Bericht vom 23. Weltkongreß der Internationalen Journalisten-Föderation (IJF)
Ein Arbeitsprogramm für die nächsten drei Jahre, über das satzungsgemäß zu entscheiden gewesen wäre, lag erst gar nicht vor. Heftiger Streit tobte über die Frage einer Frauenquote in der neuen Satzung – eine Mehrheit dafür kam am Ende nicht zustande. Mit dem Australier Chris Warren wurde ein neuer Präsident gewählt, der weit weg ist von der Zentrale in Brüssel. Das waren drei kennzeichnende Erscheinungen des 23. Weltkongresses der Internationalen Journalisten-Föderation (IJF) im brasilianischen Recife.
„Es war der beste IJF-Kongreß, den es je gab.“ Das wurde immer wieder von IJF-Generalsekretär Aidan White betont – angesichts einer Rekordzahl von 172 Delegierten von Gewerkschaften aus 75 Ländern, die sich angemeldet hatten. Doch Quantität brachte nicht gleich Qualität. Berufspolitische Impulse und Weichenstellungen? Die gab es in Recife – aber kaum auf dem Delegiertenkongreß.
Unter dem Etikett des IJF-Weltkongresses lief parallel ein Seminar zum Thema „Journalismus 2000“, in das sich mehr als 2000 Studenten eingeschrieben hatten. Während die Delegierten des eigentlichen Weltkongresses mit Satzungsfragen und Wahlspielchen beschäftigt waren, wurden auf dem Seminar am anderen Ende der 1,3-Millionen-Stadt Recife Perspektiven über die Zukunft des Berufes entwickelt. Auf der Eröffnungsveranstaltung demonstrierten streikende Studenten bei der Rede des Vizepräsidenten der Republik gegen die Bildungspolitik der brasilianischen Regierung.
Einen wichtigen Redebeitrag lieferte immerhin der scheidende IJF-Präsident Jens Linde zum Auftakt des Delegiertenkongresses: Eine der großen Herausforderungen der nächsten Jahre seien Strategien, um Journalisten und Journalistinnen auch in den Industriezweigen Neuer Medien zu organisieren. Im weiteren Kongreßverlauf wurde dies nicht weiter thematisiert.
In Statements am ersten Tag berichteten die Delegierten, wie in allen Teilen der Welt Pressefreiheit mit Füßen getreten wird und Journalisten und Journalistinnen unter eher zunehmenden Druck geraten. In vielen Ländern steht Pressefreiheit nur auf dem Papier. Viele Anträge waren denn auch Solidaritätsbekundungen mit Kollegen und Kolleginnen in einzelnen Ländern. Es gab insgesamt rund 50 Anträge der unterschiedlichsten Art, die zuerst in Kommissionen und dann im Plenum unter Leitung eines offensichtlich überforderten Präsidiums diskutiert wurden. Auf Unverständnis stieß unter den deutschen und einigen anderen Delegierten, daß die Anträge zu einer neuen Satzung vom scheidenden Exekutiv-Kommitee vorab bewertet worden waren. In den Kongreßunterlagen stand bei allen als Vermerk entweder „nicht unterstützt“ oder „nicht behandelt“. Ein Antrag von deutscher Seite, eine unabhängige Antragsprüfungskommission einzuführen, wurde erst gar nicht diskutiert. Am Ende kam eine neue Satzung heraus, die sich das alte Exekutiv-Komitee ausgedacht hatte.
Einige Anträge zur inhaltlichen Arbeit gab es dann doch. Zustimmung fand der Antrag der beiden deutschen Gewerkschaften, nach dem sich angesichts der zunehmenden internationalen Medienverflechtung auch die IJF für Informations- und Konsultationsrechte von Arbeitnehmervertretern einsetzen soll. Insbesondere die Delegierten aus Mediengewerkschaften begrüßten die Verabschiedung eines Antrags, der sich für eine engere Zusammenarbeit zwischen der Internationalen Journalisten-Föderation und Organisationen anderer Medienbeschäftigten aussprach. Der belgischen Gewerkschaft fiel im letzten Moment noch ein Antrag ein, daß die IJF sich auch mit dem sozialen Status und den Arbeitsbedingungen von Journalisten und Journalistinnen beschäftigen solle.
Neuer Vorstand
Mit Chris Warren wurde erstmals ein Nicht-Europäer zum Präsidenten der IJF gewählt. Er löst den Dänen Jens Linde ab, der sich nach zwei Amtsperioden nicht mehr zur Verfügung stellte. Warren ist seit 1992 Generalsekretär der „Media and Entertainment Art’s Alliance of Australia und bekam als einziger Kandidat 222 (76 %) von möglichen 293 Stimmen. Ein von zehn mitteleuropäischen Gewerkschaften unterzeichneter Antrag zur Satzung der IJF, daß der Präsident der internationalen Journalistengewerkschaft ein „working journalist“ sein solle, wurde ebenfalls erst gar nicht diskutiert.
Mit 237 Stimmen (81%) wurde Gustl Glattfelder vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV), der die volle Unterstützung der IG Medien hatte, „Senior Vice President“. Vizepräsidenten wurden Francisco Sant’ Anna aus Brasilien (76%) und Linda Foley (68 %), Präsidentin der Newspaper Guild in den USA, die ausschließlich festangestellte JournalistInnen organisiert. Sie hatte zuvor gegen die erarbeitete Satzungsnovelle der IJF gestimmt. Der Antrag der IG Medien, den Generalsekretär der IJF künftig zu wählen, wurde abgelehnt. In der Berichterstattung der brasilianischen Medien stand später dennoch, daß Aidan White zum Generalsekretär gewählt worden sei.
Einer der Anträge bekräftigt die Absicht der IJF, mit der International Organisation of Journalists (IOJ) in Prag Gespräche führen zu wollen. Der Einladung nach Recife war allerdings kein Vertreter der IOJ gefolgt, und nach dem Tod des IOJ-Generalsekretärs Antonio Nieva ist bei der IOJ derzeit auch kein Gesprächspartner erkennbar.
Interessenvertretung in der EJF
Ein Schweizer Kollege kennzeichnete die Vorgänge in Recife um die Satzung und die Wahlergebnisse treffend als „ga-ga“. Warum die IG Medien die Mitgliedschaft in einer Organisation ohne bindendes Arbeitsprogramm für das führende Gremium des Exekutiv-Komitees beibehält, werden manche fragen. Die Antwort ist einfach: Nur unter dem organisatorischen Dach der IJF kann auch die Europäische Journalisten-Föderation (EJF) als Unterverband arbeiten.
In der EJF kann tatsächlich Interessenvertretung auch für deutsche Journalisten und Journalistinnen wirksam werden. Nur ein Beispiel für erfolgreiche Lobby-Arbeit ist der Entwurf der Urheberrechts-Richtlinie der EU für digitale Netze. Die EJF hat ein klares Arbeitsprogramm und funktionsfähige Expertengruppen für Urheberrechte, für die Belange der Freien sowie künftig für Fragen des Rundfunks. Diese Gruppen arbeiten mit dem Rückhalt der IJF, bündeln tatsächlich aber die Interessen der europäischen Journalisten und Journalistinnen.
Der Schweizer Kollege war übrigens mit dem Kongreß trotz aller notwendigen Kritik zufrieden: Der Kongreß gab am Rande auch den unterzeichnenden Delegierten der IG Medien Gelegenheit zu einem Gedanken- und Ideenaustausch mit anderen Gewerkschaften, der die eigene Arbeit befruchten kann.