Das schwierige Geschäft mit den Fernsehformaten
Da staunt der Laie, und der Fachmann ärgert sich. Wenn im Journalismus oder in der Literatur ein Autor unverhohlen abschreibt, bekommt er Ärger. Wenn im Fernsehen ein Sender unverhohlen ein Erfolgsformat eines Konkurrenten kopiert, passiert gar nichts.
Schuld daran ist der Bundesgerichtshof (BGH), denn der hat 2003 die denkwürdige Entscheidung getroffen, Fernsehformate seien „im Allgemeinen nicht urheberrechtlich schutzfähig“. Eine französische Produktionsfirma hatte geklagt, die Sendung „Kinderquatsch mit Michael“ sei das Plagiat eines französischen Originals („L’école des fans“), bekam aber nicht Recht. Das Gericht unterschied ganz bewusst zwischen erzählten Geschichten in Spielfilmen oder Serien und den Konzepten für Fernsehshows.
Es gibt daher keinen Formatschutz in Deutschland. Die Konzepte für Gameshows oder Reality-Reihen dürfen beliebig und ungestraft nachgemacht werden. Nur so ist zu erklären, dass vor allem die Privatsender darin wetteifern, sich mit nahezu identischen Formatkonzepten die Zuschauer abzujagen. Beispiele gibt es genug. Selbst Laien erkannten die Parallelen zwischen „Die Alm“ (Pro Sieben / Blue Eyes) und „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ (RTL / Granada). Bei „Hire or Fire“ (Pro Sieben / Endemol) war die Kopie sogar noch vor dem Original („Big Boss“, RTL / Grundy Light Entertainment) auf Sendung. Eine Kopie ist auch das Babysitter-Format „Die Supermamas“ (Constantin Entertainment). Immerhin ließ RTL 2 eine gewisse Schamfrist verstreichen, ehe man die Variante der „Die Super Nanny“ (RTL / Tresor TV) startete. Beim „Frauentausch“ (Constantin Entertainment) war RTL 2 weniger höflich: Der kleine Sender kam der großen Schwester RTL sogar um ein Jahr zuvor.
Selbst die Nutznießer des BGH-Urteils fühlen sich jedoch nicht wohl in ihrer Haut. Kein Wunder: Schon morgen können sie selbst die Dummen sein, deren Erfolgsformat kopiert wird. Nicht nur aus diesem Grund finden Marc Heinkelein und Christoph Fey die Situation unhaltbar. Mit Unterstützung von Fey hat Medienrechtsanwalt Heinkelein ein auch international viel beachtetes Praxishandbuch dazu veröffentlicht. Detailliert weisen die Juristen der Urteilsbegründung des BGH mehrere Widersprüche nach. Ihr Schluss: Die generelle Schutzversagung für Showformate und -konzepte sei „in ihrer Begründung nicht haltbar“.
Unklarer Grenzverlauf
Heinkelein kann es ohnehin überhaupt nicht nachvollziehen, dass der BGH den Fernsehformaten den Status als „persönliche geistige Schöpfung“ abspricht. Die Konsequenz dieser Entscheidung: Nun könne nicht mal mehr geprüft werden, ob ein zweites Format eine unzulässige Kopie des Originals darstellt oder nicht. „Mit dieser Entscheidung wird den Formaten der urheberrechtliche Boden von vornherein komplett entzogen“, stellt Heinkelein fest. Bis zum BGH-Urteil habe der Grundsatz gegolten, dass das Recht „auf freies Kulturschaffen“ bei einem Format immer dort seine Grenze findet, „wo das Originalformat nicht nur als Anregung dient, weil die übernommenen Elemente im Zweitformat nicht verblassen, sondern deutlich durchschimmern“.
Als Anwalt der vor gut drei Jahren gegründeten FRAPA (Köln) ist Christoph Fey ein Experte für diese Grauzone. Der Verein zur Anerkennung und zum Schutz von Formaten (Format Recognition and Protection Association e.V.) ist eine internationale Mediationsstelle, die bei Formatstreitfällen hilft, eine gegenseitig annehmbare Lösung zu finden. Dreißig Formatstreitigkeiten hat FRAPA im letzten Jahr weltweit verhandelt, aber nur eine in Deutschland. Kein Wunder: Das BGH-Urteil, so Fey, „steht auch einer außergerichtlichen Streitschlichtung im Weg“. Es sei kaum möglich, die Gegenseite davon zu überzeugen, sich auf eine solche Streitschlichtung einzulassen, wenn sie davon ausgehen könne, vor Gericht ungestraft davon zu kommen: „Niemand will sich freiwillig schlechter stellen.“
Wo aber verläuft die Grenze? Wann wird ein ähnliches Format zum Plagiat? Fey erläutert dies am Beispiel der beiden Formate „Ich bin ein Star“ und „Die Alm“. Als die ersten Vorwürfe laut wurden, erklärten die Produzenten, sie seien gut vorbereitet, denn es gebe eine lange Liste mit Unterschieden. Das, betont Fey, sei „ein alter Irrtum, der gern zur Verteidigung vorgebracht wird: Es kommt eben nicht auf irgendwelche Unterschiede, sondern zuallererst auf die Gemeinsamkeiten an“. Auch für den unvoreingenommenen Zuschauer sei es „offensichtlich, dass für das Format ‚Die Alm‘ individuelle Züge von ‚Ich bin ein Star‘ übernommen wurden“.
Für falsch hält Heinkelein auch die BGH-Feststellung „Fernsehformate entwerfen keine fiktionale Welt“: Für das Unheberrecht spiele es überhaupt keine Rolle, ob es sich um „Fiction“ oder „Non-Fiction“ handele. Außerdem bedeute „Non-Fiction“ ja nicht, dass Inhalte von Fernsehshows nicht erfunden würden. Nähme man den BGH beim Wort, fielen auch Dokumentarfilme (gleichfalls „Non-Fiction“) nicht unters Urheberrecht. Hinzu kommt: „Auch die Auswahl und Anordnung nicht geschützter Elemente kann bereits für sich allein urheberrechtlich geschützt sein, soweit es sich um eine individuelle Auswahl und Anordnung handelt“. Und Fey fragt rhetorisch: „Irren all die Fernsehschaffenden, die rund um die Welt mit Formatlizenzen handeln, wenn sie annehmen, dass man geistiges Eigentum an einem Format haben kann?“
Präzedenzfall hilft nicht
Selbst bei anderer Rechtslage aber würde es Kopien wie den „Frauentausch“ immer wieder geben. Die Versuchung ist offenbar zu groß, teure Lizenzgebühren zu sparen und ein erfolgreiches Format einfach ein bisschen zu variieren. Vereinzelt gibt es den Vorschlag, einen Präzedenzfall zu schaffen. Andere Wirtschaftszweige, etwa die Computersoftware-Industrie, haben das vorgemacht. Ute Biernat (Grundy Light Entertainment) hält davon gar nichts: „Wenn keiner einsieht, dass wir uns gerade gegenseitig das Wasser abgraben und dass hier Zustände herrschen wie im Wilden Westen, dann können wir Präzedenzfälle schaffen, wie wir wollen. Dann ist der Markt irgendwann typisch deutsch geregelt, und das will auch keiner, denn damit wird nur die Kreativität beschränkt“. Borris Brandt (Endemol Deutschland) bezweifelt gleichfalls, dass ein Präzedenzfall für klare Verhältnisse sorgen würde: „Eine Firma wie wir müsste einen Sender und einen Produzenten verklagen. Die Folge davon wäre bloß, dass wir keinen Auftrag mehr bekämen“. Auch Axel Kühn, Geschäftsführer von Tresor TV, glaubt: „Das würde man bis zum Europäischen Gerichtshof durchfechten müssen“.
Fey hat Verständnis für die Produzenten: „Man verklagt niemanden, von dem man auch leben muss“. Trotzdem werden Formate nicht im rechtlosen Raum gehandelt. In vielen Fällen, so Fey, könne das Wettbewerbsrecht eingreifen: „Es gibt einen wettbewerbsrechtlichen Schutz gegen Vertrauensbruch, Herkunftstäuschung, Rufausbeutung und auch gegen die gezielte Behinderung von Mitbewerbern“. Die ungestrafte Kopierwut im Fernsehen, findet Fey, gefährde zudem den fairen Wettbewerb. Sein Vorschlag für einen Ausweg aus dem Dilemma: Man könne doch die wettbewerbsrechtliche Rechtsprechung zugunsten von Modeneuheiten auch auf den Formatschutz übertragen. Modeneuheiten genießen laut BGH „einen saisonalen Innovationsschutz“; das wäre doch auch für das schnelllebige Fernsehen die richtige Antwort. Eine andere wird es wohl ohnehin nicht geben. Mit einer Solidarität von Sendern und Produzenten „im Namen des guten Fernsehens“ rechnet Fey jedenfalls nicht.