Mit rebellischem Charme

Geld – thematisiert im Kino und im wirklichen Leben des Filmfestivals „Femme Totale“

Werbeplakate, in der Dortmunder Innenstadt gut sichtbar angebracht, zeigten einen kessen roten Stöckelschuh mit Pfennigabsatz, in Form eines Stapels Münzen. Das Thema Geld war Schwerpunkt beim 10. Internationalen Filmfestival „Femme Totale“. Ein Thema, das den Verein selbst unmittelbar betrifft: Kürzungen sind geplant. Entsprechend bissig, ironisch und mit rebellischem Charme ging es denn auch mit Filmen und Filmgesprächen zur Sache.

Doch zunächst die gute Nachricht: Die israelische Regisseurin Keren Yedaya gewann mit ihrem Film „Or“, einer israelisch-französischen Koproduktion, den Preis des Spielfilmwettbewerbs in Höhe von 25.000 Euro. „Or“ ist einer der Filme, die für den Charakter des Frauenfilmfestivals typisch sind: Der Film erzählt ungeschminkt von den Lebensverhältnissen der Prostituierten Ruthie und ihrer Tochter Or. Er handelt von kleinen und großen Demütigungen, die tagtäglich zu verkraften sind; von Erniedrigungen, die von der Notwendigkeit des Geldverdienstes bestimmt sind. In diesem Fall: Vom Älterwerden, der sinkenden Nachfrage von Freiern, von Infektionen nach dem Beischlaf, der zunehmenden Schwierigkeit die Wohnungsmiete aufzubringen. Ruthies siebzehnjährige Tochter Or geht zunächst noch Tellerwaschen und verschafft ihrer Mutter sogar einen Job im Haushalt. Doch der Film zeigt: Die Kunst, die exakte Mischung des Hundefutters hinzubekommen und Kissen faltenfrei zu beziehen, sowie die damit verbundenen Herrschaftsverhältnisse, sind nahezu ebenso deprimierend wie das mies laufende Geschäft im Rotlichtmilieu. Typisch ist der von der Jury prämierte Film jedoch vor allem deshalb für das Dortmunder Filmfestival: In den hier ausgewählten Filmen geht es um die gesellschaftskritische Behandlung von Konfliktstoffen. Solche, wie sie Herbert Marcuse in „Der eindimensionale Mensch“ einst interpretierte: Die „freie Marktwirtschaft“ wirke sich für die Mehrheit der Bevölkerung als „Freiheit zu hungern oder zu arbeiten“ aus, als „Plackerei, Unsicherheit und Angst“.

Weiterhin kennzeichnend für die Qualität der Festivalfilme: Die Filmemacherinnen sind stets nah an den Emotionen ihrer Figuren, und damit auch an den Zuschauern dran. Die Botschaft könnte man vielleicht mit den Worten von Germaine Greer („Der weibliche Eunuch“) ausdrücken: „Es kotzt mich an, durch falsche Wimpern die Welt anzublinzeln, so dass alles, was ich sehe, durch den Schatten gekaufter Haare verschleiert ist“. Tatsächlich war bei „Femme Totale“ kein einziger Film zu entdecken, der jene Kniefälle vor dem naiven Spaßwahn nachvollzieht, wie sie im Fernsehen oder in Hollywoodschinken oft vorherrschen.

Außergewöhnlich gefühlsstarke Filme wie etwa der australische Film „Sommersault“ gab es zu sehen. Keine Spur von der Bravheit und Langeweile einer Populärschnulze. Der Plot: Die sechszehnjährige Heidi probiert sich sexuell aus. Will heißen: Sie ist nicht unbedingt in das Objekt ihrer Begierde verliebt, wenn sie mit einem Mann (oder auch zweien) ins Bett geht. Der im Zeitgeist propagierte Hang zur Familienbildung ist dieser Hauptfigur sichtlich schnurzpiepegal. Die australische Regisseurin Cate Shortland greift in ihrem Film tief in den Schmelztiegel des richtigen Lebens. Wo es bekanntlich kaum verklärte Romantik, sondern allenfalls spießige Doppelmoral gibt. Dementsprechend lautet die lustvoll verfilmte Message: „Lasst uns offen zu unseren kleinen Tabubrüchen stehen.“ Die Vorzüge des Films: Erstens hat er einen hohen Unterhaltungswert. Zweitens manifestiert er mit seinem provokativen Ansatz, von welch aufgesetzten und schwachsinnigen Storys domestizierter und erzkonservativer Frauenleben wir häufig in Fernsehen und Mainstram-Kino konfrontiert sind. „Sommersault“ kommt im Sommer ins Kino.

Der argentinische Film El Cielito, zu deutsch: „Das kleine Himmelchen“, zeigt indes, wie selbst die Erfüllung bescheidenster Wünsche in weite Ferne rücken kann. Die Regisseurin Maria Victoria Menis zeigt schonungslos wie die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten zur Explosion unerbittlicher Gewaltverhältnisse führen kann: Der junge Landarbeiter Felix wird Zeuge, wie sein Arbeitgeber, ein jähzorniger Farmer, tagtäglich seine Frau misshandelt, bis sie eines Tages spurlos verschwindet. Felix hat zu deren Kind Chango eine liebevolle Beziehung aufgebaut, will ihm ein besseres Leben bieten. Doch daraus wird nichts. In der lärmenden Großstadt angekommen, sucht er einen Job. Von einem scheinbar netten Jungen, genannt Cadillac, der selbst nichts anderes will, als überleben und ein Dach über dem Kopf, lässt er sich überreden, ihn zu einem Job zu begleiten. Die Sache geht nicht gut aus, es handelt sich um einen Killerauftrag. Felix ist als Ablenkungsmanöver und Zielscheibe auserkoren. Was der Junge offenbar gar nicht böse gemeint hat: Der 22-jährige Landarbeiter muss sterben, damit der junge Killer, fast selbst noch ein Kind, leben kann. So sind eben die Verhältnisse – das wird lakonisch erzählt. Baby Chango wird wie Felix selbst aufwachsen: Ohne Zuwendung, mutterseelenallein im Haushalt einer Zufallsbekanntschaft, eines Killers, der Täter und Opfer zugleich ist.

Das Besondere an diesem Filmfestival „Femme Totale“, das alle zwei Jahre, im Wechsel mit der „Feminale“ in Köln läuft, sind jedoch nicht nur die Filme, die nach Möglichkeiten künstlerischer Subversion und radikalen Widerstands fragen. Auch das Angebot politischer Diskussion ist bemerkenswert: Typisch dafür ist wohl der Umgang mit Daniella Marxers Essay „Die Kinder des Geldes“. Begleitend zum Film, der die Perversionen der High Society des Steuerparadieses Liechtenstein thematisiert, war die Fotoausstellung der Fotografin Barbara Bühler in der Reinoldi-Kirche zu sehen. Fotografien mit leeren Sitzungssälen verwiesen auf die Anonymität und Undurchsichtigkeit jener geschlossenen Gesellschaften, die über die Anhäufung von Reichtümern verhandeln. Die Volkswirtschaftlerin Elisabeth Paskuy (von Attac) erörterte, wie dieser Spuk der Volkswirtschaft Geld entzieht. Dass Moderation kein harmloses Geplänkel à la Christiansen sein muss, bewies Betty Schiel in dieser Runde. Sie will wissen, wie der Spuk möglicherweise zu beenden wäre.

Keine Frage, der Fortbestand des Filmfestivals muss gesichert werden, bietet es doch eine echte Alternative zur main- streamigen Film- und Fernsehindustrie. Außerdem sprühen die Veranstalterinnen nur so vor guten Ideen. Dieses Jahr neu eingeführte Workshops bieten jungen Filmemacherinnen eine gute Möglichkeit zur Vernetzung untereinander.

Doch im Kulturministerium NRW hegt man Pläne, das Dortmunder Festival platt zu sparen. Angedacht ist eine Zusammenlegung mit der „Feminale“ in Köln. Von den einst 160.000 Euro des Kulturministerium NRW für beide Organisationen sollen nur 100.000 jährlich übrig bleiben. „Das gibt uns den Rest, denn beide Festivals haben ganz unterschiedliche Strukturen“, meint die Pressereferentin von „Femme Totale“, Stefanie Görtz. Dieses Filmfestival, das sich nationaler und internationaler Aufmerksamkeit erfreut, zu kürzen, würde wohl Scharen von Cineastinnen verärgern. Das sollte der Minister, Michael Vesper (Grüne), vielleicht bedenken. Wozu ein kulturloses Umfeld führen könnte, zeigte schließlich Jennifer Reeves kunstvolles Filmdebüt „The time we killed“: Hier enthält sich eine New Yorkerin jeglicher gesellschaftlichen Teilhabe, Konsumverweigerung und Produktionsverzicht inbegriffen. Der Grund: Persönliche Frustration oder Widerstand gegen eine ignorante, kriegsbejahende, unsensible und frauenfeindliche Umwelt? Der Film gibt darauf bewusst keinen Antwort, doch die pfeifen die New Yorker Spatzen längst von den Dächern.

 

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