Kampftrinker im Kosmos

Der Ballungsraumsender B.TV expandiert – mit geballtem Populismus

Ein Feuerball rast durch das All. Trommelwirbel erklingt, und eine Männerstimme, leicht verfremdet: „Es kommt etwas auf Sie zu.“ Es klingt bedrohlich.

Doch in Seebach bleibt alles ruhig. Wir sehen am Waldesrand das „Seebach-Hotel“ samt Satellitenschüssel am Balkon. Die Einwohner Seebachs gehen weiter ihren Geschäften nach, wir sehen drei von ihnen bei der Obsternte, mit Arbeitshose, Wollpullover, lustigem Hütchen. Und erfahren: „Die Einwohner Seebachs sehen dem europaweiten Start des B.TV-Programms mit Spannung und Neugierde entgegen.“

B.TV ist der erste deutsche Regionalsender, der über Satellit in ganz Europa zu empfangen ist, auch in Seebach im Schwarzwald. Dort waren sie mit dem TV-Angebot nicht immer ganz zufrieden, wie uns im Eigenwerbungsspot des Senders „ein Landwirt“ kundgibt: „Was kümmert mich Hamburg“, sagt er, und dass er im „Fernseh'“ davon viel zu viel sehe.

Während die Globalisierung galoppiert, wächst das Bedürfnis nach dem Unmittelbaren, nach Heimat und Nah-Sehen im Fernsehen. So breiten sich republikweit Regionalsender aus: Der Medienmogul Leo Kirch hält Beteiligungen an tv.Berlin, tv. München, dem Hamburger Sender HH1 und auch am neuen nordrhein-westfälischen Programm nrw 1. Die Franken haben ihr Franken Fernsehen, die Sachsen das Sachsen Fernsehen. Die Mediengruppe DuMont will in Köln Ballungsraumfernsehen durchsetzen. Und auch Hessen soll nach dem Willen der Landesregierung sein Heimat-TV haben – dafür hat schon B.TV Interesse angemeldet.

„Das erste private Dritte“

B.TV mit Sitz in Karlsruhe und Stuttgart ist nach eigenen Angaben der größte deutsche Regionalsender, will weiter wachsen, gar mit den öffentlich-rechtlichen Platzhirschen konkurrieren: „Wir wollen das erste private Dritte werden“, sagt Geschäftsführer Bernd Schumacher, 39.

Aufbruchstimmung herrscht auf dem Firmenareal in Ludwigsburg bei Stuttgart, einem ehemaligen Industriegelände. Handwerker und Techniker erweitern Studios und Senderäume, Kabel liegen herum neben Inlineskates, Lötkolben und Videorekordern. Auf dem Parkplatz deuten die riesige Sendeschüssel und der weiße Lastwagen mit der Aufschrift „Astra“ auf die neue Stellung im Fernseh-Kosmos hin.

Im Studio hält „Kult-Astrologe“ (B.TV-Eigenwerbung) Martin Schmid per Laptop Direktkontakt mit dem All, in seiner Sendung „Astrofon“. Eva ruft an: Liebeskummer. „Sie haben jetzt eine sehr schlimme Zeit“, sagt der Sterndeuter. „Saturn, Saturn im Quadrat“. Eva versteht. Indessen: „Die Zeit geht vorbei. Sie lernen jemanden kennen“. Eva freut sich: „Oh.“

B.TV verstrahlt ein volksnahes Programm: Die „Alpen-Nockis“ singen „Dolce Vita mit Anita“. Nachts kracht Techno-Lärm beim B.TV.Rave. „Musik und Nonsens bestreiten täglich weite Sendestrecken“, sagt ein B.TV-Informationsblatt. Es gibt auch harte Fakten, selbst Überregionales: Susi Müller, die „heiße Stimme aus der ARD-Show Herzblatt“ (B.TV-Eigenwerbung), präsentiert in der „B.TV-Reportage“ unter anderem einen sächsischen Metzger in Portugal.

Viele Mitarbeiter sind gleich in mehreren Rollen zu sehen: Doris Sohler beispielsweise, charmante Moderatorin im „Astrofon“, präsentiert auch das Wetter, (zusammen mit Marco Polo, „dem Reiseführer mit Insider-Tipps“, und der Firma „Reinhardt Küchenwelt 2000, neu in Karlsruhe Rheinhafen, Kurzheckweg 12“).

Kurz darauf erscheint sie wieder: „Hallo und herzlich willkommen zu den Business News“. Und erzählt von attraktiven Events: „Das Steigenberger Hotel Europäischer Hof in Baden-Baden präsentiert“ beispielsweise „Neil Simons Erfolgskomödie Plaza Suite. Infos und Kartenvorverkauf unter 07221-9330.“

Werden hier etwa die Grenzen zwischen Redaktionellem und Reklame verwischt? Nein, sagt lächelnd Geschäftsführer Schumacher: „Das ist medienrechtlich unangreifbar“. Schließlich stünden die „Business-News“ im Werbeblock, per Einblendung als „Anzeige“ gekennzeichnet. „Die Bürger sind doch intelligenter als wir Journalisten. Die merken das doch gleich, ob das Werbung ist.“

Es wird ihnen bei B.TV allerdings nicht leicht gemacht. Die Versicherung DBV Winterthur präsentiert beispielsweise die Sendung B.TV @ Get ready. Da geht es heute um Übergewicht, Ferienjobs, dann folgen Net-Tipps. Der Moderator ist beinahe außer sich vor Begeisterung für www.heimwerker.de und dessen „Angebote aus 20 Sparten“, selbst für Abseitiges: „Wer seinen Garten mit einem Fahnenmast schmücken will, der wird hier garantiert fündig.“ Und so günstig: „Über 100 Angebote sind gerade als Aktionsartikel da oder sogar im Dauerniedrigpreis zu haben“, jubelt der Moderator. Klingt wie eine Dauerwerbesendung. Aber: www.heimwerker.de hat nichts bezahlt, die Schwärmerei des Moderators ist purer Ausdruck juveniler Begeisterungsfähigkeit: „Es ist eine junge Redaktion“, sagt verständnisvoll B.TV-Chef Schumacher: „Die sind völlig frei in der Auswahl ihrer Internet-Tipps.“

Dabei hat der Chef durchaus ein gewisses Interesse an Mittelzuflüssen. Schumacher ist Mehrheitsgesellschafter des Senders, den Rest teilen sich: der Klett-Verlag, der Motorpresse-Verlag, der Münchner Zeitungsverlag, ein Telefonbuchverlag, eine Brauerei. Neuerdings ist auch die Kinowelt AG mit dabei, mit Spielfilmen, die man „europaweit ausstrahlen“ kann: „Da jubelt McDonald’s“, sagt Schumacher, der mit frohlockt: „Auch wenn ich Journalist bin: Ich bin Unternehmer. Hier stecken von jeder Mark 50 Pfennig von mir drin“.

Lange finanzielle Durststrecke

Und er muss viel reinstecken: Gewinne werden erst in vier Jahren zu erwarten sein, bis dahin müssen die Gesellschafter zubuttern, 100 bis 150 Millionen Mark insgesamt. Die Hälfte davon: Schumacher selbst.

Wo hat der Mann das Geld her? Er war mal Moderator, bei SWF 3, HR 3, ZDF, SAT 1. War früh schon bei RTL, ging dann in die Privatradioszene, stieg selbst bei einigen Sendern zu Krisenzeiten günstig ein – und verkaufte die Anteile, als die Geschäfte liefen: „Die waren plötzlich Gold wert“.

Schumacher, Typ Schwiegermutterschwarm, blond, heller Boss-Anzug, silberne Krawatte tritt auch selbst noch auf die „Showtreppe“, immer Sonntags um 22.15 Uhr, wenn es heißt: „Sternstunde – Charts pur“, eine Musiksendung.

Blitzkarriere dank B.TV: Auch ein junger Mann mit Kinnbart stieg steil auf. Er hat in Erlangen studiert, war freier Mitarbeiter beim Bayerischen Rundfunk. Jetzt ist Axel Dürr 32 und Chefredakteur bei B.TV. Und gleichwohl bescheiden geblieben: „Auch ich nehme durchaus die Kamera in die Hand“, sagt der Chefredakteur. Kameraleute gibt es nicht, die Redakteure sind eben vielseitig – dafür verdienen sie auch ein bisschen weniger als bei den Öffentlich-Rechtlichen. Billig soll es sein, und das ist leider auch zu sehen.

„Aktuell“ ist das „Flaggschiff“ von B.TV, moderiert von Axel Dürr, redaktionell verantwortet vom Chefredakteurskollegen Jürgen Braun, 39. Der bespricht gerade mit dem Chef vom Dienst (CvD), Ralf Schnabel, 35, die Themen des Tages. „Was gibt’s?“ Bundespräsident Johannes Rau im Kloster Maulbronn, wäre schön, aber: „Wir schaffen das zeitlich nicht.“ Weiter: „Bei Freudenstadt gab’s gestern einen Brand“, sagt der CvD. Dann ist da noch die „Alcoholic Front“, Kampftrinker aus Karlsruhe, die nach englischem Vorbild am Wochenende zum Wettsaufen antreten.

„Ob wir das nach hinten schieben?“, fragt Chefredakteur Braun, der ein dunkles Sakko trägt und eine rote Krawatte mit gelben Blüten drauf. Braun, studierter Jurist, war mal Ressortleiter beim MDR, hatte zuvor als Geschäftsführer einer Produktionsfirma in Berlin Magazine wie Report, Fakt und Spiegel TV beliefert. Jetzt hat er an den schnellen Nachrichten Gefallen gefunden.

Die Themen sind natürlich nicht immer Grimme-Preis-verdächtig, doch hat der Sender eine kultverdächtige Ästhetik entwickelt. Etwa im „Polizeireport“, erkennbar am alarmhaft zuckenden Blaulicht auf dem Bildschirm. Ein junger Mann hat seiner abtrünnigen Freundin eine Betonplatte hinterhergeworfen. Jetzt eilen im „Polizeireport“ schwarze Plateauschuhe eine Mehrfamilienhaustreppe hinab. Die Schuhe von Stefanie G., dem Betonplattenopfer? Einer Zufallsstatistin? Die Frage bleibt offen.

Manche Kritiker finden die B.TV-Spezialitäten weniger kultig. Die „Frankfurter Rundschau“ (FR) wunderte sich über die Reihenfolge der Nachrichten: ein Autounfall in Karlruhe als Topmeldung, zwischendurch das Iffezheimer Pferderennen, am Schluss ein Kosovo-Asylurteil des Verwaltungsgerichtshofes „Warum? Keine Ahnung“, mäkelte die FR: „Auswahl und Reihenfolge folgen wohl dem Zufallsprinzip.“ Und die Aufgabe, „Aufklärung vor der eigenen Haustür zu betreiben“, verfehle der Sender „in fast schon ärgerlicher Weise.“ Dabei findet eine gewisse Aufklärung durchaus statt. Durch den Ministerpräsidenten höchstpersönlich sogar. Einmal im Monat darf der reden, eine halbe Stunde lang, wenn er möchte: „Erwin Teufel. Der Ministerpräsident exklusiv“, so heißt die Sendung. „Der Ministerpräsident hat ja nie Gelegenheit, der Bevölkerung zu erklären, wie er zu dem oder jenem steht“, sagt Schumacher, der ihn interviewt.

Dabei gilt der dröge Erwin Teufel eigentlich als Quotenkiller. Das kann B.TV nicht bestätigen: Quoten gibt es noch nicht, nur Daten aus Telefoninterviews. Danach, immerhin, ist der „Durchbruch“ erreicht: Um 100 000 stieg die Zahl der Zuschauer binnen eines Jahres, auf 240 000 im Frühjahr 2000.

Beim Südwestrundfunk (SWR) rufen solche Zahlen nur ein amüsiertes Lächeln hervor: Das regionale Dritte schalten pro Tag bis zu drei Millionen Zuschauer an. Und die Quoten sind seit dem B.TV-Sendestart 1995 sogar gestiegen, in der regionalen Primetime von 18 bis 20 Uhr von 7,6 auf 11 Prozent – ein Anstieg um 45 Prozent.

Der SWR sieht der weiteren Expansion von B.TV also mit Freude entgegen, sagt Vize-Landessenderchef Viktor von Oertzen, 52: „Wir sind froh, wenn die überall senden.“

 

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