„Wir sind Programm“

Rundfunk-Frauen trafen sich in Berlin und vergaben die Saure Gurke

„Wir sind Programm – wir machen Programm“, lautete der Slogan des 36. Herbsttreffens der Medienfrauen in Berlin. Etwa 500 Frauen aus allen Berufsgruppen von ARD, ZDF, ORF und Schweizer Rundfunk waren vom 8. bis 10. November zu Gast beim Rundfunk Berlin-Brandenburg und Deutschlandradio.

Fangen wir mit dem Ende an: Am Sonntagvormittag, dem 10. November, fanden sich noch einmal viele Frauen an großen runden Tischen im Deutschlandfunk zusammen. Wenn über Nacht ein Wunder geschähe, so lautete die Frage an alle, und wir tatsächlich von einem auf den anderen Sendetag Programm wären – woran würden wir Medienfrauen das wohl merken? Was wäre so vollkommen anders und ungewöhnlich? Die Gedanken sprudelten nur so und förderten viele – durchaus nicht nur bierernste – Ideen und Wünsche zutage: Die grauen und schwarzen Anzüge bei großen Talkrunden werden von bunten Kleidern und modischen Jeans abgelöst. Eine 70-jährige ungeliftete Redakteurin moderiert die Sportschau. Und der Intendant verabschiedet sich gerade in die Elternzeit, während sich anderswo zwei Frauen einen Führungsposten teilen.
Ein heiterer lockerer Ausklang, dem drei Tage voller angeregter Diskussionen, persönlicher Gespräche, vielfältigster Kontakte, Vorträge und Workshops vorausgegangen waren. RBB-Intendantin Dagmar Reim begrüßte die Programmmacherinnen. Für ihren Sender konnte sie durchaus beachtliche Zahlen vermelden: Die Führungspositionen auf den ersten drei Hierarchie-Ebenen sind im RBB zu 46 Prozent von Frauen besetzt. „Frauenförderung muss Chefinnen- und Chefsache sein“, begründet die Intendantin diesen Erfolg. „Sonst kann man es vergessen.“ Allerdings nannte sie auch die weniger guten Fakten: Während zu Beginn der journalistischen Ausbildung noch viel mehr Volontärinnen zusammen mit weniger männlichen Kollegen an den Start gehen, verkehrt sich dieses Verhältnis nach der Ausbildung deutlich. Nach zehn Jahren sind noch 20 Prozent der jungen Frauen im Rennen, aber 80 Prozent der Männer sind im Sender geblieben. Diese Mehrheit ist es schließlich, die maßgeblich das Programm bestimmt.

„Es kann nicht bestritten werden, dass Männer der Welt mit einer genderspezifischen Sichtweise begegnen“, gab Willi Steul, Intendant des Deutschlandradios dann auch zu bedenken. Genauso hätten Frauen ihre eigenen Erfahrungen und Sichtweisen. „Nur in einer annähernd ausbalancierten Beachtung beider Erfahrungsperspektiven können wir die Realität annähernd adäquat abbilden.“ Dass wir da noch weit entfernt sind, legte die Fernsehkritikerin Klaudia Wick in ihrem multimedialen Einstiegsvortrag dar: Das Frauenbild in den Medien – es ist zum übergroßen Teil das von Männern: „Männer achten auf Männer – und auf Frauen im gebärfähigen Alter“, erklärte sie und stellte zugleich die These auf, dass die Geschlechterdebatte zunehmend von einer Generationendebatte abgelöst würde. „Das Programm muss jung sein und der Text muss jung sein.“ Um das zu belegen, hatte die einstige Chefredakteurin der taz vor allem Primetime-Sendungen analysiert: Krimis. Frauen würden dort in der Regel als hilfsbedürftig und ohnmächtig gezeigt, als Opfer. Und am besten sei es, wenn diese Opfer tot, jung und nackt wären: „Je jünger diese Opfer sind, umso weniger haben sie an und umso länger werden ihre Leichen ins Bild gesetzt.“ Männer, so die Referentin, stürben dagegen heroischer – und angezogener.
Und Männer haben zudem auch im hohen Alter auf dem Bildschirm noch ihren Wert: sie stehen als Moderatoren, Kommentatoren, Nachrichtensprecher vor den Kameras. Für Frauen sei dies unvorstellbar: „Alt und weiblich ist die denkbar schlechteste Position.“ Aber, so Klaudia Wick, wir müssten uns auch selbst an die Nase fassen: „Außer beim Fußball sind es Frauen, die an der Fernbedienung sitzen und bestimmen was geschaut wird und was nicht.“

Neue und alte Fragen

Die anschließende Diskussionsrunde setzte dem durchaus Argumente entgegen. Dagmar Reim beispielsweise wandte ein, dass der Konflikt Alt – Jung den Konflikt Mann – Frau keinesfalls verdränge, sondern allenfalls ergänze. Und die Bloggerin und #aufschrei-Initiatorin Anne Wizorek wandte ein, dass auch jüngere Kolleginnen durchaus Probleme haben: „Ich bin über 30 und werde in Talkshows immer wieder als die junge unerfahrene Frau eingeführt.“ In einem war sich die Runde, zu der auch die Journalistin Mely Kiyak und DLF-Chefredakteurin Birgit Wentzien gehörten, einig. Bestimmte Fragen müssen immer wieder neu gestellt werden: Wer erzählt die Geschichten? Wer entscheidet über die Besetzung? Und wer bestimmt das Programm?
Die Organisatorinnen dieses 36. Herbsttreffens haben jedenfalls gezeigt, wie ideenreich, informativ, witzig und bereichernd es sein kann, wenn Frauen das Heft in der Hand halten. Denn neben den vielen Begegnungen und Kontakten standen noch über 30 Arbeitsgruppen zur Wahl, in denen die Teilnehmerinnen sich mit den unterschiedlichsten medienrelevanten Problemen auseinandersetzen konnten. Das 37. Herbsttreffen findet im kommenden Jahr in Hamburg beim NDR statt.

 

Saure Gurke für den Tatort

Claudia Müller, Gleichstellungsbeauftragte des MDR, nimmt die „Saure Gurke“ stellvertretend für das Tatort-Team in Empfang Foto: DLR / Bettina Straub
Claudia Müller, Gleichstellungsbeauftragte des MDR, nimmt die „Saure Gurke“ stellvertretend für das Tatort-Team in Empfang
Foto: DLR / Bettina Straub

Der „Kalte Engel“ kassierte diesmal die Saure Gurke des Herbsttreffens der Medien-Frauen. Die jüngste Tatort-Produktion des MDR erhielt den Negativpreis mit dem seit 1980 auf frauenfeindliche Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufmerksam gemacht werden soll.
Begründung der Jury: „Wir treffen auf Frauenrollen, die wir in 40 Jahren Tatort kennen und lieben gelernt haben: die Heilige, die Hure, die herrische Vorgesetzte und ein Mordopfer, das selbst schuld ist. Auch ein ,junger’ Tatort kann ziemlich gestrig sein!“

Einen „Trostpreis“ vergab die Jury an das ZDF für seinen Werbetrailer zur Frauen-Fußball-Europameisterschaft. In dem Spot mit dem Titel „Ballsauber in Schweden“ schießt eine Frau zielsicher einen dreckigen Fußball in die Waschmaschine.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »