Anschein scheinbarer Scheinselbständigkeit?

Mit der Nachbesserung droht eine Verschlimmbesserung

Die Debatte um wirkliche und angebliche Folgen der gesetzlichen Neuregelung des Problems der „Scheinselbständigen“ hält an. Die Bundesregierung hat auch hier „Nachbesserungen“ angekündigt, wie inzwischen die Sprachregelung für ein Einknicken der Politik vor wirtschaftlicher Macht lautet. Derweil agieren Arbeitgeber um so dreister, gerade auch in der Medienbranche.

„Auch als Arbeitgeber nehmen wir unsere Verantwortung für die Region ernst“, verkündete in einer Medieninformation zum Sendestart am 14. Juli „Antenne Bremen“, der Sender für das „letzte Bundesland“ Deutschlands ohne Privatradio. Das sieht dann so aus: Damit der Sender bekannt wird, laufen uniformierte junge Menschen durch die Stadt: einheitlich weißes T-Shirt, darauf das Sender-Logo in blau und rot und den Frequenzangaben sowie dem Werbespruch: „Wir von hier.“ Eine junge Frau berichtet strahlend von den Verdienstmöglichkeiten in der Hansestadt, deren Arbeitslosenrate eher in ostdeutschen Höhen liegt. 17,50 Mark pro Stunde erhält das Mädchen im Einheitsdress. Auf Lohnsteuerkarte? Nicht doch: „Ich habe ein Gewerbe angemeldet, bin jetzt selbständige Propagandistin und erhalte deshalb brutto für netto. Toll!“

„Brutto für netto – toll!“

Ulrich Schürger, in einer Person Geschäftsführer und Programmdirektor des neuen Senders, sieht in der Tätigkeit des „eigens zusammengestellten und geschulten Promotions-Teams“ keine arbeits-, sozial- oder finanzrechtlichen Probleme: „Nö. Das haben wir vorher geprüft.“ Doch nicht reden möchte er darüber, in welchem rechtlichen Verhältnis das nach seinen Angaben 50 bis 60 junge Leute umfassende Team zu seinem Sender steht. Doch mit Scheinselbständigkeit habe deren Tätigkeit nichts zu tun, „um Gottes Willen!“

Wenn Schürger da man nicht irrt. Und er wird auch kaum besser dastehen, wenn die Bundesregierung die Vorschläge umsetzen sollte, die Mitte Juli die Kommission „Scheinselbständigkeit“ zur angeblichen Präzisierung des gerade zum Jahresanfang in Kraft getretenen Gesetzes gemacht hat. Das neue Gesetz hatte, als Folge unter anderem einer „politischen Kampagne“ vor allem des BDZV (Bundesverband Deutscher Zeitungs-Verleger), so IG-Medien-Vorsitzender Detlef Hensche, zu „maßlos aufgebauschten Unsicherheiten“ geführt.

Die werden nur zu einem geringen Teil durch die Kommissionsvorschläge behoben; deren Arbeit sei zu einem großen Teil „der ideologischen Verblendung“ einiger Mitglieder entsprungen, so Gewerkschaftssprecher Henrik Müller. Deren „Ideal- und Wunschbild“, so Müller, seien „Existenzgründer“ als „Helden der Nation“.

Doch um eben die geht es in dem neuen Gesetz gar nicht, hat jetzt noch einmal die DGB-Vizevorsitzende Ursula Engelen-Kefer unterstrichen. Die Neuregelung richte sich nicht gegen Existenzgründer – oder, ist zu ergänzen, Selbständige wie wirklich freiberufliche Journalistinnen und Journalisten. Ziel sei vielmehr eine Erfassung abhängiger Beschäftigung, wobei es nicht um Erwerbstätige gehe, „die freiwillig ein Unternehmerrisiko übernommen haben“, sondern im wesentlichen um Menschen, die gegen ihren Willen und trotz eines bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses in den Status angeblicher Selbständigkeit gezwungen worden seien.

Während zum Beispiel wirkliche Freiberufler ihren Journalistenberuf auch mittels eigener Beiträge in der Absicherung durch die Künstlersozialkasse ausüben, drücken sich Scheinselbständige (oder werden dazu gezwungen) und ihre Arbeitgeber vor der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und werden mit großer Wahrscheinlichkeit der Allgemeinheit durch Krankheits- und Pflegekosten und im Alter durch Sozialhilfe zur Last fallen. In eine scheinbar freiberufliche Tätigkeit gezwungene Journalistinnen und Journalisten sind dabei übrigens allenfalls ein kleiner Teil des Problems der Scheinselbständigkeit. Ursula Engelen-Kefer verweist auf eine Studie des IAB (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg), wonach inzwischen knapp eine Million Menschen in Deutschland scheinselbständig seien: weitere anderthalb Millionen gehen im Nebenjob einer Tätigkeit im gleichen Status nach. Hier zögen die Arbeitgeber eine „Schmutzkonkurrenz“ heran, die sich epidemisch ausbreite.

Dem könnte die gesetzliche Neuregelung weitgehend Einhalt gebieten. Doch nach massiven Protesten vor allem von Arbeitgeberrepräsentanten hat die Bundesregierung eine „Kommission ,Scheinselbständige'“ unter der Leitung des früheren Präsidenten des Bundesarbeitsgerichtes, Thomas Dieterich, berufen. Aber die Empfehlungen dieser nach Ansicht der IG Medien „ohnehin arbeitgeberlastig besetzten“ Kommission sind kaum sinnvolle „Präzisierungen“. Nicole Weber, Fachfrau beim IG-Medien-Hauptvorstand für Freiberufler in den Medien, rät, vor einer weiteren Gesetzesnovelle erst einmal Verbesserungen im sogenannten Abgrenzungskatalog der Sozialversicherungsträger vorzunehmen, was schon weitgehend zu notwendigen Klarstellungen führen könne.

Kontrolle durch Sozialversicherungsverträger

Ansonsten verschlimmbessern die Kommissionsvorschläge die neue Regelung eher oder fordern Belangloses. Nach der bestehenden Neuregelung im vierten Teil des Sozialgesetzbuches (SGB-§ 7 (4), Ziffer 1-4) liegt für alle, die arbeiten, die Vermutung nahe, abhängig beschäftigt zu sein, wenn sie wenigstens zwei von vier aufgezählten Merkmalen aufweisen. Die Kommission schlägt ein fünftes Kriterium vor, und dann sollen wenigstens drei Merkmale Voraussetzung für die Vermutung einer abhängigen Beschäftigung sein. Nicole Weber hielte das nur für annehmbar, wenn unter anderem „zeitnah eine effektive Kontrolle durch die Sozialversicherungsträger“ möglich wäre.

Doch genau daran ist zu zweifeln. Auf den eingangs geschilderten Fall angesprochen, will sich ein Sprecher der unter anderem zuständigen Landesversicherungsanstalt Oldenburg-Bremen zwar nicht konkret äußern, spricht aber grundsätzlich von einer „Sisyphos-Arbeit“ und gesteht zu, daß mit der üblichen Kontrolle der Lohn- und Gehaltsbuchhaltung von Unternehmen im Vier-Jahres-Turnus mögliche Gesetzes-Umgehungen kaum zu erfassen seien. Unter der Zusicherung der Anonymität wird ein Vertreter einer großen Bremer Krankenkasse deutlicher: Angesichts von Personalmangel seien die Rentenversicherungsträger zu einer angemessenen Prüfung gar nicht in der Lage. Denn eine solche müsse die gesamte Finanzbuchhaltung umfassen, um Umgehungen überhaupt auf die Spur kommen zu können. Und mündliche Vereinbarungen wie möglicherweise zwischen einer Firma und „freiberuflichen“ Propagandisten seien kaum aufzuspüren. Da die Krankenkassen selbst – abgesehen von Einzelfällen – kein Prüfrecht mehr hätten, seien Verstöße gegen die Versicherungspflicht selbst dann kaum noch aufzudecken, wenn sie massenhaft vorkämen und die strafrechtliche Grenze zum Betrug deutlich überschritten werde. – Wohlan: Hier könnte sich die Bundesregierung endlich um sinnvolle „Nachbesserungen“ bemühen, und die „Dietrich-Kommission“ könnte „Präzisierungen“ zu deren Umsetzung vorlegen.

 

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