„Überheblich und selbstgefällig“

Urteil wegen Urheberrechtsverletzung und Rufschädigung gegen „Kölner Stadt-Anzeiger“ rechtskräftig – 10.000 DM Schmerzensgeld

Erstmalig hat ein Gericht freien Autoren Schmerzensgeld wegen Urheberrechtsverletzung und Rufschädigung zugesprochen. Ein wegweisendes und mutmachendes Urteil gegen den mächtigen Verlag M.DuMont Schauberg („Kölner Stadtanzeiger“) mit, so das Kölner Amtsgericht, „Buß- und Präventivcharakter“.

Was unterscheidet „Dünste“ von „nicht riechbaren Gasen“? Das eine ist das Gegenteil vom anderen. Wenn das eine durch das andere ersetzt wird, bedeutet das in der Sprache des Amtsgerichts Köln „einen krassen sachlichen/wissenschaftlichen Fehler“. Dies ist nur ein Beispiel von 82 (in Worten: zweiundachtzig) Änderungen, Ergänzungen und Kürzungen durch den verantwortlichen Ressortleiter des „Kölner Stadtanzeiger“, die die Autoren Werner Rügemer und Erasmus Schöfer nach der Lektüre ihres Artikels in der Wochenendbeilage „Moderne Zeiten“ vom 10./11. August 1996 zählten.

Der Beitrag über das Kölner Abwassersystem war von der Redaktion als Reaktion auf ein Hörfunk-Feature zum selben Thema bei den einschlägig als Experten ausgewiesenen Journalisten bestellt worden. Wegen des laut Ressortleiter „stark unterhaltenden Charakters“ der „Modernen Zeiten“ lieferten die Autoren ein stark überarbeitetes Manuskript – zudem sehr frühzeitig und um einiges kürzer als verlangt, um Streichungen unnötig zu machen. Es nutzte ihnen nichts: Alles andere als unterhaltsam war für sie, was unter dem lyrischen Titel „Der Weg allen Wassers“ (statt „Venedig der Chemie: Die verborgenen Wege des Kölner Abwassers“) gedruckt wurde. Illustriert war das Werk mit einer sehr bunten, aber sachlich den Tatsachen völlig entgegenlaufenden Grafik. Ganz verzichten wollte der Ressortleiter freilich auf die Kompetenz der Autoren doch nicht und wies in einer Fußnote darauf hin, daß „Werner Rügemer Mitglied der ,Abwassertechnischen Vereinigung‘ (ATV) und Autor des Buches ,Staatsgeheimnis Abwasser‘“ sei. Eine wichtige Winzigkeit. Denn gerade dieser Hinweis auf Fachkompetenz veranlaßte das Gericht, die Verfälschungen im Text als rufschädigend einzustufen.

Der Schaden war tatsächlich beträchtlich. Statt der von diesen Autoren zu erwartenden Fakten gab es Beilagenpoesie, statt begründeter Kritik vorgebliche Ahnunglosigkeit. Rügemer und Schöfer verlangten eine Richtigstellung (die bis heute nicht veröffentlicht wurde), der Verlag gab immerhin eine Unterlassungsverpflichtungserklärung ab, der deutsche Presserat einen (folgenlosen) tadelnden Hinweis. Die Autoren klagten folglich auf Rufschädigung und Schadenersatz wegen gravierender Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts, lehnten wohlmeinende Ratschläge auch aus der eigenen Gewerkschaft auf Annahme eines ersten Vergleichsvorschlags (mit Stillschweigensverpflichtung) ab und bekamen nun Recht auf der ganzen Linie.

Das Amtsgericht begründete sein historisches Urteil akribisch mit Beispielen aus der Änderungsliste: „Bei der Originalpassage ,Was mit Tausenden von Chemikalien geschieht… – es wird nicht gemessen‘ findet sich bei der Veröffentlichung plötzlich der Zusatz ,es kann nicht gemessen werden‘ und damit ebenso eine inhaltliche (Unterstreichung im Urteil) Abänderung wie im vorletzten Satz des Artikels, in dem es statt ,Niemand hat es bisher genau gemessen und erforscht‘ nunmehr im Abdruck ,niemand weiß es‘ heißt … Tatsächlich handelt es sich dabei … um schwerwiegende inhaltliche Eingriffe in den Originaltext der Kläger, durch die deren wissenschaftliche Aussagen entstellt und teilweise sogar in ihr Gegenteil verkehrt werden.“ Die „inhaltlichen Abänderungen (hätten) nichts aber auch gar nichts mit dem vorwiegend unterhaltenden Charakter der Wochenendbeilage zu tun.“ Denn „die Aussage, daß etwas (aus Nachlässigkeit) nicht bemessen wird oder aber (wegen Unmöglichkeit) nicht gemessen werden kann, ist für den Leser von absolut identischem Unterhaltungswert.“

Das Urteil könnte für viele freie Autoren zum Präzedenzfall werden: Denn das Gericht stellt fest, es sei nicht hinnehmbar, daß der „Kölner Stadtanzeiger“ „eigenmächtig Manuskripte von Gastautoren in erheblichem Umfang nicht nur – was schon bedenklich genug wäre – ,glättet‘ und ,blumiger‘ gestaltet, sondern darüber hinaus sogar in den inhaltlichen Aussagen verändert“. Die Rufschädigung und der immaterialle Schaden steht für das Amtsgericht außer Zweifel: „Ihr anspruchsvoller und aufrüttelnder Fachartikel hat durch die Abänderungen seitens des ,Kölner Stadtanzeiger‘ nicht nur einen verniedlichenden und ,locker-flockigen‘ Anstrich erhalten, sondern zeichnet sich nunmehr auch durch krasse inhaltliche Fehler negativ aus, was beides zumindest in Fachkreisen auf Unverständnis stößt.“ 10000 DM Schmerzensgeld seien angemessen.

Das Gericht rügte zudem dezidiert das „Verschulden“ des Ressortleiters Rolf Hoppe, – als die Klage längst lief, wurde er 1997 mit dem „Theodor-Wolff-Preis“ ausgezeichnet – die Endfassung nicht vorgelegt zu haben. „Man muß aus dem Verhalten des ,Kölner Stadtanzeigers‘ den Schluß ziehen, daß er an einer Abstimmung mit den Klägern überhaupt nicht mehr interessiert war.“ Auch aus diesem Grunde betont das Gericht einen „Buß- und Präventivcharakter“ seines Urteils. Schließlich habe der Verlag „nicht einmal ansatzweise“ ein „Unrechtsbewußtsein“ gezeigt. „Dieser überheblichen und selbstgefälligen Haltung“ so Richter Krieg, „kann wohl nur mit einer spürbaren Zahlungsverpflichtung begegnet werden“.

Der Verlag verzichtete auf Rechtsmittel, das Urteil ist somit rechtskräftig, das Geld überwiesen.

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