Redaktionsstatut: nicht länger „ein Damoklesschwert über der Geschäftsleitung“

„Mannheimer Morgen“-Geschäftsführung lenkt in Sachen Statut ein

Im Rechtsstreit um das Redaktionsstatut des „Mannheimer Morgens“ zeichnet sich ein Einlenken der Geschäftsführung ab. Nach einem eindringlichen Appell des Richters am Landesarbeitsgericht Mannheim und nach dessen deutlichem Hinweis auf mögliche, auf Grund des juristischen Neulands nicht absehbare Folgen eines Urteils vor dem Bundesarbeitsgericht, wich die Geschäftsführung der größten nordbadischen Tageszeitung vom bisherigen Standpunkt ab, das Verfahren in jedem Fall letztinstanzlich klären zu wollen.

Professor Norbert Loos, Vorsitzender des MM-Aufsichtsrats, räumte am Rande der jüngsten Verhandlung am 4. Februar ein, dass zu Beginn der Auseinandersetzungen um das Redaktionsstatut von Seiten der Geschäftsführung „sicherlich Fehler gemacht“ worden seien. Zum einen ständen im Hause „Mannheimer Morgen“ zur Zeit „wichtigere Probleme“ an, zum anderen „gibt es in der modernen Unternehmensführung genügend Beispiele, wie Probleme zu lösen sind. Dazu muss man nicht ins Betriebsverfassungsgesetz schauen oder gar vor Gericht gehen.“

Loos ist Geschäftsführender Gesellschafter der 1990 gegründeten Baden-Württembergischen Unternehmensbeteiligungs GmbH (BWK) mit Sitz in Stuttgart, die seit zwei Jahren 34,9 Prozent Anteile am Mannheimer Morgen besitzt. Gesellschafter des vormals als Baden-Württembergische Kapitalbeteiligungs GmbH firmierenden Unternehmens sind die Würrttembergische Versicherungsgruppe (35%), die Energie Baden-Württemberg AG (EnBW, 10%), die Landeskreditbank (10%), die Baden-Württembergische Bank (43,3%) sowie Loos selbst (1,7%).

Zu den „wichtigeren Problemen“ des „Mannheimer Morgens“, von denen Loos sprach, dürfte sicherlich zählen, dass der für Februar geplante Start von „Sonntag aktuell“ als siebter Ausgabe des „Mannheimer Morgens“ wegen des Einspruchs der an „Sonntag aktuell“ beteiligten „Rheinpfalz“, einer Konkurrenzzeitung des „Mannheimer Morgens“, wenige Tage vor der Realisierung platzte. Nach neuen, inzwischen angeblich abgeschlossenen Verhandlungen steht nun der Herbst als nächstmöglicher Termin für einen „Sonntag aktuell“-Start beim „Mannheimer Morgen“ im Raum.

In punkto Redaktionsstatut aber noch einmal zur Erinnerung: Vor gut vier Jahren hatte sich in erster Instanz das Arbeitsgericht Mannheim für zuständig erklärt, die Klage um das Redaktionsstatut zu entscheiden und urteilte, dass die Kündigung des Statuts unter bestimmten, hier allerdings nicht erfüllten Voraussetzungen rechtswirksam sein könne.

Beide Parteien, der fünfköpfige Redaktionsrat sowie die damalige Geschäftsführung, legten daraufhin Berufung ein. Im Juni 1998 hob das Landesarbeitsgericht Mannheim das Urteil des Arbeitsgerichts auf und überwies den Fall an das Landgericht. Wegen des Einspruchs des Redaktionsrats ging die Sache an das Bundesarbeitsgericht in Kassel, die den Beschluss des Landesarbeitsgerichts widerrief und die Angelegenheit an das Landesarbeitsgericht zurückverwies. Damit war erstinstanzlich immerhin über den formalen Weg der Klage entschieden.

Urteil in der Sache steht aus

In der Sache steht ein Urteil nach wie vor aus. Der Richter des Landesarbeitsgerichts, Ulrich Jaenicke, zeigte sich in der jüngsten Verhandlung am 4. Februar erstaunt über die bisher vertretene Position der MM-Geschäftsführung, dass mit einem Mal nicht mehr praktibel sein solle, was seit 1975 offenbar gut funktioniert habe. Gründe für die Kündigung des Statuts habe die Geschäftsführung noch nicht vorgelegt. MM-Geschäftsführer Michael Bode nannte in der Verhandlung lediglich, dass das Redaktionsstatut „wie ein Damoklesschwert“ über den Schultern der Geschäftsführung gehangen habe; es sei „eine Katastrophe“ und „ein mitbestimmungsrechtlicher Blindgänger“ gewesen.

Richter Jaenicke zeigte sich zudem verwundert darüber, dass die MM-Geschäftsführung in den vergangenen vier Jahren nichts unternommen habe, um die ursprüngliche, rechtlich bedenkliche Kündigung des Statuts zumindest juris-tisch korrekt auf die Beine zu stellen, also eine fristgerechte Kündigung mit dem Angebot von Auflösungsverträgen nachzureichen.

Jaenicke betonte, dass für ein künftiges Urteil in der Sache die Vorgabe des Bundesarbeitsgerichts grundlegend sei. Dieses habe in seiner spärlichen Ausführung zum Urteil über die formale Seite des Verfahrens zumindest deutlich festgehalten, dass das Redaktionsstatut Bestand der Arbeitsverträge sei und damit vertraglichen Charakter habe.

Genau das hatte die MM-Geschäftsführung auch unter Hinweis auf das Betriebsverfassungsgesetz und den Tendenzschutz bisher stets abgestritten. Darüber hinaus machte Jaenicke die MM-Geschäftsführung darauf aufmerksam, dass ein möglicherweise vor dem Bundesarbeitsgericht estinstanzlich erwirktes Urteil zumindest die Position des jetzigen Chefredakteurs Horst Roth erheblich ins Wanken bringen könne.

Als Rechtsanwalt der MM-Geschäftsführung nahm Georg Jaeger daraufhin nach Rücksprache mit der MM-Geschäftsführung Abstand von der grundsätzlichen Ablehnung eines Vergleichs in der Sache. Statt dessen beantragte er eine Verschiebung des Urteil-Verkündigungstermins, um die Möglichkeit eines Gesprächsangebots an den Redaktionsrat prüfen zu können. Da Ende März der MM-Beirat tage und um Zustimmung befragt werden müsse, wurde als nächster Verhandlungstermin Freitag, der 14. April, um 10.30 Uhr, vereinbart.

Bis dahin muss die MM-Geschäftsführung, die damit den bestehenden Redaktionsrat vorerst wieder als Ansprechpartner anzuerkennen hat, ein Angebot für einen Kompromiss im Streit über das Redaktionsstatut vorlegen.

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