Soziale und professionelle Rechte von Journalisten in der europäischen Debatte
Die Verleger schossen mit schwerem Geschütz: Mit scharfen Worten und intensivem Lobbyismus versuchten sie, im Europaparlament speziell die Medienbranche aus der EU-Richtlinie zum Gesundheitsschutz für Selbständige heraus zu katapultieren. Die Europäische Journalisten- Föderation EJF konterte ebenso massiv und konnte die Abgeordneten überzeugen – die „Freien“ Journalisten und Journalistinnen blieben durch die Direktive mit berücksichtigt. Das muss nun in der nationalen Gesetzgebung aller EU-Mitgliedsländer umgesetzt werden.
Nur wenigen Kolleginnen und Kollegen ist wohl klar: In Brüssel und Straßburg werden entscheidende Weichen auch für ihre Arbeitsbedingungen gestellt – dabei geht es um soziale ebenso wie um professionelle Rechte. Manches ist fast beiläufig in Richtlinien versteckt. Ein Beispiel: Das Zeugnisverweigerungsrecht. Das soll in einer neuen Richtlinie verankert werden, die die Umsetzung der bereits verabschiedeten Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft vorantreiben wird. Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe von „M“ ist darüber zwar noch nicht endgültig abgestimmt, aber die Chancen stehen gut, dass das Zeugnisverweigerungsrecht hier abgesichert wird – im Konfliktfall kann das für Journalisten und Journalistinnen in Deutschland sehr hilfreich sein.
Geduld und Lobby-Arbeit
„Man braucht sehr viel Geduld in Brüssel“, sagt Renate Schroeder, European Director der EJF. Denn der Gesetzgebungsprozess ist auf europäischer Ebene sehr viel komplizierter als auf nationaler. Manchmal dauert es bis zu zehn Jahren, bis eine Direktive alle Instanzen passiert. Um den Text der EU-Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft, die Autoren eine „angemessene Vergütung“ zuspricht, wenn ihre Texte oder Bilder ins Internet gestellt werden, stritten die Beteiligten länger als fünf Jahre. Beim laufenden Gesetzgebungsverfahren zum Urheberrecht in Deutschland wird im Parteiengezänk kaum vermittelt, dass die EU-Richtlinie den Auslöser gab.
Die Lobby-Arbeit der EJF und die Mitgliedschaft der dju in der EJF ist eine Voraussetzung dafür, dass die Interessen auch von deutschen Journalisten und Journalistinnen gewahrt bleiben. Die Arbeit ist nicht einfach. „Man muss frühzeitig mitbekommen, wenn eine Gesetzgebung in Brüssel vorbereitet wird und Mitsprache reklamieren; das funktioniert dann auch“, sagt Renate Schroeder. Vom Europaparlament in Straßburg, das die Richtlinien am Ende absegnet, können zwar immer noch „wichtige, aber eher kosmetische Änderungen“ vorgenommen werden. Die allgemeinen Leitlinien werden vorher in den 22 Generaldirektionen der EU in Brüssel ausgeheckt. Bei Fragen zu den Medien mischen acht verschiedene Direktionen mit – nicht nur jene für Kultur und Bildung oder für Justiz, auch jene für den Binnenmarkt, für Wettbewerb oder die EU-Erweiterung.
Immer wieder tauchen neue Gegner auf. Bei der Vorbereitung der genannten Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft beispielsweise musste sich die EJF nicht nur mit den Verlegerverbänden, sondern auch mit den Interessenvertretern der Softwarebranche und mit den großen Telekommunikationskonzernen sowie mit den Kabelnetzbetreibern auseinander setzen. „Die wollten alle das amerikanische Prinzip, dass die Verbreitung von Inhalten nichts kosten soll“, erklärt Renate Schroeder. Natürlich standen ebenso verschiedene Verbraucherorganisationen auf der Matte, die für sich Sonderregelungen festgeschrieben haben wollten.
Gewerkschaftsbündnisse
Die EJF ist mit ihren Bemühungen in Brüssel und Straßburg nicht allein, sondern eingebunden in das Netzwerk des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB). Die Direktiven, um die sich der EGB bisher erfolgreich bemühte, betreffen Regelungen zur Bildschirmarbeit und zur Teilzeit ebenso wie solche zur Zeitarbeit, zum Mutterschutz und zur Telearbeit – Themen, die auch Journalisten und Journalistinnen betreffen können. „Es gibt eine gute Arbeitsteilung zwischen EJF und EGB“, stellt Renate Schroeder fest.
Einer der Schwerpunkte der künftigen Arbeit nicht nur auf nationaler, sondern eben auch auf EU-Ebene werden die Belange der Freien sein. Renate Schroeder: „Noch vor wenigen Jahren hieß es bei der EU-Kommission: Damit haben wir nichts am Hut. Seit 1997, und seit die Mitgliedsregierungen der EU das Mandat gaben, sich auch um Beschäftigungspolitik zu kümmern, wissen auch die Kommission und die betroffenen Generaldirektionen, dass hier Handlungsbedarf besteht“.
Mit Spannung wird ein angekündigtes „Grünbuch“ zum Schutz der arbeitnehmerähnlichen Freien erwartet, das die Kommission 2005 veröffentlichen will. Die EJF ist bei den Vorbereitungen eingebunden. So hat die Kommission zugesagt, die Ergebnisse einer EJF-Studie zum Thema „Freie“ einzuarbeiten. Sie entstand unter Mitarbeit des Hauptvorstandsmitglied Gerd Nies der Ex-IG Medien (M 10/2003 berichtete) und wird in diesen Tagen in die Webseiten der EJF (www.ifj-europe.org) eingestellt.
Ein weiteres wichtiges Thema bleibt die EU-Erweiterung. Die konkrete Zielsetzung ist, dass die vorhandenen EU-Standards zu sozialen und professionellen Rechten auch in den neuen Mitgliedsstaaten umgesetzt werden müssen. Derzeit versuchen vor allem deutsche Verlage wie die WAZ, in diese Länder zu expandieren, und dort nach Wildwestmanier Sozialdumping zu betreiben – als mögliche Spielwiese, um danach auch auf dem Heimatmarkt Standards zu senken. Die dreisten Forderungen der deutschen Verleger bei den ersten Tarifgesprächen für Journalisten an Tageszeitungen geben dazu einen Vorgeschmack.
Europäische Betriebsräte in Medienkonzernen
Laufende Seminare der EJF helfen den Mitgliedsgewerkschaften in den neuen EU-Staaten im ersten Schritt, über die Standards im Westen und die Strategien zur Umsetzung Informationen zu bekommen. Dabei arbeitet die EJF mit dem zuständigen EU-Kommissar Günter Verheugen zusammen. Priorität haben ferner die Bemühungen, auch in den Medienkonzernen Europäische Betriebsräte zu bilden, um Informations- und Konsultationsstrukturen zu schaffen. Um die Betroffenen zusammen zu bringen, sind ebenfalls finanzielle Zuschüsse bei den zuständigen EU-Stellen beantragt.
Ein weiteres wichtiges Thema bleibt das Urheberrecht – zumal die verantwortliche Generaldirektion dazu weitere Richtlinien angekündigt hat. So soll es eine Direktive zu den „Geschäftsmodellen“ der Verwertungsgesellschaften geben. Da geht es am Ende um viel Geld für die Autorinnen und Autoren. Wegen der Bedeutung dieses Themas ist bei der EJF eine eigene Webseite (www.authorsrights.org) und eine eigene Planstelle dazu eingerichtet, die die dju gesondert mitfinanziert. Die Kollegin Pamela Morinière ist ständig am Ball, um sich für die Interessen eben auch der deutschen Kollegen und Kolleginnen einzusetzen.
Bei manchen Themen ist die EJF in Allianzen eingebunden. Dabei können in Einzelfällen die Verlegerverbände Partner sein. Das war bei der Richtlinie zum „Marktmissbrauch“ in den Finanzmärkten der Fall, die in diesem Jahr in Kraft trat. Nach dem ursprünglichen Text waren Finanzjournalisten – aber nicht nur sie – gefährdet, sich durch die bloße Weitergabe von Informationen – zum Beispiel durch börsennotierte Firmen, die sich später als falsch herausstellen können – strafbar zu machen. Das konnte durch gemeinsame Bemühungen gekippt werden.
Eine weitere „Baustelle“ entsteht durch die Absicht der EU-Kommission, die bestehende Richtlinie zum „Fernsehen ohne Grenzen“ zu novellieren. Hier werden Konzentrationserscheinungen und der Schutz von Pluralismus in den Medien zur Debatte stehen.
Resolution für Redaktionsstatute
In der Öffentlichkeit wenig Beachtung findet die Einmischung des Europäischen Ministerrates. Insgesamt verabschiedete der Europarat seit 1970 mehr als 100 Erklärungen, Resolutionen und Empfehlungen, die die Medien direkt betreffen. Manche dieser Dokumente stützen die Rechte und Interessen von Journalisten, andere sind eher fragwürdig. Nach der Resolution Nummer 1003 der Parlamentarischen Versammlung beim Europarat aus dem Jahre 1993 müssten eigentlich landauf, landab Redaktionsstatute funktionieren. Die genannte Resolution zur „Ethik des Journalismus“ besagt: Unabhängig von den „normalen“ Arbeitsbeziehungen sind im Zeitungsgeschäft Regeln für die Beziehungen zwischen den Journalisten, den Herausgebern und den Besitzern aufzustellen.
Eine Empfehlung des Europäischen Ministerrates zur „Förderung kultureller Toleranz“ vom Oktober 1997 liefert eine konkrete Vorgabe für die Journalistenausbildung. Journalistenschulen und andere entsprechende Ausbildungseinrichtungen sollten demnach Kurse im „Kernprogramm“ haben, wie Medien zum besseren Verständnis zwischen ethnischen, kulturellen und religiösen Gemeinschaften beitragen können. In der Debatte um Maßstäbe für die Journalistenausbildung ist das ein interessanter Aspekt.
Vom gleichen Jahr datiert eine Empfehlung des Ministerrates gegen „Hassreden“. Insbesondere Politiker haben demnach eine besondere Verantwortung, auf solche Reden zu verzichten.
Natürlich bleibt die Frage offen: Hätte Silvio Berlusconi, derzeit EU-Präsident, auf seine bekannten Beschimpfungen von Journalisten, Richtern und Abgeordneten verzichtet, wenn er von der Empfehlung gewusst hätte?
Der Unterschied zu EU-Richtlinien ist: Solche Empfehlungen müssen nicht zwingend in nationale Gesetzgebung umgesetzt werden. Das ist bezüglich der zuletzt genannten Empfehlung zweischneidig. Der Ministerrat empfiehlt ausdrücklich, auf nationaler Ebene Gesetze gegen Hassreden zu verabschieden. Das würde solche Reden leichter strafbar machen. Empfohlen wird aber zugleich, dass in einem solchen Gesetz die „Rolle der Medien“ definiert werden soll – was dem Prinzip der Selbstregulierung (in Deutschland durch den Presserat) widersprechen würde.
Nicht ohne Wirkung
In den Expertengremien des Europarates, in denen auch die EJF vertreten ist, steht aktuell unter anderem die „Freiheit der politischen Debatte in den Medien“ und die „Meinungs- und Informationsfreiheit im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den Terrorismus“ auf der Tagesordnung. Egal, ob die EU-Kommission, das Europaparlament oder der Europarat medienrelevante Empfehlungen oder Richtlinien zum Thema haben – „es wird in den kommenden Jahren auf der internationalen Ebene noch vieles entschieden, das in die Redaktionsstuben hineinwirkt“, sagt Renate Schroeder.