Journalistischer Ausnahmezustand

Nach den Terroranschlägen auf die USA hat die Kriegsrhetorik in deutschen Redaktionen Konjunktur

Die apokalyptischen Reiter sind los. In deutschen Zeitungshäusern und Sendeanstalten haben die barbarischen Terroranschläge auf die USA eine heillose Hybris ausgelöst. An den Schreibtischen hat der Superlativ die Besonnenheit ersetzt. „Machen wir uns nichts vor, es ist der dritte Weltkrieg“, dröhnt „Bild“. Auf dem Titelblatt, wo sonst die Spindluder herumlungern und Käufer ködern, frömmeln plötzlich die Bengel vom Boulevard: „Großer Gott, steh uns bei“. Der Springer-Journaille ist nichts mehr heilig. Vorn im „Bild“-Signet werden von dem Fachblatt für politischen Anstand die Stars-and-stripes gehisst, hinten komponiert Hausdichter Franz-Josef Wagner ein „Requiem für New York“: „Wer sich zu Dir retten konnte, war gerettet. Und nun müsst ihr euch selber retten.“ Nur: Wer rettet Wagner?

Und der Springer-Verlag belässt es nicht bei Lippenbekenntnissen. Keine 24 Stunden nach den Terroranschlägen hat der Zeitungs-Multi die Unternehmensgrundsätze und damit implizit die Arbeitsverträge seiner Mitarbeiter eilig geändert und um die „Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten“ stiekum ergänzt. Ein eiskalter Coup. Wer mag dagegen schon aufbegehren in dieser trutzigen „Wir-sind-alle-Amerikaner“-Stimmung? Befürchtungen, die Meinungsfreiheit im Hause Springer werde durch diesen Passus eingeengt, zerstreut dessen Aufsichsrat Ernst Cramer wortreich: „Wir behalten unsere kritische journalistische Brille auf.“ Was heißt hier behalten?


Keine Kriegsrhetorik – und die Meinungsvielfalt nicht beschädigen!


 

Dabei haben keineswegs nur Springer-Redakteure ihre kritische Brille längst abgelegt in Zeiten des journalistischen Ausnahmezustands. Statt kühler Analytiker geben heiße Krieger den Ton an. Manche Redaktionszentrale mutiert in diesen Tagen zum militärischen Kommandostab. TV-Moderatoren beschwören den „Kampf der Kulturen“, Kommentatoren schwadronieren vom „Kreuzzug“ gegen das „Reich des Bösen“; unverhohlen plädieren sie für einen „massiven Vergeltungsschlag“, zählen den „Countdown“ zum Konter an.

Die Kriegsrhetorik hat Konjunktur. Das Berliner Boulevardblatt „B.Z“, eine „Bild“-Schwester aus dem Hause Springer, liefert ihren Lesern in großer Graphik die objektiv günstigsten Aufmarschpläne für einen US-amerikanischen Gegenschlag auf Afghanistan. „So fließend können die Übergänge zwischen menschlicher Empörung und geistiger Mobilmachung sein“, staunt selbst die „taz“. Dagegen nehmen sich die meisten amerikanischen Journalisten geradezu besonnen aus, wie Autor Klaus Harpprecht beobachtet: „Waren nicht die Stimmen der Moderatoren und Kommentatoren von CNN ein bewegendes Zeugnis der Vernunft, der Ruhe, der klugen Professonalität – im Gegensatz zu der so hilflosen Hysterie, von der unsere deutschen TV-Helden gebeutelt waren.“

Als die US-Regierung noch unsicher über mögliche Hintermänner der Terroristen spekuliert, haben deutsche Zeitungen Ussama Bin Laden längst als Hauptdrahtzieher der Terroranschläge überführt und steckbrieflich auf ihren Titelseiten als „Fratze des Terrors“ zur Fahndung ausgeschrieben. Selbsternannte Terrorismus-Experten und skurrile Islamforscher bevölkern die Fernsehstudios. Erkenntnisse aus den trüben Quellen der Verfassungsschützer werden in den Nachrichten-Sendungen mit der Gewissheit amtlicher Börsenkurse verkündet. Recherche hat Ruh‘.

Jede Regionalzeitung, die etwas auf sich hält, schickt ihre Reporter in die benachbarten Muslimenzentren aus. Keine Moschee ist offenbar klein genug, um nicht hinter ihren Mauern großen Unrat zu wittern. Da bleiben journalistische Enttäuschungen nicht aus, wenn die vermeintlichen Fußtruppen des „Heiligen Krieges“ nur mit einem Koran bewaffnet sind. „Also alles harmlos, alles im grünen Bereich?“, fragt der Rechercheur der „Rheinischen Post“ – und insinuiert das glatte Gegenteil -, nachdem er bei seinem Besuch im „Islamischen Zentrum“ von Münster-Hiltrup keine leibhaftigen Terroristen angetroffen hatte.

Die Warnungen renommierter Islamwissenschaftler vor dem „hohen Emotionalisierungsgrad“ der Medien gehen als kleine Zehnzeiler in der Nachrichtenflut unter. Muslime, Fundamentalisten, Terroristen – alles ist einerlei. Wer mag noch differenzieren bei der Inflationierung des Infernos? Wieder und wieder werden in den unzähligen Sondersendungen jene Sequenzen heran gezoomt, auf denen jene unglaublichen Sekundenbruchteile zur Ewigkeit erinnen… als die Kamikaze-Terroristen mit den entführten Passagiermaschinen in die Türme des World Trade Centers fliegen. Nicht selten folgen darauf die Bilder jubelnder Palästinenser-Kinder aus dem Westjordanland. Kalkül statt Zufall? Wir haben verstanden: Powered by emotion.

Der deutsche Quotenkrieg als Nachhutgefecht des Weltterrors. „Ein neues Kapitel in puncto Newskompetenz“ habe sein Sender aufgeschlagen, triumphiert RTL-Informationsdirektor Hans Mahr in einem Rundruf an die Medienredaktionen – zu einem Zeitpunkt, als die Toten unter den Trümmern von Manhattan nicht einmal geborgen sind. Soviel unmenschliche Quotengeilheit schaudert die FAZ: „Selbst in dem Moment, von dem wir sagen dürfen, er habe einen Ausblick auf die Apokalypse gewährt, haben sie nichts Besseres zu tun, als zu rechnen, zu schieben, zu drücken, sich zu loben und die anderen zu bemäkeln.“

Auch in Krisen- und Kriegszeiten bleiben journalistische Grundregeln und Lehrsätze in Kraft, wie sie der 1995 verstorbene Fernseh-Journalist Hanns Joachim Friedrichs seinem Berufsstand hinterlassen hat: „Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentlicher Betroffenheit versinken.“ Bisweilen lohnt es durchaus, ein altes Kapitel in puncto Newskompetenz aufzuschlagen.

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