Online-Journalisten

Content-Management und Journalismus

In ihrem Selbstverständnis verstehen sich vor allem Online-Journalisten als neutrale Informationsvermittler. Redigieren und Selektieren spielen eine deutlich größere Rolle als im traditionellen Journalismus.

Dies geht aus der Studie „Online-Journalisten in Deutschland“ hervor, die das Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der TU Ilmenau vor kurzem vorgestellt hat. In Deutschland gibt es rund 7800 Online-Journalisten, die für 1150 Redaktionen arbeiten. Basierend auf Telefoninterviews mit 461 Journalisten untersuchte die Studie unter anderem Tätigkeitsprofile und Rollenverständnis von Online-Journalisten.

Ein Paradebeispiel für den Trend hin zum Contentmanagement ist die Redaktion des Online-Dienstes AOL. In der AOL-Redaktion arbeiten rund 35 Redakteure. Von einer Themenredaktion von 25 Redakteuren arbeiten 8 für Nachrichten und Sport, 15 für Themen wie Computer & Technik, Finanzen, Auto und Lifestyle, sowie 10 für den Unterhaltungsteil, der Entertainment-Themen online bringt. Die Entertainment-Inhalte stammen unter anderem aus der Film- und Musikindustrie von Time Warner. Freie Mitarbeiter gibt es keine.

„Ich sehe mich als Redakteur mit Contentmanagement-Ambitionen“, sagt Matthias Brügge, Leiter der AOL-Nachrichtenredaktion. Etwa 50 Prozent der Inhalte des redaktionellen Angebotes stammt von 15 Partnern wie Sat1 und Gala, 35 Prozent von Agenturen wie dpa, afp, ddp und ap, 15 Prozent sind eigene Inhalte. Zu den selbst erstellten Inhalten zählt Brügge Kommentare und Berichte etwa über die RTL-Dschungelshow. Eigene Inhalte kommen zudem aus dem Community-Bereich mit seinen Pinboards, einer Art Nachrichtenbrett.

Ähnlich sieht es bei dem Portal von T-Online aus: 30 inhaltlich verantwortliche redaktionelle Mitarbeiter verwenden unter anderem Material der Nachrichtenagenturen ddp, dpa, Reuters. Zudem kooperiert T-Online mit Bunte, der ZDF-heute-Redaktion und betreibt mit dem Axel Springer Verlag das Portal bild.t-online.de. „Eine prozentuale Aufschlüsselung ist hier schwierig“, sagt Pressesprecher Mark Nierwetberg.

Die Klickraten bestimmen die Themen

Bei AOL sind die Inhalte auf der Einstiegsseite alle selbst gemacht. Bei Nachrichten schreiben die Redakteure verschiedene Agenturmeldungen zusammen. Bei der kürzlich erfolgten Marslandung etwa stellte ein Redakteur eine Bildergalerie zusammen und textete die Untertitel. Beim Nachrichtenfeed seitens Partnern wählen die Redakteure nur noch die Inhalte aus und bringen sie auf Länge. Je tiefer sich allerdings ein Angebot in der Link-Hierarchie befindet, desto weniger wird es von den Redakteuren bearbeitet. Die Nachrichtenauswahl orientiert sich daran, wie stark ein Thema bei den Mitgliedern ankommt. Für Matthias Brügge besteht die richtige Mischung aus seriösen und weichen News sowie einem großen Serviceteil. Die Klickraten bestimmen, ob ein Thema auf der Einstiegsseite bestehen kann. „Gibt es kaum Klicks, fliegt das Thema raus“, sagt Brügge.

Klaus Meier, Leiter des Studiengangs Online-Journalismus an der Fachhochschule Darmstadt, weiß: „Es ist ein Verkaufen und Kaufen von Inhalten. Redaktionen kaufen ein, andere produzieren für sie. Es stehen immer Journalisten dahinter.“ Der Medienprofessor erkennt bei den Tätigkeiten der Online-Redakteure keinen großen Unterschied zu Redakteuren in den Mantelredaktionen von Tageszeitungen. Online-Redakteure würden allerdings für die laufende Aktualisierung Nachrichten dutzende Male umschreiben. Den Unterschied zu einer Tageszeitung sieht AOL-Redakteur Matthias Brügge vor allem darin, dass einige der Nutzer nicht täglich online gehen. Dies bestimmt auch die Angebotsgestaltung bei AOL. Ein allgemeines gültiges Thema, wie der sich abzeichnende Lotto-Jackpot, ist deshalb am Mittwoch bei der aktuellen Verlosung noch nicht out.

Seit Jahren umstritten ist der Umgang mit Werbepartnern.

T-Online etwa ist seit Jahren dafür bekannt, redaktionelle Inhalte nicht deutlich von den Inhalten seiner Werbepartner zu trennen. Nach massiver Kritik hat der Dienst in einigen Bereichen E-Commerce und Service-Angebote farblich und organisatorisch getrennt. So stehen über Werbe-Bannern „Anzeige“, doch in Bereichen wie „Immobilien“ und „Versicherungen“ kann der Leser immer noch nicht erkennen, ob er nun Inhalte der Redaktion oder des Werbepartners anklickt. AOL kennzeichnet Partnerinhalte per Logo oder Hinweis. „Man muss wissen, bei wem man ist“, sagt Brügge. Der Nutzer dürfe nicht verwirrt werden, die Inhalte müssten transparent gestaltet sein. Zwischen den Werbepartnern und der Redaktion gebe es allerdings immer ein Tauziehen. „Der Druck ist schon da“, gesteht Brügge ein. Doch aus der Vergangenheit habe er gelernt: Heute sei die Redaktion nur dafür verantwortlich, wieviel geklickt wird, nicht dafür, wieviel verkauft wird.

Ausgewogene Mischung

„Wenn wir ein tolles Foto vom Mars bringen könnten, den Platz aber bereits einem Werbepartner versprochen hätten, käme das nicht so gut an bei den Nutzern“, weiß Brügge. Langfristig wäre mit einer reinen Verkaufsstrategie kein Mitglied zu halten. Eine „ausgewogene Mischung zwischen Inhalten und Werbung“ ist dennoch wichtig – und die Redaktion achtet auf die richtigen Gelegenheiten. Brügge: „Der Hinweis auf einen Werbepartner wie etwa Lotto funktioniert dann besonders gut, wenn er mit einem aktuellen Aufhänger wie „Jackpot geknackt“ verbunden wird.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Medienhäuser müssen Journalisten schützen

„Die Pressefreiheit ist auch in Deutschland zunehmend bedroht”, kritisiert die Bundesvorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion (dju) in ver.di, Tina Groll, zum Internationalen Tag der Pressefreiheit. Die dju in ver.di verzeichne mit großer Sorge eine wachsende Anzahl der Angriffe, die die Gewerkschaft für Medienschaffende in einem internen Monitoring festhält.
mehr »

Spanien: Als Terrorist beschuldigt

Der katalanische Investigativjournalist Jesús Rodríguez hat Spanien verlassen, um ins Exil in die Schweiz zu gehen. Ihm wird von Ermittlungsrichter Manuel García-Castellón die Unterstützung terroristischer Akte vorgeworfen. Die Schweiz sieht im Vorgehen der spanischen Justiz gegen den Katalanen einen „politischen Charakter“.
mehr »

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

KI darf keine KI-Texte nutzen

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »