Ausländerprogramme im NRW-Hörfunk
Für die Lokalradios in Nordrhein-Westfalen ist die Beteiligung von Ausländern eigentlich selbstverständlich. Besonders im Ruhrgebiet finden sich so einige Grabowskis, Kowalskis und Krutatteks unter den festen und freien Mitarbeitern. Sie leben ja oft auch schon in der 3. und 4. Generation in diesem Land. Doch türkische, kurdische oder albanische Mitbürger, die oft noch nicht in fließendem Deutsch am redaktionellen Alltag teilnehmen können, muß man schon länger unter den Lokalradiomachern suchen.
Aber auch sie gibt es, zum Beispiel in den „Radio International“-Projekten. In ursprünglich vier nordrhein-westfälischen Verbreitungsgebieten mit hohem Ausländeranteil sollte erprobt werden, wie muttersprachliche Sendungen dauerhaft in das redaktionelle Lokalprogramm integriert werden können. Hinter den Projekten in Bochum, Duisburg, Essen und Mühlheim stand der Gedanke, daß ein Lokalprogramm in der eigenen Sprache das Interesse der Ausländer für das Lokale fördert. Also: Informationen über die Müllgebührenerhöhung in Duisburg nicht nur auf deut-sch, sondern auch auf türkisch und italienisch.
Schon bald nach den Sendestarts Anfang der 90er Jahre bildeten sich kleine Redaktionen unterschiedlicher Nationalitäten. Mit 50000 bis 60000 Mark im Jahr produzieren die International-Redaktionen zur Zeit bis zu neun unterschiedliche muttersprachliche Sendungen pro Radio. Ausgestrahlt werden sie im täglichen Wechsel – proportional zum Anteil der Gruppe an der Bevölkerung. Die Sendeplätze liegen abends, vor oder nach dem Bürgerfunk.
Wenn die Zusammenarbeit mit den deutschsprachigen Redaktionen der Lokalsender auch nicht immer reibungslos funktioniert, gewünscht ist der türkische, italienische oder polnische Blick auf die Stadt auch von den Verantwortlichen. „Ein Lokalradio muß den Ausländern, die im Verbreitungsgebiet leben, gerecht werden“, betont Hans Walter Schuster vom Vorstand der Duisburger Veranstaltergemeinschaft. „Die unterschiedlichen Schwerpunkte und Sichtweisen können sich ergänzen und gegenseitig befruchten.“ In Duisburg sind fast 15 Prozent, 80000 der 540000 Einwohner, ausländischer Herkunft. Und Claudia D’Avino, bilinguale Mitarbeiterin der italienischen Redaktion von „Radio Duisburg International“, konstatiert ein Umdenken auch bei den Ausländern. Viele hätten sich früher für ihre unmittelbare Umgebung kaum interessiert, weil sie Deutschland ohnehin als Zwischenstation verstanden. „Jetzt haben sie erkannt, daß sie hierbleiben möchten. Dadurch steigt auch das Interesse, sich mit ihrer Umgebung auseinanderzusetzen.“
Kommerzielle Zwänge
Also, alles in Butter bei der medialen Integration? Nicht ganz, der kommerzielle Druck greift auch hier. „Antenne Ruhr“, der Lokalsender für Mühlheim und Oberhausen, hat seine vormals redaktionell finanzierten Ausländerprogramme in den Bürgerfunk abgeschoben. Es sei zu teuer gewesen und Quoten würde ein solches Programm auch nicht bringen. Daß die Sendungen das durchhörbare Mainstream-Format der Radios durchbrechen müssen, ist aber selbst für die Veranstalter logisch. Hans Walter Schuster aus Duisburg: „Für mich ist völlig klar, daß wir da nicht die übliche Programmfarbe fahren können, weil sich dann das Ganze selbst auflösen würde.“
Aber sind muttersprachliche Sendungen tatsächliche Quotenkiller? Ein Forschungsprojekt der Landesanstalt für Rundfunk (LfR) konnte negative Auswirkungen auf die Akzeptanz der Sender nicht feststellen. Außerhalb der Primetimes und in sinnvoller Koordination mit anderen Zielgruppensendungen, zum Beispiel des Bürgerfunks, seien nicht formatgerechte Anteile durchaus vertretbar. Außerdem seien die Reichweiten nach 18 Uhr für die Wirtschaftlichkeit der Sender ohnehin nicht von Bedeutung.
Zielgruppe Ausländer
Vielleicht, so Dr. Helmuth Schweitzer vom LfR-Forschungsprojekt, würden sich die Verantwortlichen auch einfach zu spät bewußt, daß die kaufkräftige Zielgruppe der 14- bis 40jährigen in den nächsten Jahren zunehmend aus sprachlich-kulturellen Minderheiten bestehen wird. Zusammen mit Professor Gerhard Metzger-Pregizer kommt Schweitzer zu dem Schluß: „Wenn kein nichtdeutschsprachiger Lokalfunk zustande kommt, dann ist es medienpolitisch von den Lokalfunkverantwortlichen vor Ort gewollt und nicht die zwangsläufige Folge rechtlicher Vorgaben durch das Landesrundfunkgesetz oder das Presserecht.“ Vor allem die Haltung des Chefredakteurs oder der Chefredakteurin machten die Forscher als zentralen Punkt aus. Das bestätigt auch der Chef des „International-Senders“ „Radio Essen“, Bernd Drescher: „Ohne ein ganz intensives Vertrauensverhältnis geht es nicht“.
In Essen senden täglich nach dem Bürgerfunk ausländische Gruppen in insgesamt sieben Sprachen. Noch. Auch „Radio Essen International“ soll gestrichen werden. Die Argumentation: Die Versorgung der Ausländer sei mittlerweile anderweitig ausreichend sichergestellt; einerseits durch die Satellitenprogramme aus den Heimatländern, seit September 1998 aber auch durch das WDR-Angebot des „Kleinen Funkhaus Europa“ (siehe Seite 10). Daß in beiden Fällen der sonst so betonte lokale Bezug gar nicht geleistet werden kann, scheint hier plötzlich nicht mehr wichtig. Mit einer Vielzahl von Protestschreiben versuchen in Essen zur Zeit nicht nur Ausländergruppen „Radio Essen International“ zu erhalten.
Beteiligungsmöglichkeit Bürgerfunk
Wer Lust hat, Ausländerprogramme nicht nur zu hören, sondern auch zu machen, der hat in NRW einzigartige Möglichkeiten. Der Bürgerfunk bietet allen Interessierten 15 Prozent der Sendezeit zur eigenen Gestaltung, flächendeckend, bei allen 46 Lokalradios.
Allerdings gibt es auch hier für Muttersprachler noch zusätzliche Hürden. Die für das Programm verantwortliche Veranstaltergemeinschaft kann eine beglaubigte Übersetzung der Sendung verlangen. In einigen Sendern wird darauf pragmatisch verzichtet, in anderen wird es als Mittel eingesetzt, muttersprachliche Anteile im Bürgerfunk zu verhindern. Denn sowohl finanziell als auch vom Arbeitsaufwand her ist die beglaubigte Übersetzung eine Anforderung, die kaum erfüllt werden kann. Bürgerfunker Jürgen Mickley vom „Medienforum Duisburg“ hält es nicht nur für falsch, durch den Übersetzungszwang eine Zugangsbarriere zu schaffen, sondern auch für unnötig. Mit der Sendeanmeldung, die sie wie alle Bürgergruppen unterschreiben, stellen Ausländer den Sender von Schadensersatzansprüchen frei und versichern, nicht gegen geltendes Recht zu verstoßen.
Nach den LfR-Forschungen ist auch für Ausländerprogramme im Bürgerfunk die Betreuung das A und O. Für die in den meisten Fällen nicht gerade üppig ausgestatteten nordrhein-westfälischen Radiowerkstätten ein Problem. Gerade die vielfach gewünschten multikulturellen Magazine funktionieren nicht von alleine. Zuwenig verstehen sich die einzelnen nationalen Gruppen als „Ausländer“; sie sind und bleiben Russen, Kurden oder Chilenen und als solche wollen sie senden. Hinzu kommt, so Gabi Fortak vom „medienforum münster“, der oftmals unsichere Aufenthaltsstatus von Ausländern. Asylsuchende seien ohnehin mit organisatorischen Dingen so überfordert, daß sie sich um ihre Medienpräsenz kaum selbst kümmern könnten.
Wieviel Fremdes verträgt der Hörer?
Im Bürgerfunk wie im redaktionellen Programm wird immer wieder die Frage nach der grundsätzlichen Existenzberechtigung von muttersprachlichen Anteilen in lokalen Radioprogrammen gestellt. Muttersprachlichkeit müsse sein, argumentieren die einen. Schließlich könne man Sprache und Kultur nicht eintauschen wie Reisepässe. Durchaus nachvollziehbar sei dagegen aus deutscher Konsumentensicht der Wunsch nach zweisprachigen oder eben deutschen Ausländersendungen. Wer nicht gerade den italienischen Nachrichtenblock zum Lernen der Sprache nutzt, für den sind die muttersprachlichen Anteile natürlich ein „Abschalter“. Der allerdings, so Hörerstimmen, „überstanden“ wird, wenn klar ist, daß bald eine deutsche Einordung oder ein interessantes Musikstück folgt.
Die Erfahrungen mit internationalen Anteilen im nordrhein-westfälischen Lokalfunk haben vor allem eines gezeigt: Ausländersendungen und -programme brauchen eine starke Lobby, sonst haben sie bei den politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen kaum eine Chance. Trotzdem liegt Bürgerfunkern wie „International“-Mitarbeitern sehr viel an der Arbeit, die sie machen. Sie nehmen sie ernst und sie verdienen es, selbst ernst genommen zu werden.