Mainz wie es sinkt und lacht

Warum das ZDF selbst beim harten Nachrichten-Journalismus auf der weichen Welle surft – Neues zur redaktionellen Unabhängigkeit

Ein unbestechlicher Kronzeuge für unabhängigen Journalismus ist Alexander Niemetz kaum. Seine dubiosen Kontakte zu PR-Firmen machten den Moderator des „heute journals“ beim ZDF am Ende mehr zu schaffen als seine politische Vergangenheit bei der hessischen CDU. Dies freilich ist noch kein Grund, die von Niemetz jetzt zu seinem Ausstand der „Zeit“ eröffneten Einblicke in den Mainzer Sender als rüden Racheakt zu tabuisieren und totzuschweigen. Immerhin ist Niemetz ein journalistischer Profi.

Und das ist offenbar eine aussterbende Spezies in den aktuellen ZDF-Redaktionen: „Früher war hier mal die Créme de la Créme, heute machen wir das ganze mit Studenten, mit Hiwis, mit Freien“, klagt der einstige ZDF-Anchorman.
Entsprechend sinke das journalistische Niveau. Das ZDF surft laut Niemetz auf der weichen Welle: „Wir machen hier statt harter Nachrichten immer mehr Boulevard.“ Der ehemalige ZDF-Chefredakteur Klaus Bresser sekundiert: „Die Tendenz zur Sensation, die gibt es zweifellos.“ Keine ZDF-Spezials zum Atomkonsens oder zur Steuerreform, empört sich Niemetz. „Dafür aber hat es gewallert, rauf und runter.“ Dramatisch sei die Personalknappheit am Mainzer Lerchenberg nach der Streichung von 600 Stellen Mitte der neunziger Jahre. Die Korrespondenten kröchen auf dem Zahnfleisch zu ihren Terminen, für journalistische Glanzstücke sei keine Zeit, die Kreativität gehe vor die Hunde. Stattdessen sei flotte Fließband-Produktion angesagt. Für die Nachrichten im Stundentakt müssten die immer gleichen Bilder immer neu geschnitten und getextet werden, stöhnt Niemetz in dem exellenten Zeit-Dossier („… wie es sinkt und lacht“) über die Verflachung des ZDF-Programms: „Alles ist nur noch Recycling, Recycling, Recycling“.

Fotografen der Deutschen Presse-Agentur haben immer häufiger nicht nur den sensationellen Schnappschuss im Sucher, sondern auch die drei Streifen – das Markenzeichen des Sportartikelherstellers adidas. Dies jedenfalls legt eine „vertrauliche“ Aktennotiz („Wir wollen keine schlafenden Hunde wecken“) von dpa-Fotochef Hans-Peter Hill nahe, in der die Landesbüros über die Zusammenarbeit mit adidas unterrichtet werden: „Informieren Sie Ihre Fotografen über diese Kontakte und bitten Sie darum, sich ins Zeug zu legen; wenn Ihnen der Namen adidas bei Großveranstaltungen im Sucher erscheint.“ Die Zusammenarbeit bezieht sich vor allem auf die Fußball-Bundesliga, die Formel 1 und die Olympischen Spiele im australischen Sydney. Ein Schelm der Argwohn daraus schöpft. Nach Darstellung von dpa-Fotochef Hill („Wir sind schließlich keine Werbeagentur“) geht es hier um grundsolide journalistische Arbeit. Der Sportartikel-Hersteller habe die dpa-Bilder mit den drei Streifen schließlich nicht als Werbefotos, sondern für seinen Pressedienst geordert, als „Fotomaterial, das presseähnlichen Charakter hat“. Wie beruhigend.

Auf eine Grauzone zwischen Journalismus und Promotion hat der Berliner Verlag nach einer entsprechenden Berichterstattung in der taz reagiert. Um die „redaktionelle Unabhängigkeit“ sicherzustellen wurde den Mitarbeitern der „Berliner Zeitung“ und des „Berliner Kurier“ untersagt, „Sondereinkaufsmöglichkeiten“ bei Anzeigenkunden zu nutzen. Die taz hatte berichtet, dass die Mitarbeiter des Berliner Verlages beispielsweise im Kaufhof zu Personalrabatten einkaufen könnten. Die Grauzone ist indes viel größer und reicht weit über Berlin hinaus. „In diesem Zusammenhang sollte man überlegen“, regt der Justitiar des Berliner Verlages an, „inwieweit Rabatte auf Vorlage des Presseausweises die journalistische Unabhängigkeit insgesamt tangieren.“

Die Berichterstattung über Aktenvernichtung im Kanzleramt hat zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen „Zeit“-Chefredakteur Roger de Weck, Ressortchef Martin Klingst und die beiden Autoren des Dossiers „Operation Löschtaste“ geführt. Der glänzend recherchierte Beitrag von Thomas Kleine-Brockhoff und Bruno Schirra basiert auf geheimen Anhörungsprotokollen von Kanzleramtsbediensteten durch Sonderermittler Burkhard Hirsch und beschäftigt sich mit der Frage nach Verantwortlichkeiten für die Akten- und Datenvernichtungen in der Regierungszentrale von Helmut Kohl. Zu Recht sieht „Zeit“-Justitiar Jörg Nabert in den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft eine Gefahr für die Pressefreiheit: „Hier soll offenbar der Versuch unternommen werden, mit Hilfe juristischer Mittel journalistische Recherche zu verhindern.“

Erneut schlägt der taz das Totenglöckchen. Dem bilanziell überschuldeten Alternativ-Blatt fehlen rund 7000 Abonnenten und mindestens eine Million Mark stille Reserven. Nach einem Verlust von 459000 Mark im zurückliegenden Geschäftsjahr 1999 ist das Eigenkapital der Genossenschaft eigenen Angaben zufolge „fast vollständig aufgezehrt“. Jetzt drohen die Berliner Blattmacher damit, die taz zum Jahresende einzustellen, wenn sich bis dahin nicht insgesamt 50000 Abonennten finden. Statt Orginalität und Exclusivität ins Blatt zu bringen, werden – wie in einem urkapitalistischen Betrieb – die Redakteure unf Diät gesetzt (der Essenszuschuss wurde gestrichen) und Stellenkürzungen angedroht. Das Dilemma der taz liegt tiefer und ist mit einer neuerlichen Abo-Droh-Kampagne kaum zu beheben. Spätestens mit Amtsantritt der rot-grünen Bundesregierung hat sich die taz als aufmüpfiges Oppositionsblatt endgültig verabschiedet. „Die taz ist jetzt bei Hofe“, spottet Willi Winkler in der „Süddeutschen Zeitung“, „von dort möchte man nicht mehr vertrieben werden.“ Das einstige Sponti-Blatt habe jetzt die Regierung, die es wollte und doch nicht verdient hat. „Worüber soll sie sich noch aufregen?“

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