Mit Dudelsack und Kondom

Land auf, Land ab waren Redakteurinnen und Redakteure vier Wochen in kreativer Bewegung – Blitzlichter

Redakteurinnen und Redakteure basteln Zeitungsenten, engagieren Laierkastenmänner und Dudelsackspieler, verteilen an Passanten Rosen, und bekommen von Jugendlichen Kondome geschenkt. Es war zwar eisig kalt, doch die Stimmung war fast immer prima. Die, die sonst die Zeitungsseiten voll schreiben, tobten jetzt ihre Kreativität anders aus. So waren die 27 Streiktage mit vielen phantasievollen Aktionen „gewürzt“. Auch die ver.di-Führung hat sich blicken lassen. Und es gab Solidaritätsaktionen von Technik und Angestellten.

„Als Zeitungsleser bin ich froh, dass die Redakteure für Arbeitsbedingungen kämpfen, die eine gute Zeitung ermöglichen“, rief ver.di-Chef Frank Bsirske vor dem Madsack-Tor den Versammelten zu. Der Streik werde so lange fortgesetzt, „bis die Verleger zu einem Kurs zurückfinden, der einen Abschluss ermöglicht.“ Bsirske begrüßte die Solidarität der technischen und kaufmännischen Angestellten: „Alle wissen: Wenn die Verleger sich bei den Redakteuren durchsetzen, sind die Verlagsangestellten als Nächste an der Reihe.“ Gleich vier Mal traten bei Madsack in Hannover die technischen und kaufmännischen Abteilungen in den Solidaritätsstreik. Abordnungen aus Bremen, Oldenburg und Syke waren ebenfalls bei der Kundgebung dabei. Frank Bsirske nahm auch an einer Streikversammlung im Münchner Hofbräuhaus teil. Seine Einordnung der Redakteursrunde in das politische Gesamtbild traf auf die Zustimmung bei den anwesenden Journalisten und Journalistinnen im brechendvollen Saal: Unter dem Deckmantel der vermeintlichen Krisenbewältigung werde die dauerhafte Senkung von Arbeitnehmereinkommen versteckt. „Wer in einen unbefristeten Streik geht, muß einen langen Atem haben“, so Bsirske in Bremen. Er hatte einen schon lange vor dem Streik verabredeten Termin mit der Chefredaktion abgesagt und es vorgezogen, mit den Streikenden zu diskutieren. Mit Blick auf kommende Tarifrunden wies der ver.di-Chef darauf hin, dass es nicht allein um Materielles in den Auseinandersetzungen gehe, sondern auch um gesellschaftliche Fragen. So könnten die Journalisten doch auch Leserinnen und Leser und die Politik ermuntern, für eine qualitativ hochwertige Zeitung einzutreten und so die Verleger an ihre gesellschaftliche Verantwortung erinnern.

Politikunterstützung

Bei der „Hannoversche Allgemeinen“ und der „Neuen Presse“ waren mehr als die Hälfte der Redakteure vier Wochen und einen Tag ununterbrochen im Streik. „Die Verleger haben sich schwer verrechnet“, sagte Madsack-Betriebsratsmitglied Rainer Butenschön am 17. Streiktag. Da war die ver.di-Jugend zu Besuch. Die Hannoveraner bastelten die größte Zeitungsente in der Geschichte der Republik, die während der Kundgebung nahe des Springer-Hochhauses ihren ersten Einsatz hatte. Zwischendurch schaute der niedersächsische SPD-Fraktionschef Siegmar Gabriel vorbei, um sich vor Ort zu informieren. Er sagte den Streikenden seine Unterstützung zu. In Oldenburg ließ sich der Zug streikender Journalisten von Dudelsack-Spielern begleiten. In Kiel große „Abroll-Aktion“: Eine leere Zeitungspapierrolle wurde zur Straßenzeitung. „Da rollt was auf Sie zu: Jobs ade, Zeitung oweh“ – „Das lesen Sie in Zukunft: Keine Kommentare“ – „Das lesen Sie in Zukunft: Keine Hintergründe“ – „Das lesen Sie in Zukunft: Keine Interviews“ – „Das lesen Sie in Zukunft: Keine Qualität“ – „Es geht um Ihre Zeitung“, rief ver.di-Sprecher Heino Stüve den Passanten zu. „Dafür streiken die Redakteure und Redakteurinnen. Sie wollen eine Zeitung mit aktuellen Informationen und kritischen Hintergrundberichten – wir auch. Dafür arbeiten wir und nehmen unregelmäßige Arbeitszeiten und etliche unbezahlte Überstunden in Kauf.“

Entenaktionen

Rund 600 Streikende demonstrierten am 15. Streiktag auf dem Stuttgarter Karlsplatz. Unterstützung erfuhren die Journalisten von den Metallern, die von ihrem Abschluss berichteten. Auf die Desinformationskampagne regionaler Verleger reagierten die Streikenden mit einer gut gemachten Streikzeitung. Alle Zeitungen des südwestlichen Bundeslandes waren in den Arbeitskampf einbezogen.

Rappelvoll war auch der Saal im Gewerkschaftshaus von Frankfurt/ Main. Über 300 Streikende zogen nach der Veranstaltung durch die Innenstadt zur Frankfurter Hauptwache – begleitet von guter Stimmung und Drehorgelmusik. Nach Frankfurt waren auch Journalisten aus Trier und Kassel gereist. In Hannover gab es derweil eine gut gelaunte Entenaktion: Neben ihrer Streikzeitung verteilten die Redakteure in Anspielung auf die Qualitätsdebatte und die Arbeitsverdichtung kleine „Zeitungsenten“.

Gut besucht und gut gelaunt auch die Streikversammlung in Saarbrücken. Dort gesellte sich die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Margret Mönig-Raane zu den Journalisten der „Saarbrücker Zeitung“. Sie zollte den Streikenden „großen Respekt und Anerkennung“ für nunmehr 18 Streiktage und zeigte sich beeindruckt von der großen Geschlossenheit. Unter Beifall der Anwesenden forderte Mönig-Raane die Verleger auf, nun endlich Abstand von den Verschlechterungs-Forderungen zu nehmen und damit einen Tarifabschluss zu ermöglichen.

 

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