vorstandsposten vor 2000!“ (bezogen auf die Karriereplanung von 1970) und „Keine Interviews mit Journalisten!“ Das Original ging übrigens so weiter: „Keine Zigaretten auf den Teppich!“

 

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