Vom Investigations- zum Investitionsjournalismus
Schmeichelhafte Kommentare bekamen wir in letzter Zeit zu hören, und auch mit Selbstlob geizten wir nicht: Bei der Behandlung der Spenden-, Finanz- und Schmiergeldaffären im Umfeld der CDU/CSU hat sich in den deutschen Medien die Fähigkeit zu einem vernünftigen Investigationsjournalismus herausgebildet.
Viele einzelne Journalisten, auch ganze Redaktionen haben Stärken aufleben lassen: ihre Informations- und Kritik-, Aufklärungs- und Kontrollfunktion. Es wäre ungewöhnlich, wenn es nicht den einen oder den anderen Ausreißer gegeben hätte. Insgesamt ist aber das Urteil verbreitet: „Es ist den Medien zu verdanken, dass der Skandal nicht unter dem Teppich blieb“, wie der Berliner Theologe Richard Schröder schrieb („Frankfurter Allgemeine“, 23.2.2000).
„Der deutsche Journalist braucht nicht bestochen zu werden. Er ist stolz, eingeladen zu sein, er ist schon zufrieden, wie eine Macht behandelt zu werden.“
Kurt Tucholsky
Doch die atemlose Infotainment-Industrie mit ihrem beißenden Konkurrenzdruck und ihren Zwängen zu Tempo, Effekten und Exklusivität hat in der Affäre auch eine Kehrseite des Journalismus sichtbar werden lassen, den Investitionsjournalismus. Die anrüchige Methode, sich mit Honoraren Informationen oder Unterlagen zu erschleichen, ist besser bekannt unter dem gängigen Begriff Scheckbuchjournalismus. Informanten werden gekauft, News werden bezahlt. Das hat es immer gegeben, und meistens kommt es nicht heraus, weil auch die Art der Informationsbeschaffung zum Quellenschutz gehört. Dass es Boulevardzeitungen gibt, die im Polizeiapparat bezahlte Tippgeber unterhalten, ist kein Geheimnis. Und dass mancher Skandal nicht ans Licht gekommen wäre, wenn nicht ein Beamter oder ein Insider vertrauliche Unterlagen verkauft hätte, ist ebenso bekannt wie die Tatsache, dass es auch in unserer Branche Leute gibt, die korruptionsanfällig sind.
Auch in umgekehrter Richtung wird investiert: Regierungen und Politiker, Firmen und Verbände, Stadträte und Sparkassen, Reiseunternehmen und andere Interessengruppen laden gerne Journalisten ein, um ihnen ihre Produkte vorzustellen oder ihre Vorzüge anzupreisen. Geheimdienste nutzen Kontakte zu Journalisten, um sie abzuschöpfen, und manche ließen oder lassen sich dafür bezahlen.
Der Pressekodex enthält neben der Selbstverständlichkeit, dass bei der Beschaffung von Informationsmaterial „keine unlauteren Methoden angewandt werden“ dürfen, den unmissverständlichen Hinweis, dass „die Annahme und Gewährung von Vorteilen jeder Art, die geeignet sein könnten, die Entscheidungsfreiheit von Verlag und Redaktion zu beeinträchtigen, … mit der Aufgabe der Presse unvereinbar“ sei. Und schließlich: „Wer sich für die Verbreitung oder Unterdrückung von Nachrichten bestechen lässt, handelt unehrenhaft und berufswidrig.“ (Deutscher Presserat, Publizistische Grundsätze 4 und 15). Dahinter steckt die Einsicht, dass auch Gefälligkeiten, Geschenke oder Einladungen das unabhängige Urteil von Journalisten gefährden können.
Jeder kennt die Grenze
Nicht: gefährden müssen. Jede Journalistin, jeder Journalist kennt die Grenze, die Beeinflussung oder gar Fremdbestimmung möglich macht. Wir Journalisten sind nicht käuflich. Aber geben wir es doch zu, es gibt auch schleichende Prozesse, denen wir vielleicht erliegen, ohne es zu bemerken. Das reicht bis zu einer besonders schwer erkennbaren Form des normalen Miteinanders von Journalisten und Politikern, die Martin E. Süskind einmal überspitzt „Korruption durch Nähe“ genannt hat. Wer kennt nicht die Situation, in der ein Lokalredakteur und ein Stadtverordneter oder eine Korrespondentin und ein hoher Parteipolitiker zusammenhocken, und im Gespräch wird der Rechercheur zum Ratgeber? Und es ist nicht zu beanstanden, wenn Journalisten und Politiker aus der gleichen Stadt oder der selben Generation sich lange kennen und duzen. Da muss jeder wissen, ob er trotzdem kritischen Abstand halten kann – ebenso wie viele Politiker lernen müssen, dass gegenseitige Sympathie oder das gleiche Parteibuch nicht zu der Annahme berechtigen, dass sie nur noch positiv bewertet werden.
„Dahinter steckt die Einsicht, dass auch Gefälligkeiten, Geschenke oder Einladungen das unabhängige Urteil von Journalisten gefährden können.“
Wenn sich Kommentatoren über gesponserte Feste von Politikern aufregen, ist viel Heuchelei dabei. Manche von denen, die sich über Verschwendungssucht ereifern, haben schon selbst an üppigen Geburtstagsfeiern und Festessen oder an Weltreisen der Mächtigen teilgenommen und sich nichts dabei gedacht, aber wichtige Kontakte geknüpft und viel erfahren. Als die Verbindungen zwischen der Westdeutschen Landesbank und nordrhein-westfälischen Politikern durchleuchtet wurden, vergaßen viele, dass sie selbst schon manches Getränk auf Kosten einer Brauerei zu sich genommen oder einen Flug auf Staatskosten mitgemacht haben.
Ein frappierendes Beispiel für die Doppelbödigkeit rigoroser Moralpredigten war ein Empfang der Nachrichtenillustrierten „Focus“ in Berlin. Am Ausgang bekamen alle Gäste gegen einen Gutschein eine Tüte zugesteckt, in der sich ein elektronisches Notizbuch im Wert von 900 Mark befand. Manche Journalisten, auch solche, die sonst nie Skrupel hatten, kleine Geschenke unterhalb der Bestechungsschwelle an- und mitzunehmen, bliesen dies zu einer neuen Affäre auf. Da kam eine verlogene Selbstgerechtigkeit zum Vorschein, die bei anderen Gelegenheiten im „Focus“ lesbar wird, wenn ausgerechnet er sich zum Hüter des politischen Ethos aufschwingt.
Das gilt auch für den „Spiegel“, der wieder einmal bei seiner Doppelbödigkeit ertappt worden ist. Die Witwe eines WestLB-Piloten, der SPD-Politiker herumgeflogen hatte, wurde von dem Magazin angeheuert, um darüber Informationen zu geben. 100.000 Mark betrug das Honorar für die Frau, die sich als Zeugin vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags derart in Widersprüche verhedderte, dass die Frage auftaucht, warum die „Spiegel“-Profis keine Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit bekamen. Noch mehr Geld hätte sie bekommen, wenn sie weiteres Material liefert, aus dem sich Wochenendschlagzeilen basteln lassen.
Zweifellos hat „Der Spiegel“ besondere Verdienste um das Aufdecken von Affären in unserem Staat. Und dabei ist schon früher so manches Sümmchen geflossen. Nicht nur „Der Spiegel“, auch „stern“, „Focus“ und andere haben Informanten unter Vertrag genommen und sich Exklusivitätsrechte zusichern lassen. Mögen sie wegen dieser Behauptung jetzt Gegendarstellungen androhen oder Beweise verlangen – wir wissen, dass es stimmt, halten uns aber an die Verschwiegenheitsregel.
Bei der Pilotenwitwe ist es öffentlich geworden. Ließ sich „Der Spiegel“ in diesem Fall etwa zum Investitionsjournalismus verleiten, weil er die Sorge hatte, von der Konkurrenz noch weiter abgehängt zu werden, nachdem er in der CDU-Affäre nicht wie sonst die Hauptrolle unter den Medien spielte? „Focus“ jedenfalls höhnte: „Unsere Korrespondenten haben die Geschichte ohne Geld ausgegraben.“ Als ob der Normalfall einer besonderen Erwähnung wert wäre.