Ältere Herren, so wird gesagt, neigen dazu, boshaft und zynisch zu werden. Für Erich Böhme, Ralph Giordano und Freimut Duve gilt das nicht. Sie sind milde und nachsichtig geworden. Ihr Umgang mit dem Kärntner Rechts-Populisten Jörg Haider war beschämend und ärgerlich. Nicht, weil sie Haider nicht „vorgeführt“ haben, wie sich viele vielleicht wünschten, sondern weil sie miserabel vorbereitet waren und sich anbiederten. Böhme hat inzwischen eine „Eselei“ eingestanden – nichts besonderes in einer Zeit, wo sich CDU-Politiker reihenweise dafür entschuldigen, dass sie „falsch reagiert“ (Wolfgang Schäuble) oder eine „Dummheit“ (Roland Koch) gemacht hätten.
Niemand soll aber kommen und erzählen: „Ich hätte den Haider entlarvt.“ Der Mann ist nicht zu packen. Denn er tut etwas, was ihm und anderen Politikern die Medienwelt nahe legt: Er sagt nicht, was er denkt, sondern was ankommt. „Der Wert einer Information bemisst sich nicht an ihrer Wahrheit, sondern an ihrer Attraktivität“, hat der polnische Autor Ryszard Kapuscinski in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ bemerkt.
Vor diesem Hintergrund ist die Geschichte mit dem Falsch-Fax einzuordnen. Es war ein Sonntagabend, zwischen 16 und 17 Uhr, als drei Nachrichtenagenturen das Gleiche meldeten: Helmut Kohl sei bereit, die Namen seiner Geldspender zu nennen. Die Aufmacher waren geschrieben, ebenso Reportagen, Kommentare und Leitartikel zum Dauerthema „Bimbes“. Noch knapp zwei Stunden bis zum Beginn einer CDU-Präsidiumssitzung. In diese Lücke platzte die zunächst erstaunliche, aber glaubhaft scheinende Nachricht.
Dass Agenturen sie ungeprüft weitergaben und den falschen Absender in der Fax-Kennung nicht entdeckten, hat uns alle nachdenklich gemacht. Aber schlimmer als das Versagen der Agenturen war, was in den Zeitungs-, Rundfunk- und Fernsehredaktionen folgte. Dutzende von Redakteuren, Kommentatoren und Featureschreibern wendeten den Trend ihrer Nachrichten, Glossen und Analysen, um eine halbe Stunde später – nach dem Dementi – den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen.
Was uns zu denken geben muss, ist nicht nur die gedankenlose Agenturgläubigkeit, sondern viel mehr unsere bedenkenlose Wankelmütigkeit. An den folgen Tagen wurde nur über die Frage diskutiert: „Wie konnte das passieren?“ Aber es wurde nicht selbstkritisch überdacht: „Warum lassen wir uns so hin und her treiben?“
Eine große Debatte über das Selbstverständnis des Journalismus ist in Gang gekommen. Eröffnet hat sie Kurt Kister mit einem Leitartikel „Krawall in der Mediendemokratie“ („Süddeutsche Zeitung“, 28. 10. 1999), fortgesetzt habe ich sie mit einem Vortrag „Kreisverkehr künstlicher Neuigkeiten“ („Frankfurter Rundschau“, 17. 11. 1999). Es folgten etliche weitere Beiträge, die den Faden aufnahmen: „Teufelskreise“ von Robert Birnbaum („Tagesspiegel“, 29. 11. 1999), „Eine neue Misstrauenskultur“ von Thomas Wittke („General-Anzeiger“, 30. 11. 1999), „Wie die ersten Menschen“ von Dirk Kurbjuweit („Der Spiegel“, 51/99), „Die Jagd nach schnellen Nummer“ von Bernard Bernarding („Saarbrücker Zeitung“, 31. Januar 2000). Ein Prozess der Selbstbesinnung und der Selbstfindung ist in Gang gekommen.
„Im täglichen Kampf um exklusive Schlagzeilen und Einschaltquoten droht die Nachricht zur Ware zu verkommen, die nur noch am Marktwert gemessen wird“, schrieb Peter Ellgaard zur Eröffnung des von ihm geleiteten ZDF-Hauptstadtstudios („Tagesspiegel“, 3.2.2000). „Leser und Seher reiben sich verwundert die Augen und niemand ist da, der erste Hilfe leisten kann“, schrieb der langjährige Bonner Korrespondent und Fraktionssprecher Sten Martenson an dieser Stelle („M“ 1-2/2000).
Trotz dieses resignativen Untertons ist es auch in dieser Phase berechtigten Eigenlobs über unserer aufklärerische Rolle bei den verschiedenen Affären nötig, die Debatte fortzusetzen. Wir Journalistinnen und Journalisten müssen uns ebenso der öffentlichen Kontrolle stellen wie wir den Anspruch erheben, Institutionen zu kontrollieren. Dies ist keine abgehobene Diskussion in den oberen Etagen der Reaktionen und unter den Hauptstadt-Korrespondenten. Sie betrifft genau so die Kolleginnen und Kollegen auf Landes-, und Kommunaler Ebene, in den Regional- und Lokalredaktionen. Überall sind Konkurrenz- und Quotendruck beherrschende Merkmale unseres Berufsalltags geworden. Alle zusammen müssen wir aufpassen, dass wir bei allen wahrnehmbaren und unumkehrbaren Entwicklungen der Medienlandschaft nicht erhaltenswerte Grundsätze aufgeben.
- Helmut Lölhöffel, Jahrgang 1944, „Kölner Stadt-Anzeiger“ 1969-1971, Deutscher Depeschen Dienst 1971-1974, „Süddeutsche Zeitung“ 1974 bis 1984, seit 1984 „Frankfurter Rundschau“; 1978/79 Mitglied im Deutschen Presserat, 1986 bis 1992 Vorsitzender des Ortsvereins Bonn der IG Druck und Papier/IG Medien, 1999 Medienpreis des Bundestags