Schwungvoller Auftakt für den Gewerkschaftschaftstag
Mit Pauken und Trompeten zog die „Schäl Sick Brass Band“ aus Köln in die Würzburger Kongreßhalle – zur Eröffnung des 4. Gewerkschaftstages der IG Medien am Samstag den 24. Oktober 1998. Die Klänge mochten manchen irritieren, denn sie erinnerten zu Beginn an Bierzeltmusik. Aber schon hier haben sich die Bläser und Perkussionisten programmatisch für eine Art musikalisch-ironischen Augenzwinkerns entschieden. Wie sie musizierten und mit welcher Intention, zeugte von hohem Niveau.
Schon im Vorfeld wiesen im Foyer ein Geiger, eine Tänzerin und ein Jongleur auf künstlerische Berufsfelder hin, für die die IG Medien arbeitet: für die Musik, den Tanz, die Artistik. Im Versammlungsraum waren vier Kinoleinwände angebracht. Dort lief ein Film der TRICAST Videoproduktion über den technischen Wandel in der Druckindustrie und über in der Papierverarbeitung. Ständig – und das sechs Tage lang – wechselten auf diesen Leinwänden später illustrierend und kommentierend von Gudrun Barenbrock sanft gestaltete Bilderwelten, auf denen sie vielleicht etwas zu beliebig mit graphischen und zeichnerischen Grundformen und Emblemen spielte.
Delegierte als Filmstars
Der große Erfolg, der Hit, wenn man so will, des Gewerkschafststages waren die täglichen Filme, produziert von TRICAST, die Gäste und Delegierte zu Beginn jeden Sitzungstages in den dunklen Saal lockten. Gezeigt wurden Bilder vom Vortage, von den Menschen im Plenum, von den Rednerinnen und Rednern, von der Pausengymnastik oder dem, was die Tricks dazu machten – Details pointiert ins Blickfeld rückend. Eine exzellente Arbeit des Kameramannes Wolf-Dieter Volkmann. Mit der dazu eingespielten Musik erhielten selbst banale „Szenen“ dramatisches Gewicht, sehr zur Freunde des Publikums. Die Eröffnungsveranstaltung dieses 4. ordentlichen Gewerkschaftstages der IG Medien stand unter dem Motto „Hell aus dem Dunkel“.
Was es bedeutete, wurde klar in der Eröffnungsrede des IG- Medien-Vorsitzenden Detlef Hensche. Hensche nannte den Negativkatalog gesellschaftspolitischer Ereignisse, der sich in den vergangenen Jahren in der Bundesrepublik Deutschland verfestigen konnte. Im Zentrum stehen die Arbeitslosigkeit und der Abbau des Sozialstaates und die ihn begleitenden Erscheinungen einer fehlenden ökonomischen und ökologischen Steuerung: „Noch nie standen in solchem Maße moderne Techniken, Reichtum, Wissen und Kreativität zur Verfügung, um wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Fortschritt zu ermöglichen. Doch diese Chancen verspielt, wer gesellschaftliche Entwicklung allein den betriebswirtschaftlichen Zwängen von Kosten und Rendite unterordnet. Wer Politik verkürzt auf Standortkonkurrenz, erzeugt Arbeitslosigkeit und hinterläßt Wohlstandsverluste.“
Hensche ist der Meinung, daß es genug Modelle gibt, mit denen die herrschenden Defizite zu beseitigen sind, zum Beispiel mit Sofortprogrammen, mit denen „junge Menschen in Lohn und Brot“ gebracht werden können. „Es ist möglich, Ausbildungsplätze zu schaffen. Es ist möglich, solche Betriebe, die sich der Verantwortung für die Ausbildung entziehen, wenigsten in Gestalt einer Umlage an den Kosten zu beteiligen.“ Der DGB-Vorsitzende Dieter Schulte führte in seiner anschließenden Rede aus, die „Gewerkschaftsbewegung müsse insgesamt und gemeinsam“ gestärkt werden durch den möglichen Verbund der IG Medien mit der Postgewerkschaft, der ÖTV, der HBV und der DAG. Ein Thema, das den 4. Gewerkschaftstage der IG Medien intensiv beschäftigen sollte. Für Schulte sind die wesentlichen Ziele: „Arbeit und soziale Gerechtigkeit, umweltverträgliches Wirtschaften und ein erneuerter Sozialstaat, mehr Mitbestimmung und mehr Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben und Verwaltungen.“
Einhart Klucke moderierte die Eröffnungsveranstaltung, nach den einleitenden Ansprachen stellte er die weiteren Mitwirkenden vor – in seiner charmant-robusten Art, die die dann agierenden Künstler und das Publikum anregte und mitriß. Heinrich Pachl glänzte mit sarkastischen Reden über die Arbeitswelt. Nikolaus Gatter trug ruhig und maßvoll Texte von Rahel und Karl August Varnhagen von Ense aus dem Revolutionsjahr 1848 vor.
Medienpreis „Glashaus“
„Elektronische Verfremdung der Wirklichkeit“ war das diesjährige Thema des 5. Glashaus-Preises der IG Medien, der noch von der RFFU 1982 ins Leben gerufen, an Hörfunk- und Fernsehsendungen geht, die sich mit medienpolitischen Fragen auseinandersetzen. Der Preis soll „zur Transparenz des Mediums Rundfunk und der Arbeit im Mediuzm sowie zur kritischen Reflexion über die Wirkung der Rundfunkarbeit beitragen“. Detlef Hensche überreichte während der Eröffnungsveranstaltung den Hörfunk-Preis an das Team Oliver Buschek, Barbara Zahn, Simone Spitznagel und Birgit Medel, die über die Redaktion ZÜNDFUNK/Jugend des Bayerischen Rundfunks eine Soap-Opera mit dem Titel „Die Serientäter“ produziert hatten. Über die „für ein jugendfrisches Publikum gestylte Informationssendung“, die sich selbst als „Soap-Opera“ kostümierte, urteilte die Jury: „Die muntere Mischung aus Hintergrundfakten, O-Tönen von Produzenten, Autoren, Programmdirektoren und nicht zuletzt Zuhörer-Zuhörerinnen-Kritik ergibt Einblicke hinter die Fassade dieser industriellen Fließbandproduktion. Damit wird dann auch die mediale Realität solcher Ersatzfamilien-Kulissen sichtbar – und die Konditionierung ihres Publikums: das triste Panorama einer nur noch auf Konsum ausgerichteten Welt.“
Der Fernseh-Preis wurde an eine Produktion des „Kleinen Fernsehspiels“ des ZDF/3sat vergeben. Rike Anders, Katrin Brinkmann, Christian Cloos und Claudia Tronnier machten den höchst orginellen Film „WeibsBilder und TeleVisionen“, der während der Verleihung in der Würzburger Kongreßhalle auch den Delegierten und den Gästen des Gewerkschaftstages in Auzsschnitten gezeigt wurde (im Fernsehen lief er leider nur in 3sat). Die Jury – ihr gehörten der ehemalige Intendant des Saarländischen Rundfunks, Dr. Manfred Buchwald,Prof. Dr. Hans Kleinsteuber aus Hamburg, der Medienpublizist Georg Seeßlen und der Fotograf Günter Zint aus Hamburg an, die Filmemacherin und Professorin an der Berliner HFF Jutta Brückner hatte aus Termingründen leider abgesagt – sah in dieser „Collage aus geschlechterspezifischen Stereotypen im Fernsehalltag ein realistisches Bild der Zustände in diesem Medium“ vermittelt und „zugleich Bausteine für notwendige Korrekturen.“ Besonders hervorhebenswert erscheinen der Jury aus den 18 Einsendungen noch „Hallervordens Spott-Light Spezial“ vom SFB, „Das geht ins Auge – wie Video-Amateure die Welt sehen“ (SFB/ arte) und „Zugeben. Gestehen. Bekennen“ (SFB).
„Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff“, unter diesem selbstironischen Motto feierten abends Delegierte und Gäste ein fröhliches Medienfest, verbunden mit einem mainfränkischen „Captain’s Dinner“ auf dem Mainschiff MS Bacchus: Mit unterhaltender Musik, Kabarett, viel fränkischem Wein, mit frechen Liedern und Tanz. Am nächsten Tag, um 9 Uhr, waren alle da und hatten „alles im Griff“, als die Arbeit des 4. Gewerkschaftstages der IG Medien begann.