Kein Stechuhrjournalismus

Betriebsrat der Ostsee-Zeitung setzt Einigungsstelle für Arbeitszeit-TÜV durch

Eine frische Brise weht in den Redaktionsstuben der Hansestadt Rostock: Die Arbeitszeiten von 110 Redakteuren der Ostsee- Zeitung sollen künftig erfasst werden. Der Betriebsrat der OZ will das mit Hilfe einer Einigungsstelle durchsetzen.

Auslöser war die Einführung eines Newsdesk, der klarere Entscheidungsstrukturen herbeiführen soll und eine grundlegende Veränderung des Redaktionsalltages und des journalistischen Arbeitens bedeutet: Außenreporter und Tischredakteure haben getrennte Aufgaben – die einen recherchieren und schreiben, die anderen produzieren und überwachen. (siehe „M“ 05 / 2005)

Ist der Newsdesk ein Jobkiller? Der Betriebsrat will das verhindern. Und weil Ende 2005 eine Betriebsvereinbarung und der Regionaltarifvertrag auslaufen, in denen eine Beschäftigungssicherung vereinbart ist, schlug er einen Arbeitszeit-TÜV vor. Der soll offenlegen, wie viel tatsächlich gearbeitet wird. Voraussetzung ist die Erfassung der Arbeitszeiten. Über ein Jahr diskutierte der Betriebrat und informierte die Belegschaft umfassend. Er verhandelte mit der Geschäftsleitung, unterbreitete mehrere Vorschläge, zeigte sich kompromissbereit – ohne Erfolg. Robert Haberer, Betriebsrat und Journalist: „Viele haben Angst um ihren Arbeitsplatz und glauben nicht, dass die Arbeit nur neu organisiert wird. Aber: Beim Erfassen der Zeiten machen nie alle mit. Und: Die Vorgesetzen drohen mit Leistungskontrolle und lehnen die Betriebsrats-Ideen als ,Rattenschwanz an Bürokratie‘ ab.“

Für eine flexible Gleitzeit

Anfang des Jahres erklärte der Betriebsrat die Verhandlungen für gescheitert. Er rief die Einigungsstelle an. Das ist eine betriebliche Schichtungsstelle nach dem Betriebsverfassungsgesetz mit einem unparteiischem Vorsitzenden. Ein Einigungsstellenspruch ist für Arbeitgeber und Betriebsrat bindend. Diese Einigungsstelle konnte jedoch erst mit einem Eilverfahren beim Rostocker Arbeitsgericht vom Betriebsrat durchgesetzt werden. Der Arbeitsgeber akzeptierte die erstinstanzliche Eil-Entscheidung. Nun steht die erste Sitzung bevor. Robert Haberer: „Wir müssen Lösungen finden, wie Beschäftigungssicherung auch nach dem 31. Dezember 2005 möglich ist und wie wir künftigen Kündigungsandrohungen etwas entgegensetzen können.“ Der Betriebsrat setzt auf eine flexible Gleitzeit-Regelung, die Gestaltungsspielraum lässt und zudem offen für Schichtmodelle ist. Arbeitsschritte oder der Zeitaufwand fürs Schreiben oder Recherchieren sollen nicht kontrolliert werden.

Die OZ-Redakteure sind einerseits skeptisch. Sie stimmen ihrem Betriebsrat aber darin zu, dass es nicht dem Einzelnen überlassen bleiben kann, Arbeitszeiten aufzuschreiben. Und das ist ein wichtiger Schritt, das Gespenst vom Stechuhrjournalismus aus den Redaktionsstuben zu vertreiben.

 


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