Interview mit Albrecht Reinhardt, Leiter der PG Ausland des WDR
Albrecht Reinhardt, seit 25 Jahen beim WDR, ist seit 1997 Chef de Pogrammgruppe Ausland des WDR. Er wa Korrespondent in Nairobi, Moskau und Warschau. Die Programmgruppe liefert Beiträge an die ARD und verantwortet unter anderem Boulevard Europa und Babylon. Mit Albrecht Reinhardt sprach Dirk Bathe.
Herr Reinhardt: Gab es einen Bericht zum Jugoslawienkrieg, von dem Sie im Nachhinein sagen: Der wäre so besser nicht gelaufen?
A.R.: Es gab aktuelle Berichte, die eher verwirrten als informierten. Es gab Berichte, wie das „Serbische Tagebuch“, die zu spät gelaufen sind, wo, wie in diesem Fall, die serbische Sicht der Dinge früher hätte dargestellt werden müssen.
Ein Problem war doch wohl auch, daß viele Informationen aus zweiter Hand stammten, weil Journalisten in den Kosovo gar nicht reingelassen wurden?
Ganz klar – es gab große Lücken, weiße Flecken in der Berichterstattung. Aber das war der Preis, den wir zahlten, um unsere Leute zu schützen. Denn ich hätte niemandem geraten, in den Kosovo zu gehen.
Sie sprechen die beiden getöteten „Stern“-Journalisten an. Auch ein Korrespondent des Bayerischen Rundfunks ist trotz der Ausweisung von serbischer Seite bis zum allerletzten Moment in Jugoslawien geblieben. Stehen öffentlich-rechtliche Reporter und Korrespondenten mittlerweile unter dem gleichen Lieferdruck wie die private Konkurrrenz?
Nein, eigentlich nicht. Der Korrespondent, den Sie meinen, hat auf eigenen Wunsch seinen Aufenthalt solange durchgehalten. Und er mußte vom Intendanten des Bayerischen Rundfunks angewiesen werden zu gehen. So wie die Sender angewiesen wurden, nichts mehr von diesem Korrespondenten abzunehmen, um ihn nicht weiter zu gefährden. Da hat die Fürsorgepflicht glücklicherweise gegriffen. Wir haben auch überlegt, ob wir freie Journalisten mit einer Versicherung ausstatten sollen, falls sie für uns berichten, und uns dagegen entschieden.
Die „weißen Flecken“, die Sie eben ansprachen, sind im Golfkrieg, Stichwort Zensur und Manipulation, häufig thematisiert worden. Im Jugoslawienkrieg ist das nicht so oft geschehen?
Um das zu beurteilen, ist es noch zu früh. Wir wissen ja selbst heute nicht über alle Manipulationen im Golfkrieg Bescheid. Zur aktuellen Situation: Kollegen aus Brüssel haben uns erzählt, daß die Bilder von der Pressekonferenz der NATO in Brüssel von einer NATO-Kamera mit einem NATO-Kameramann geliefert wurden. Was nichts am Inhalt des Gesagten ändert, aber doch die Frage aufwirft: Wer hat denn die Produktionsmittel für journalistische Arbeit noch in der Hand? Wir haben Manipulation und Desinformation auch diesmal erlebt. Aber eher kurzfristiger Natur…
….wie die Reaktion der NATO auf Meldungen über zivile Opfer?
Zum Beispiel. Aber in solchen Fällen haben wir es relativ einfach, die Angaben mit Quellen zu versehen. Klar zu machen, wer da was gesagt hat. Wenn Herr Scharping Angaben über Opfer bei Massakern macht, dann wird er gefragt, woher er das weiß. Der Unterschied zum Golfkrieg: Wir haben es diesmal mit einer deutschen Regierung zu tun, die willentlich und mit Überzeugung in diesen Krieg gegangen ist. Und in dieser Situation erreicht der Propaganda-Apparat der Regierung eine neue Qualität. Ich habe noch keinen Verteidigungsminister erlebt, der wie Herr Scharping mit Fotos vor die Presse gegangen ist und uns aufforderte, genau das zu beschreiben, was auch er daraus erkenne. Der in Interviews keine Zwischenfragen mehr zulassen will. Als müsse er sich selbst von dem überzeugen, was er da sagt.
Ein Ergebnis dieser Propaganda-Aktionen war auch, daß viele Journalisten sich einer „sanften“ Kriegssprache bedienen. Da werden Bombardierungen zu Luftangriffen und Besatzungstruppen zu Schutztruppen. Haben da nicht zu viele die Sprache des Siegers übernommen?
Der Streit um Sprache ist immer ein Streit um die Köpfe von Menschen. Ich ärgere mich über solche Begriffe wie Luftangriffe. Das ist verharmlosend. Nur: Das ist in jedem Krieg so, gehört zur Propaganda, und es ist Aufgabe des Journalisten, sich davon nicht vereinnahmen zu lassen. Sonst wird er in der Tat zum Sprachrohr einer Seite.
Haben Sie Sprachregelungen innerhalb der Senders diskutiert? Auch als Konsequenz aus den Erfahrungen mit dem Golfkrieg?
Ja, es gab eine große Diskussion innerhalb des WDR, auch eine Redakteursversammlung. Wie gehen wir mit diesem Krieg um, wie verhalten wir uns als Journalisten. Aber es sind keine Parolen ausgegeben worden. Die Diskussion war sehr selbstkritisch, auch was die „Brennpunkt-Sendungen“ angeht. Da war eine Reihe von Kollegen der Meinung, wir würden uns zum Sprachrohr von Politikern machen.
Und vor allem der Quote. Den Brennpunkt schalteten viele Zuschauer ein, obwohl oft nicht mehr zu sehen war, als die Wiederholung der Tagesschau-Beiträge.
Man muß sehr selbstkritisch reflektieren, ob das nicht tatsächlich so der Fall gewesen ist. Und ob nicht einige Sendungen tatsächlich vom Quotenaspekt geprägt worden sind. Es hat auch sehr differenzierte Brennpunkte gegeben, in denen Aspekte des Aktuellen eingeordnet und vertieft wurden. Das Problem ist: Fernsehen braucht Bilder. Und die hatten wir manchmal nicht. Auf der anderen Seite: Wenn wir nicht ständig berichtet hätten, würden viele sagen: Das ist denen zu unangenehm, daß die Deutschen jetzt in den Krieg ziehen, die wollen das totschweigen.
Kaum angesprochen wurde in vielen Beiträgen rechtliche Aspekte des Jugoslawienkrieges. Angriffskrieg trotz Verbotes in der Verfassung, zum Beispiel.
Oder auch der völkerrechtliche Aspekt. Aber ich bin nicht unzufrieden mit dem, was wir in dieser Hinsicht gesendet haben. Ich führe nun keine Strichliste, was da wie häufig thematisiert wurde. Ich kann nur sagen: Wir haben uns natürlich gefragt, ob das ausreicht und richtig ist, was wir da machen. Was die „Brennpunkte“ angeht: Der Balkan ist nicht das Feld des Westdeutschen Rundfunks. Federführend ist dort der Bayerische Rundfunk….fragen Sie den.
Bei Gelegenheit. Der Konflikt im Kosovo geht weiter, die journalistische Begleitung ist längst nicht abgeschlossen. Aber dennoch: Eine – vorläufige – Bilanz?
Wir haben uns noch nicht so richtig Rechenschaft darüber abgelegt, was wir da eigentlich gemacht, vielleicht auch angestellt haben. Das liegt daran, daß es zeitlich noch nicht weit genug weg ist. Und auch vielleicht daran, daß wir selber als Deutsche involviert sind. Eine Situation, die kein Journalist hier so kennengelernt hat.
Als Kriegsberichterstatter die eigenen Truppen zu begleiten?
Ja, genau. Der letzte Krieg mit deutscher Beteiligung vergleichbar dem Jugoslawieneinsatz war schließlich der zweite Weltkrieg. Bei uns im Sender gibt’s schon länger keinen mehr, der da noch aus eigener Anschauung vergleichen könnte.
Muß erst eine neue Generation deutscher Kriegsberichterstatter heranwachsen?
Bei dem,was wir jetzt erleben, wie eben die neue Qualität deutscher Regierungspropaganda. An den „Guten“ also die NATO-Staaten und ihre Vertreter, darf man keine kritischen Fragen stellen. Weil man kritische Fragen mit der Rechtfertigung des Kriegsgegners gleichsetzt. Das ist die vielleicht gefährlichste Entwicklung für den Journalismus, die aus diesem Krieg aus dem Balkan resultiert. Dieser Entwicklung müssen sich alle Journalisten entgegenstellen.