Mediale Aufregung aus banalem Anlass?

„Big Brother“ – reine Moraldebatte um die Privatsphäre oder Politikum?

Katholiken, Konservative, Liberale, Sozialdemokraten, die Medien von Taz bis Faz und auch „Focus“, alle klinken sich in die Debatte um die Fernsehsendung „Big Brother“ ein. Offenbar besteht ein breiter gesellschaftlicher Konsens, dass hier die Menschenwürde verletzt wird.

„Ein Experiment wie mit Ratten“ titelte die „Frankfurter Rundschau“, „Die Welt der Machos“, die „Süddeutsche Zeitung“, selbst eine kleine Regionalzeitung wie die „Fuldaer Zeitung“ lief Sturm gegen diese „wirklich gefährliche Sache“ und vermerkte, dass die Kirche Bedenken hege. Ein selten breiter Konsens also, wie man ihn sich bei so manch anderen Fragen, bei denen Menschenrechte beschnitten wurden, gewünscht hätte – etwa beim „Asylkompromiss“, als die Grenzen für ausländische Menschen per Gesetz undurchlässiger gemacht wurden. Was nun ist der Grund für die mediale Aufregung quer durch alle politischen Lager? Im März startet RTL 2 seine Show „Big Brother“, nach dem Vorbild der holländischen TV-Produktion aus dem Hause Endemol. 100 Tage lang leben mehrere junge Menschen in einem Wohncontainer ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt, eine Vielzahl von Kameras und Mikrofonen überwachen rund um die Uhr jeden Winkel des „Hauses“ sowie des davor liegenden Gartens. Jede menschliche Regung – ob Brot backen, in der Nase pulen oder Herumzetern – wird einem breiten Fernsehpublikum unterbreitet.

Fadenscheinig

Klingt nicht gerade nach anspruchsvoller Unterhaltung, genauer gesagt, die Verflachung des Kommerzfunk-Programms steigert sich in neue, noch nie da gewesene Untiefen. Diese Schlüssellochperspektive wird sicherlich ungeahnte Abgründe der Geschmacklosigkeiten und Banalitäten eröffnen. So etwa stellte einer der holländischen Redakteure des Privatfernsehens „Veronica“ desillusioniert fest, bei „Big Brother“ sei nach drei Wochen das erste Mal ein politisches Thema diskutiert worden.

Ob allerdings die „Menschenwürde“ dabei tangiert ist, wenn junge Leute sich aus welchen Motiven auch immer – etwa Exhibitionismus oder Geldgier, wer bis zum Ende durchhält, kassiert 250 000 Mark – freiwillig solchen Bedingungen aussetzen, ist umstritten. Sicherlich ist es eher eine fadenscheinige Argumentation, wenn der RTL 2-Geschäftsführer Josef Andorfer im Gespräch mit einer Abordnung der hessischen Landesanstalt für Privaten Rundfunk (LPR) treuherzig verkündet, hehre Ziele zu verfolgen wie dem Zuschauer „Vorbilder für die Konfliktlösung und Konfliktbewältigung in der realen Welt zu liefern“. Die Werbewirtschaft ist sehr interessiert, rund um dieses Format zu werben. Grund zur Freude bei RTL 2: Allein Procter und Gamble hätte einen Werbeetat von 25 Millionen Mark bereitgestellt.

Zynisch

Die stellvertretende Vorsitzende der LPR, Marita Eilrich, empfindet diese Auslegung, dass es sich sozusagen um eine Ratgeber-Sendung handele, als zynisch. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an diesem von RTL „veranstalteten Menschenzoo“ (Eilrich) sind einem erheblichen psychologischen Druck ausgesetzt, der eine unangenehme Gruppendynamik verspricht: Alle zwei Wochen fliegt einer raus, die Gruppe stellt zwei „Loser“ aus ihrer Mitte zur Auswahl, die Zuschauer entscheiden per Ted, wer tatsächlich gehen muss. Motto: Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Unbeliebteste im ganzen Land. Eilrich und Helene von Friedeburg, die Vertreterin des Landesfrauenrats in der LPR, haben den Landesfrauenrat Hessen mit seinen 52 Frauenorganisationen (insgesamt 1,2 Millionen Mitglieder) angeregt, einen Aufruf zu starten: RTL 2 soll für die 100 Tage der „Big Brother“-Show, vom 28. Februar bis zum 15. Juni, boykottiert werden.

Öffentlich

Über die öffentlich geweinten Krokodilstränen und das nicht ganz uneitle Engagement von Politikern wie dem SPD-Politiker Kurt Beck, der in einem Schreiben die Kasseler Behörde mahnte, „solchen Entwicklungen nicht tatenlos“ zuzusehen, kann die stellvertretende LPR-Vorsitzende jedoch nicht mal mehr lachen: „Hätte er vorher aufgepasst, seine Hausaufgaben gemacht und uns mit dem Rundfunkstaatsvertrag ein adäquates Handwerkszeug vermacht, hätte die LPR auch sinnvoll handeln können.“

Quotenträchtig

Konsequenter Protest von unten, wenn das Publikum mit der Fernbedienung abstimmt – eine gute Sache! Die hessische LPR nimmt ihre Aufgabe wahr, die Medien zu überwachen. Was aber bringt bloß Medienvertreter in Zeitungen jeglicher politischer Couleur dazu, diese Debatte in den Mittelpunkt zu stellen, als ob es keine anderen Probleme gäbe als diesen Psycho-Eiertanz für unkritische Wohlstandsbürger. Wahrscheinlich ist der ganze Medienrummel den RTL 2-Programmgestaltern zudem gar nicht so unrecht. Bekanntlich steigern Negativ-Schlagzeilen die Einschaltquoten.

Langweilig

Doch was überhaupt macht dieses gähnenswert langweilige Thema überhaupt zum attraktiven Gesprächsstoff? Eine Soap-Opera, die mehr nach Schweiß, Schmutz unter den Fingernägeln und Trotteligkeiten als nach Seife riecht! Des Deutschen liebstes Hobby, die sogenannte Privatsphäre, wird im Wortsinn vorgeführt. Dieses Allerheiligste, die Illusion vom Rückzug in eine Intimität, um auf diese Weise von einer miesen finsteren Welt, die aus Konkurrenz, Leistungsstress und Kommerz besteht, zu entfliehen, darf nicht zerstört werden. Vielleicht macht ja die Vorstellung Angst, dass das sogenannte Private, ans Tageslicht gezerrt wird und man sich am Ende der Erkenntnis nicht erwehren kann, dass diese subjektiv erhabenen Mußestunden, objektiv kleinbürgerlich, spießig und längst kommerziell vereinnahmt sind.

Konsequent

Bei „Big Brother“ ist dies auf sehr triviale Weise konsequent umgesetzt: Im trauten Heim tobt Konkurrenz , Ausgrenzung und Entsolidarisierung. „Survival of the fittest“ lautet die Devise und wer die anderen berechnend und populär aus dem Feld kickt, wird prämiert: Erhält Geld und gesellschaftliche Anerkennung. Die gute alte Leistungsgesellschaft funktioniert in einem neuen Sinne, nicht mehr mit einem Mix aus Leistung und Durchsetzungsvermögen, sondern nur noch mit Durchboxen.

Nachdenklich

Nachdem die erste Empörungswelle versiegt ist, melden sich andere nachdenkliche Stimmen: Ein Verbot der Ausstrahlung würde gegen Artikel 5 des Grundgesetzes verstoßen, das Recht auf freie Meinungsäußerung wäre nicht mehr gewährleistet, gibt Lothar Mikos, Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam Babelsberg, zu bedenken: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild zu verbreiten“. Ferner heißt es dort: „Eine Zensur findet nicht statt“. In der Tat können schlichte juristische Lösungen nicht eine breit geführte medienpolitische Diskussion ersetzen. Und wo sollte das auch enden? Könnte sich künftig etwa auch Roland Koch im Falle einer Berichterstattung über Lug und Trug der hessischen CDU auf verletzte Menschenwürde berufen?

Einträchtig!

Im Übrigen ist eine Moraldebatte, die erst beginnt, wenn die Wände des Wohlstandsbürgers klein-fein Häuschens mal auf unfeine Art wackeln, auch nicht sehr spannend. Dass demokratisch zusammengesetzte Gremien durch Aktivität glänzen, ist zu begrüßen. Schade nur, dass der Anlass so banal ist. Vermutlich schreien jetzt unter anderem auch jene Menschen empört auf, die sogenannte Kollateralschäden der Nato im Kosovo-Krieg, die Menschenleben kosteten, Schultern zuckend hinnahmen. Immerhin können Katholiken, Konservative, Liberale, Sozialdemokraten einmal einträchtig gemeinsam den roten Knopf auf der Fernbedienung drücken.

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