Joint Venture zwischen Gruner+Jahr und der Pearson Group: deutschsprachige „Financial Times“
Wieviel Wirtschaftspresse braucht das Land? Ist neben „HandelsBlatt“ und „FAZ“ noch Platz für eine dritte Zeitung, die sich schwerpunktmäßig der Wirtschafts- und Finanzberichterstattung zuwendet?
Alle Branchendienste und mehrere Tageszeitungen haben es bereits – wenn auch nur im Konjunktiv – vermeldet: Der englische Medienkonzern Pearson und der Hamburger Verlag Gruner+Jahr (G+J) wollen eine deutschsprachige „Financial Times“ auf den Markt bringen. Darüber redet die Branche seit Wochen. Doch in öffentlichen Statements halten sich die Beteiligten zurück. Nach Informationen der „Frankfurter Rundschau“ aus Kreisen von G+J und anderen Verlagsquellen sollen die Verträge so gut wie „in trockenen Tüchern“ sein; es gehe lediglich noch um „einige Punkte hinter den Kommas“, heißt es aus der Umgebung von Zeitungsvorstand Bernd Kundrun, bei dem das Projekt angesiedelt ist.
Dem Vernehmen nach geht es um ein Investitionsvolumen zwischen 150 und 200 Millionen Mark. In einem gleichberechtigten Joint Venture wollen die beiden Verlage eine eigenständige Gesellschaft gründen und streben eine tägliche Auflage von 100000 bis 15000 Exemplaren an. Wie das englische Original wird auf blaßrosa Papier gedruckt. Gedacht ist an mindestens drei Redaktionsstandorte mit einer Kernredaktion in Berlin, der Finanzredaktion in Frankfurt sowie einer Dependance in Hamburg. Um so aktuell wie möglich zu sein und um die Börsendaten der New Yorker Wall Street ins Blatt bringen zu können, soll der Redaktionsschluß bei 23 Uhr liegen. Wegen des späten Druckbeginns muß an mehreren Orten gedruckt werden. Englische Vertriebsexperten sind dabei, die logistischen Probleme zu lösen.
Andrew Gowers, stellvertretender FT-Chefredakteur, der bereits erfolgreich die Zeitung in den USA eingeführt hat, ist mit der Projektleitung betraut und hat bereits ein Büro in der G+J-Zentrale am Hamburger Baumwall bezogen. Schenkt man einer Meldung des „Focus“ Glauben, reist er „mit gezücktem Scheckbuch durch die Lande, um qualifizierte Wirtschaftsjournalisten mit überdurchschnittlichen Gehältern abzuwerben.“ Letzteres wurde von einem Hamburger Verlagssprecher bestätigt: „Die Gehälter der Fachkollegen werden um zehn Prozent steigen.“ Um die 130 bis 150 Redakteurinnen und Redakteuren sollen eingestellt werden.
Der Pearson-Konzern ist derzeit auf Expansionskurs. Jährlich werden rund vier Milliarden Pfund (zwei Milliarden Kilo oder etwa 11,2 Milliarden Mark) bei einem Gewinn von 300 Millionen Pfund (840 Millionen Mark) umgesetzt. Auf der Insel hat die „FT“ eine Auflage von 38400 Exemplaren. Von der kontinentaleuropäischen Ausgabe – Auflage 110000 – werden in der Bundesrepublik gut 20000 Zeitungen abgesetzt. Die Tendenz ist hier eher stagnierend.
Wirtschaftspresse im Wandel
Die sich ohnehin im Umbruch befindende Wirtschaftspresse sowohl im Tageszeitungsbereich wie auch auf dem Markt der Wochen- und Monatstitel wird durch den Coup aus London und Hamburg kräftig aufgemischt. Momentan sind alle überregionalen Tageszeitungen dabei, ihre Finanz- und Wirtschaftsberichterstattung auszudehnen. Wobei nicht so sehr die wirtschaftspolitische Analyse im Vordergrund steht, als vielmehr der Ausbau der Finanz-Serviceteile, um die Bedürfnisse der „shareholders“ zu befriedigen. „Man folgt hier dem Zeitgeist“, so ein Redakteur von „Capital“. In der jüngsten Medienanalyse „MA 99 – Pressemedien I“ wurde der Wirtschaftspresse eine leichte Reichweitensteigerung bescheinigt.
Zusätzlich sorgen junge Titel wie „Econy“ (ehemals ein Ableger des „Manager Magazin“ vom „Spiegel“-Verlag, dann für einige Nummern im Selbstverlag und seit Anfang des Jahres im VFW-Verlag für Wirtschaftsmedien Mainz), „Bizz“ oder „Börse-Online“ (G+J) zwar für neuen Schwung in der eher biederen deutschen Fachpresse. Sie verändern die Wirtschaftsberichterstattung nicht wirklich. Eher wird das, was die französische Autorin Viviane Forrester als den „Terror der Ökonomie“ bezeichnet, modernistisch nachgebetet. Journalisten übernehmen unreflektiert das Vokabular von Firmenchefs und Politikern und betrügen so die Bevölkerung, schreibt die Literatin in ihrem Bestseller. Ganz FDP-like wirft sich „Econy“ für die „Gründergeneration“ ins Zeug. Ein Leser teilte per e-Mail „Take a social problem and turn it into a business idea“ mit; das klingt „irgendwie gut“, schreibt Chefredakteurin Gabriele Fischer im jüngsten Editorial.
Gelassene Reaktionen der Konkurrenz
Unterdessen reagiert man bei dem in Düsseldorf erscheinenden und zur Holtzbrinck-Gruppe gehörenden „Handelsblatt“ gelassen. Die Düsseldorfer vermelden mit 161000 Exemplaren ein Auflagenrekord. „Auch bei global funktionierender Wirtschaft wollen die Leser einer Nation diese Welt durch ihr nationales Fernrohr sehen“, so „Handelsblatt“-Geschäftsführer Heinz-Werner Nienstedt in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“. Die Erfolgsaussichten von Pearson/G+J werden von ihm als „gering“ eingeschätzt – ein „Handelsblatt“ auf englisch hätte auch keinen Erfolg.
Bei der FAZ (Auflage 400000) übt man sich ebenfalls – zumindest nach außen – in Gelassenheit: „Warum sollen wir auf diese Ankündigung reagieren“, sagte der Vorsitzende der Geschäftsführung, Jochen Becker in einem Gespräch mit der „FR“, „ich teile die Skepsis meines Kollegen Nienstedt“. Das Original sei allemal besser, als eine Kopie. Im übrigen sei ihm das Konzept seit gut zwei Jahren bekannt.
Fest steht, daß Bernd Kundrun den Erfolg braucht. Der ehemalige Manager des Pay-TV-Senders Premiere ist seit einem Jahr Mitglied im ehrwürdigen World Economic Forum, das sich einmal im Jahr im noblen Schweizer Wintersportort Davos zum globalen Meinungsaustausch trifft, seit 1997 im Vorstand von G + J und designierter Nachfolger von Gerd Schulte Hillen. Dieser leide immer noch „wie ein Hund“ an der „Tango“-Pleite von vor vier Jahren, wie aus seiner Umgebung hin und wieder zu hören ist. Damals wollte G+J mit einer Zeitschrift „neuen Typs“ die Branche aufmischen. Der dafür eigens engagierte ehemaligen „Bild“-Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje kündigte „den größten Illustriertenerfolg seit der Gründung des „Stern“ oder einen Riesencrash“ an und landete letzteren. Zum Oktober 2000 verläßt Schulte-Hillen den Chefsessel im G + J- Vorstand und wird Vorsitzender des Aufsichtsrates.