Neue Tugenden

Neue Rechtschreibung

Der 1. August nahte unaufhaltsam. Was haben wir freien Autoren geflucht und gewettert. Regeln pauken bis zum Abwinken. Dann dieser Albdruck (jetzt mit b), dass nichts mehr beim Alten (jetzt groß) bleibt. Was ist damit überhaupt gemeint, werden Sie fragen. Warum bloß dieses Wettern und Fluchen? Von welchem Alten ist die Rede? Vom Verleger vielleicht? Oder dem Zeitungsboss? Und dann dieser Druck vom unterirdischen Erdgeist? Wo doch der Alte freigiebig alles – also wahrscheinlich Urlaubsgeld, dreizehntes Gehalt – herausrücken will:  Nichts bleibt beim Alten. Schwamm drüber. Nur eines dieser zahllosen Missverständnisse, ausgelöst durch die neue Rechtschreibregelung. Und um die geht es im Folgenden.

Bitte, hier die ganze Leidensgeschichte einer freien Journalistin: Seit Anfang August flatterten erste Alarmsignale in Briefform ins Haus. Aufgescheuchte Kollegen in den Zeitungsredaktionen berichteten von gräulichen – mit äu – Problemen mit dem Computersystem: Die neue Silbentrennung lasse sich nicht implementieren. Nonchalant teilten einige Redakteure außerdem mit, sie hegten den dringenden Wunsch, dass die neuen Regeln von den freien Mitarbeitern angewandt würden. Ab dem 1. August. Und zwar pünktlich! Und akkurat! Siehe da, mit der neuen deutschen Sprache kommen längst verschüttet geglaubte preußische Tugenden wieder zur Geltung.

Doch erst mal wurde es richtig lustig. Ein Regelkatalog nach dem anderen segelte in den Briefkasten. Nicht die gleichen. Wo denken Sie hin, das wäre wirklich zu einfach. Es gilt, die individuelle Note der Zeitungen zu wahren, das muß man verstehen. Etwas Abwechslung, das wird die Leser freuen. Und von den freien Mitarbeitern kann man ein bisschen mehr Leistung schon verlangen. Bei den fürstlichen Zeilengeldern, die – an guten Tagen zumindest – wahrhaft gigantische Stundensätze einbringen. Sagen wir einmal, netto rund 10,50 Mark. Es könnten auch 12,75 sein. Aber lassen wir diese Haarspaltereien, nachrechnen ist zu deprimierend und kostet Zeit.

Also wo war ich stehen geblieben: Die Papierberge auf meinem Schreibtisch – vor einem halben Jahr hat er das letzte Mal eine ordnende Hand gesehen – wuchsen also völlig außerplanmäßig und unverhältnismäßig an. Eine Schulung für die letzten Unwissenden in den Redaktionen, eine sogenannte „Lumpensammler-Sitzung“ in Sachen Rechtschreibereform in einem sehr humanen Verlag, in dem freie Mitarbeiter obgleich nicht eingeladen, so doch geduldet waren, hatte ich glatt verpasst.

Nichts half, Büffeln war angesagt. Unwillkürlich fühlte ich mich an trübe Schultage erinnert, die wir damals dahindämmernd – oh, dahindämmernd muß ich gleich im Duden nachschlagen – über öden Grammatikregeln verbrachten. Mühsam Eingebläutes (mit ä, das kann ich Ihnen sagen) sollte vergessen werden: Trenn nie ST, denn es tut ihm weh. Ja soll denn die ganze Quälerei umsonst gewesen sein?

Jeder reagiert anderes auf unabwendbare Katastrophen. Ich neige in solchen Fällen zu fröhlichem Verdrängen und blindem Aktionismus. Zunächst begann ich die oberste Schicht meines Schreibtischs aufzuräumen, Umschichtung auf Ablage P… Abends hatte ich die Lösung. Beim Stammtisch verkündete ich meinen Kollegen triumphierend: Ich gehe zum Hörfunk. Was ich in meiner ersten Verzweiflung auch tat. Denn ich wollte nicht zu den Armseligen gehören, die lieber verschweigen, daß etwas Frauen verachtend ist, weil Frauen jetzt groß, verachtend klein und das Ganze auseinandergeschrieben wird.

Den anderen Kollegen ging es auch nicht besser. Manfred, ebenfalls freier Journalist für Tageszeitungen, war in den ersten Augusttagen überhaupt nicht mehr ansprechbar. „Ich höre auf zu schreiben“, murmelte er düster, als rede er vom nahenden Weltuntergang: „Die Sprache ist ein lebendig Ding. Sie wird sich zur Wehr setzen.“ Ganz anders eine junge Kollgin von der „Offenbach-Post“, die Glückliche, sie verweilte noch im Tal der Ahnungslosen, als wir anderen längst die goldene Regel begriffen hatten: Dass mit zwei s, muss auch – und Worte, bei denen es Missverständnisse geben könnte, meiden. Sie kennen doch den Witz vom Polizisten, der eine Leiche vorm Gymnasium findet, das Wort nicht schreiben kann, den Toten vor die Post legt und anschließend den Bericht fehlerfrei schreibt. Übrigens sollten Sie in dieser Glosse Fehler entdeckt haben:

Sie war fürs Radio gedacht.*


 

* Und zum Üben für „M“ – bei uns erfolgt die Umstellung für alle Zeitschriften mit der Ausgabe 1/2000!

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

ARD: Durchbruch in Tarifrunde

In dem seit Januar andauernden Tarifkonflikt in ARD-Rundfunkanstalten gibt es erste Verhandlungsergebnisse. Zum Wochenende hin konnte am Freitag (15. November) ein Ergebnis im SWR erreicht werden. Für ver.di ist das ausschlaggebende Ergebnis, dass neben sechs Prozent Tariferhöhungen in zwei Stufen über eine Laufzeit von 25 Monaten auch eine für mittlere und niedrige Tarifgruppen stärker wirkende jährliche Sonderzahlung so stark erhöht wurde, dass es nachhaltige Tarifsteigerungen zwischen sechs und über zehn Prozent gibt.
mehr »

Fakten for Future

Menschen jeden Alters machen sich Sorgen um die Zukunft unseres Planeten. Carla Reemtsma ist Klimaschutzaktivistin und Mitorganisatorin des Schulstreiks Fridays for Future („Klimastreik“) in Deutschland. Als Sprecherin vertritt sie die Bewegung auch in der medialen Öffentlichkeit. Wir sprachen mit ihr über Kommunikationsstrategien, Aktivismus und guten Journalismus.
mehr »

Öffentlichkeit ohne Journalismus

Schwindende Titel, schrumpfende Redaktionen, immer geringere Abonnentenzahlen – dass gerade der Lokaljournalismus vielerorts unter Druck steht, ist nicht neu. Doch was bedeutet das für die lokale Öffentlichkeit, die inzwischen von vielen selbstbewussten Medien-Akteuren mitgestaltet wird? Eine aktuelle Studie der Otto-Brenner-Stiftung beschäftigt sich mit genau dieser Frage.
mehr »