Bundeskonferenz der ver.di-Selbstständigen in Berlin
ver.di soll Solo-Selbstständige stärker in die gewerkschaftliche Arbeit einbeziehen, lautet eine Botschaft der 3.Bundeskonferenz für Freie und Selbstständige, die am zweiten Maiwochenende mit 33 Delegierten in Berlin stattfand.
Von der freien Kamerafrau bis zum Dozenten für Deutsch als Zweitsprache: Der prozentuale Anteil Selbstständiger an der ver.di-Mitgliedschaft ist laut Geschäftsbericht der BKS in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Von den 2,1 Millionen ver.di-Mitgliedern (Jahresende 2010) sind rund 30.000 selbstständig. Seit 2009 gibt es ein Selbstständigenpolitisches Programm, mit dem ver.di sich dem Wandel in der Arbeitswelt stellt.
Denn keine Gruppe unter den Erwerbstätigen in Deutschland ist in den letzten Jahren so stark gewachsen wie die der Solo-Selbstständigen: über 2,3 Millionen waren es im Jahr 2008, was etwa sechs Prozent aller Erwerbstätigen entspricht. Über drei Viertel von ihnen arbeiten im Dienstleistungsbereich und gehören damit zur klassischen Zielgruppe von ver.di, die als bisher einzige DGB-Gewerkschaft Selbstständige mit einer ehrenamtlichen Struktur vertritt und ihnen umfassende Beratung bietet. Im Fachbereich Medien, Kunst und Industrie sind Solo-Selbstständige keine Exoten. Weniger hat sich herumgesprochen, dass dieser Status in allen Fachbereichen vorkommen kann. Die Motive, selbständig zu arbeiten, reichen vom Wunsch nach selbstbestimmter Arbeit bis zur Vermeidung von Erwerbslosigkeit. Bei der dritten Bundeskonferenz der ver.di-Selbstständigen am 13. und 14.Mai traten diese unterschiedlichen Motive und Selbstverständnisse deutlich hervor. Das Spannungsfeld zwischen gesundem Selbstbewusstsein und der Versuchung, sich die eigene Lage schönzureden sowie der Notwendigkeit, bei Honorarverhandlungen selbstbewusst aufzutreten, war auch in Workshops und Pausen ein wiederkehrendes Diskussionsthema.
Neben freien Journalisten, Schauspielerinnen und bildenden Künstlern war auch der Fachbereich Bildung, Wissenschaft und Forschung gut vertreten. Nach Einschätzung der Konferenzteilnehmer gibt es aber sowohl in diesem Bereich als auch im Fachbereich3 (Gesundheit) noch starke Defizite bei der Einbeziehung von Selbstständigen. Die Fachbereichssekretäre sollten dafür sensibilisiert werden und die Mitgliederdatenbanken auf »versteckte« Solo-Selbstständige überprüfen, heißt es in einem Beschluss. Zudem solle das Beratungsangebot über das ver.di-Netzwerk mediafon hinaus ausgebaut werden: zumindest in den Landesbezirksbüros müsse es Ansprechpartner für die speziellen Probleme der Solo-Selbstständigen geben. ver.di müsse „publikumswirksam und nachdrücklich“ auf den Skandal hinweisen, „dass immer mehr gesellschaftlich unverzichtbare und traditionell staatliche Aufgaben für Niedrig-Honorare von Solo-Selbstständigen übernommen werden.“
In der Satzung verankert
Eine Gemeinsamkeit zwischen den unterschiedlichen Berufsgruppen ist zum Beispiel die schlechte Planbarkeit von Auftragsspitzen, wodurch unter anderem Termine für die ehrenamtliche Arbeit schwer zu organisieren sind. Nicht umsonst ist die Bundeskommission Selbstständige (BKS) auch deshalb als einziges ver.di-Gremium für die ehrenamtliche Selbstständigenarbeit verpflichtend in der Satzung verankert. Fachbereichsübergreifend sind auch Probleme mit Versicherungen und der Steuer. Unterschiede gibt es zum Beispiel bei der Suche nach potentiellen Verbündeten, die im Workshop „Organizing“ angesprochen wurde. Für freie Journalisten sind dies fest angestellte Kollegen und Redakteurinnen, mit denen sie gut zusammenarbeiten sowie Betriebsräte von regelmäßigen Auftraggebern. Längst nicht immer fühlen sich diese Betriebsräte für Honorarkräfte zuständig, obwohl sie es sind. Eine Schauspielerin und Synchronsprecherin kennt dagegen nur wenige fest angestellte Kolleginnen und Kollegen, denn „die gibt es kaum“. Sowohl in diesem Bereich als auch im Journalismus gibt es zahlreiche Nachwuchskräfte, die für extrem wenig Geld oder sogar umsonst arbeiten, vielleicht, um sich erst einmal einen Namen zu machen, in der Hoffnung, irgendwann doch auf elterliche Unterstützung und Nebenjobs verzichten zu können. Der Wettbewerb ist mitunter für alle Beteiligten ruinös. Deshalb wollen die ver.di-Selbstständigen ihre Vereinzelung überwinden. Eine wichtige Botschaft des „Organizing“-Workshops lautete: Fragen stellen und zuhören. Der Erfahrungsaustausch mit Solo-Selbstständigen anderer Berufsgruppen erweist sich als hilfreich.
Äußerst prekär ist auch die Situation von Dozentinnen und Dozenten in der Erwachsenenbildung, was sich nur langsam herumspricht. Selbst ver.di-Chef Frank Bsirske wusste in einer Talkrunde bei der Selbstständigenkonferenz nicht auf Anhieb, wie wenig ein Dozent für Integrationskurse verdient: Zwei solcher Kurse im Jahr – „und mehr schafft man nicht“, so der Dozent Karl Kirsch – umfassen rund 1.000 Unterrichtsstunden, die mit einem Brutto-Stundensatz von 15 Euro vergütet werden. Mit der nötigen Vorbereitung auf den Unterricht und der Bürokratie, die ein Selbstständiger nebenbei zu bewältigen hat, ist dies ein Vollzeitjob. Von den Jahreseinnahmen in Höhe von 15.000 Euro bleibt nach Abzug von Betriebskosten und Versicherungen ein Leben auf Hartz-IV-Niveau. „Dafür habe ich studiert“, so Kirsch. Bsirske betonte mehrfach, ver.di habe die strategische Bedeutung der Organisierung von Solo-Selbstständigen erkannt und nehme das Thema sehr ernst.