Streit um Pleitgens „Kleines Funkhaus Europa“
„Funkhaus Europa“ – das ist die Vision einer mehrsprachigen ARD-weiten Hörfunkwelle für Deutsche und Nicht-Deutsche. Bereits 1995, noch als Hörfunkdirektor, brachte der heutige WDR-Intendant Fritz Pleitgen die Idee in die medienpolitische Diskussion ein. Doch die Umsetzung scheiterte bisher an der Uneinigkeit innerhalb der ARD. Jetzt geht der WDR in Nordrhein-Westfalen mit dem „Kleinen Funkhaus Europa“ in die Offensive.
Im September geht es los: ein zwölfstündiges interkulturelles Programm wird täglich von sechs Uhr abends bis sechs Uhr morgens auf der ehemaligen Essener WDR 2-Frequenz 103,3 MHz ausgestrahlt. Tagsüber laufen durchgehende ausführliche Verkehrsmeldungen.
Das ist die „kleine Lösung“, die der WDR in Kooperation mit einigen anderen ARD-Anstalten entwickelt hat. Von der großen „Funkhaus Europa“-Idee ist dieses Konzept nicht nur durch seine nächtliche Sendezeit weit entfernt. Statt eines ganztägigen Tagesbegleitprogramms in der gemeinsamen Sprache, der „lingua franca“ deutsch, kann nur ein einstündiges integratives Magazin produziert werden. Statt der ARD- oder sogar europaweiten Verbreitung bleibt das Projekt auf Teile Nordrhein-Westfalens beschränkt.
Kritik von rechts
Trotzdem stößt bereits das eingeschränkte Reformvorhaben des „Kleinen Funkhaus Europa“ auf Kritik. Der innenpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Wolfgang Zeitlmann, urteilte: „Es ist ein starkes Stück, angesichts des hohen Anteils von Ausländern, die sich illegal in Deutschland aufhalten, die Notwendigkeit für einen Migrantensender zu konstruieren.“ Der hohe Ausländeranteil in Deutschland sei, so Zeitlmann, letztlich nur auf die laxe Handhabung des Ausländer- und Asylrechts in rot-grün-regierten Ländern zurückzuführen.
Diese Äußerungen bezeichneten wiederum Bündnis 90/Die Grünen als „starkes Stück“. Der medienpolitische Sprecher Rezzo Schlauch und der einwanderungspolitische Sprecher Cem Özdemir warnten angesichts des Wahlergebnisses in Sachsen-Anhalt die CSU davor, die DVU rechts überholen zu wollen: „Passen Sie auf, daß sie nicht aus der Kurve fliegen.“
Abseits dieser „zweifel-haften Blüten“ des beginnenden Bundestagswahlkampfes, wie WDR-Unternehmenssprecher Rüdiger Oppers den Schlagabtausch beurteilte, will der WDR sein Integrationsprogramm vorantreiben.
Die derzeit auf WDR „Radio 5“ gesendeten muttersprachlichen Sendungen will er in das neue Angebot integrieren. Nachts soll aus Kostengründen das Programm des Berliner Senders SFB 4 MultiKulti übernommen, wenn möglich aber mit zusätzlichen Informationen angereichert werden.
Grundversorgung auch für Ausländer?
Daß es nach Ansicht des CSU-Politikers Zeitlmann nicht die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunk sei, Programm für Ausländer zu machen, stieß auch im Adolf Grimme Institut in Marl auf heftigen Widerspruch. Dort wurde gerade ein 18monatiges Ausbildungsprojekt für ausländische Journalistinnen abgeschlossen. Grimme-Geschäftsführer Dr. Hans Paukens beurteilte die WDR-Initiative als „programmpolitisch richtige Antwort zur Integration der MigrantInnen in diesem Land“ und die Leiterin des Ausbildungsprojekts, Amina Krüger, verwies auf das Recht der rund zehn Prozent in Deutschland lebenden Bürger mit nichtdeutschem Paß, als Gebühren- und Steuerzahler ein adäquates Radio- und Fernsehprogramm zu erhalten.
Überfällige Reform
Doch adäquat ist das derzeitge Hörfunkprogramm für Ausländer ganz und gar nicht mehr. Die Anfang der 60er Jahre entstandenen Radioprogramme werden den veränderten Bedingungen schon lange nicht mehr gerecht. Seit mehr als dreißig Jahren produzieren der Westdeutsche und der Bayerische Rundfunk muttersprachliche Radiosendungen für Migranten aus den fünf „klassischen“ Einwanderungsländern Türkei, Griechenland, Spanien, Italien und Jugoslawien. Doch heute gesellen sich zu den angeworbenen „Gastarbeitern“ längst zahlreiche Zuwanderer aus Osteuropa, Afrika und Asien. Sie haben ganz andere Wünsche an die Medien. Ebenso wie die Kinder und Enkel der ersten Migrantengeneration.
Daß sich viele Migranten von den bestehenden Programmen nicht mehr angesprochen fühlen, zeigt sich auch in der zunehmenden Nutzung der Heimatsender. Das krasseste Beispiel: Seit türkische Sender über Satellit auch in Deutschland zu empfangen sind, ist die Hörerzahl der türkischen ARD-Radioprogramme von 52 auf fünf Prozent gesunken.
Das Reformkonzept des „Kleinen Funkhaus Europa“ wird solche Verluste nicht auffangen können, zumal das Programm nicht bundesweit ausgestrahlt wird. Die Lösung, das Multi-Kulti-Programm auf der Essener Frequenz 103,3 zu senden, ist nicht unumstritten. „Mit dieser Frequenz erreichen wir 90 Prozent der Klientel und das in UKW-Qualität“, freut sich Gualtiero Zambonini, Leiter der WDR-Programmgruppe „Forum Europa“. Tatsächlich sind mit dem Ruhrgebiet und dem Kölner Raum die großen Ballungsgebiete abgedeckt. Sollten jedoch die bisherigen Fremdsprachenprogramme auf „Radio 5“ wegfallen, hätten eine Kroatin in Münster oder ein Italiener in Ostwestfalen jegliche muttersprachlichen Angebote verloren. „Deshalb dürfen wir das ,Große Funkhaus Europa‘ keinesfalls aus den Augen verlieren“, fordert Britta Ilic, Vertreterin der ausländischen Mitbürger im WDR-Rundfunkrat. Leichter gesagt als getan, denn schon 1996 fand ein in einer ARD-Arbeitsgruppe erarbeiteter Programm-Entwurf nicht die mehrheitliche Zustimmung der ARD-Programmdirektoren. Trotzdem hat der WDR „Funkhaus Europa“ als ARD-Projekt in einer überarbeiteten Form bei der „Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Anstalten“ (KEF) eingebracht. Eine Entscheidung der KEF über eine Zusatzfinanzierung ist aber erst im Jahre 2001 zu erwarten, wenn die nächste Gebührenperiode beginnt.