Vielfalt ade

Zeitungen in Mecklenburg-Vorpommern hängen an einem Tropf

Einfalt statt Vielfalt – davon können die 1,7 Millionen Einwohner in dem Bundesland an der Ostseeküste sich täglich überzeugen: Drei Tageszeitungen für ein ganzes Bundesland und die unterscheiden sich kaum. Gemeinsame Mantelredaktionen, Auslagerungen von ganzen Redaktions- und Verlagsteilen, miserable Honorare für die freien Journalisten. Pressevielfalt geht anders, davon sind auch zunehmend die Politiker im Schweriner Landtag überzeugt. Und das nicht nur wegen der Wahl im September.

Rückblende, 2007, dju-Journalistentag in Berlin: Vor knapp vier Jahren wurde folgende Resolution verabschiedet: „Der Norden braucht seine regional verbundenen und unabhängigen Zeitungen. Die Teilnehmer rufen die Verleger der regionalen Tageszeitungen in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein zur Sicherung der journalistischen Eigenständigkeit der Zeitungen auf. Es gilt, Qualität und Vielfalt, die Arbeitsbedingungen aller Beschäftigten und die demokratische Mitbestimmung der Redaktionen zu stärken und auszubauen.“ Und nicht zuletzt: „Die Pläne, Beschäftigte der Ostsee-Zeitung (OZ) und der Lübecker Nachrichten (LN) in eine Gemeinschaftsredaktion zu verschieben, bedrohen das publizistische Potenzial der beiden Zeitungen.“
Vier Jahre später, 15. Juni 2011: Ein kurzer Blick auf das publizistische Potenzial dieser beiden Tageszeitungen, deren gemeinsamer Inhaber Madsack in Hannover ist: Seite Eins: zwei Titel, gleiches Layout, aber immerhin: verschiedene Aufmacher. Seite Zwei, die Meinungsseite: weitgehend identisch. Total übereinstimmend dann der „Blickpunkt“, die Seite Drei, das „Gesicht“ einer Tageszeitung: gleiches Layout, gleiche Geschichte, gleiches Foto. Seite Vier, Politik: dito, nur das Layout variiert. Warum allerdings bei jeweils zwei kleineren Artikeln an der Trave über Libyen und Krankenkassen, an der Warnow hingegen über Griechenland und die FDP berichtet wird, erschließt sich dem Leser nicht. Richtig erfrischend abwechslungsreich dann Fünf und Sechs, den Seiten für Norddeutschland (LN) und Mecklenburg-Vorpommern (OZ). Doch Panorama, Wissen und Medien – absolut identisch. Selbst das Kreuzworträtsel kann man in beiden Zeitungen nur einmal lösen. Lediglich die Lokalseiten und Todesanzeigen unterscheiden sich wie bei eigenständigen Zeitungen.
Als Konzept hinter dem Einheitsbrei steht die Kooperation „Redaktions-Service Gesellschaft (RSG)“ von Ostsee-Zeitung und Lübecker Nachrichten mit Sitz in Lübeck. Hier werden die gemeinsamen Seiten konzipiert und gefertigt – noch. Denn mittlerweile plant der Madsack-Konzern, der beide Blätter 2009 von Springer kaufte, in größeren Dimensionen und will möglichst Inhalte in der gesamten Mediengruppe zwischen Ostsee, Sachsen, Hannover und Oberhessen nutzen. Die Ausdünnung der Redaktionen geht weiter.

Keine Vollredaktion mehr

Auch bei den beiden anderen Tageszeitungen in Meck-Pomm sieht es in Sachen Vielfalt nicht besser aus: Seit April 2009 haben der Nordkurier aus Neubrandenburg und die Schweriner Volkszeitung eine gemeinsame Mantelredaktion mit Sitz in Schwerin. Nicht, dass die beiden Zeitungen zu einem Konzern gehören, dennoch produzieren sie ihre Seiten gemeinsam. Der Nordkurier gehört zu je einem Drittel den Kieler Nachrichten (24,5 Prozent Beteiligung Madsack), der Augsburger Allgemeine (mediengruppe pressedruck) und der Schwäbischen Zeitung (Schwäbischer Verlag). Gesellschafter der Schweriner Volkszeitung ist zu 100 Prozent der Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag (sh:z). Die gemeinsamen Mantelredaktionen machen es möglich: Im ganzen Land gibt es keine Zeitung mehr mit einer eigenen Vollredaktion.
Alle drei Titel der ehemaligen SED-Bezirkszeitungen sind fest in westdeutscher Verlegerhand und dementsprechend wird auf höchstem Niveau gejammert und über zu hohe Kosten lamentiert. Und gespart wird somit an allen Belegschaftsecken, nicht nur bei den Festangestellten, sondern auch bei den freien Mitarbeitern. Frech behaupten die Verleger, dass die im Februar 2010 zwischen ver.di/dju, DJV und dem BDZV abgeschlossenen Vergütungsregeln für freie Textjournalisten an Tageszeitungen im Osten keine Geltung hätten. Nach wie vor zahlen sie jämmerliche Zeilenhonorare, die, je nach Auflage, bei durchschnittlich 30 Cent je Druckzeile liegen. Eine „Führungsrolle“ auch hier der Nordkurier aus Neubrandenburg.
Noch heute gilt, was vor zwei Jahren der ehemalige Nordkurier-Mitarbeiter Gerd Koths in dem dju-Film „Schlaglichter auf die Wirklichkeit – Generalangriff auf Honorare und Gehälter“ (http://www.vimeo.com/8979537) über die Situation der Freien bei seiner Ex-Zeitung zusammenfasste: „Die Situation hat sich verschärft. Früher konnte man dadurch, dass man Zeilen geschunden hat, noch ein bisschen was dabei verdienen, aber seit es die neuen Honorarpauschalen gibt, kriegt man für einen Artikel im Lokalen etwa nur noch fünfzehn Euro. Und wenn wir ehrlich sind, hab ich die fünfzehn Euro an der Tankstelle schon ausgegeben, bevor ich überhaupt den Ort erreicht habe, an dem ich recherchieren will.“
Dass die Gegenwehr gegen solche Praktiken durchaus auch zum Erfolg führen können, zeigt ein Urteil, das jüngst am Landgericht Rostock gegen den Nordkurier erging: Wesentliche Klauseln der „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ des Verlags stufte das Gericht als Knebelverträge ein und erklärte sie für nichtig. Richter Christian Möllenkamp hob dabei hervor, dass der Vergütungsanspruch eines freien Mitarbeiters durch Allgemeine Geschäftsbedingungen nicht einfach komplett ausgeschlossen werden kann. Genau das hatte die im Auftrag des Neubrandenburger Kurierverlages tätige Tochterfirma getan, indem sie sich vorbehielt, Beiträge „aus inhaltlichen, qualitativen oder rechtlichen Gründen“ nicht abzunehmen und dann auch nicht zu honorieren.
In der Szene werden der Nordkurier und sein Geschäftsführer Lutz Schumacher, besser bekannt unter dem Namen „Zumacher“ wegen der Entlassung einer gesamten Lokalredaktion in seiner Münsteraner Zeit, längst als die „Freibeuter der Branche“ gehandelt. Und sie geben ihr Bestes, dieses Image zu wahren: Im Nordkurier-Webauftritt war erst kürzlich die vierminütige Verlegeranleitung „Bastele dein eigenes Piratenschiff“ zu sehen. Mittlerweile verfügt der Verlag nicht mehr über nur ein Schiff, sondern über eine ganze Flottille. Bei ver.di spricht man inzwischen von mehr als einem Dutzend ausgelagerter Firmen.
Schon vor vier Jahren prophezeite der Schweriner ver.di-Fachbereichssekretär Michael Pfeifer: „Der Outsourcingprozess dürfte sich fortsetzen. Die in den Verlagshäusern auf Gewinnmaximierung gerichteten unternehmerischen Maßnahmen werden zu Qualitätsverlusten führen, die Akzeptanz in der Leserschaft und die Identifikation mit ihrer eigentlichen Heimatzeitung werden schwinden. Das führt zu Auflagenrückgängen. Die Abwärtsspirale bei den Printmedien schreitet voran.“

Sinkende Auflagen

In der Tat sackte bei allen drei Blättern die verkaufte Auflage gewaltig. Im Vergleich das 1. Quartal 2009 und 2011: Beim Nordkurier rutschte die Auflage von 92.684 auf 87.286, bei der Ostsee-Zeitung von 144.820 auf 141.303 und beim Schweriner Volksblatt von 99.110 auf 92.914 Exemplare.
Nicht zuletzt durch die unermüdlichen Aktionen der gemeinsamen Initiative „Qualität und Vielfalt sichern – Unser Land braucht seine Zeitungen“ von DGB, ver.di, dju und DJV (www.qualitaet-und-vielfalt-sichern.de) haben die Politiker in Mecklenburg-Vorpommern sich mit dem Problem dieser sterbenden Zeitungslandschaft in ihrem Bundesland beschäftigen müssen. Medienpolitische Sitzungen im Schweriner Landtag waren die Folge. Nicht nur die Frage der Pressevielfalt, sondern auch der Pressefreiheit wurden fraktionsübergreifend diskutiert. CDU-Medien-Experte Armin Jäger: „Ich glaube nicht, dass Fusionen, noch dazu solche, die über landsmannschaftlich geprägte Regionen oder gar über Landesgrenzen hinweg geschlossen werden, die Zeitungen für ihre Leser in Mecklenburg-Vorpommern attraktiver machen. Und ohne Attraktivität für den Leser, man kann auch sagen ohne einen Mehrwert, kann keine Zeitung überleben.“ Die medienpolitische Sprecherin Ute Schild von der SPD-Fraktion, ging auf dem Schweriner Pressetag 2009 noch einen Schritt weiter: „Die Pressefreiheit ist bedroht, wenn Zeitungen nur noch als Wirtschaftsbetriebe agieren.“ Zustimmung auch vom Fraktionschef der Linken, von Helmut Holter: „Der Zeitung gebührt der Anspruch der Daseinsvorsorge.“
Unterstützung erfahren die Politiker durch die bekannte Studie der Universität Hamburg von Elke Grittmann. Am Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaften verglich sie die drei Blätter, nahm als Grundlage stichprobenmäßig Ausgaben von 2003 und 2008. Ihr Fazit: Es bestehe ein Trend zur „totalen Vereinheitlichung“. Zitat aus der M vom Mai 2009: „Taucht in Lübeck wie in Rostock eine identische Berichterstattung auf, so wird die individuelle Note nur durch ausgetauschte Straßeninterviews gesetzt. Grittmann warnt vor monopolistischer Einfalt: ‚Hier geht grundsätzlich etwas verloren.’ Qualitätsjournalismus sieht anders aus, doch dafür fehlt es an Ressourcen.“
Im Herbst sind Wahlen in Schwerin. In den vergangenen Jahren haben die Politiker aller demokratischen Parteien in Sachen Medienpolitik für ihr Land einiges dazugelernt. Unisono sehen sie die Presse des Landes in einer schwierigen Situation. Das ist ein Ergebnis der Diskussionsrunde mit Kandidaten zur Landtagswahl, die der DGB in Rostock kürzlich veranstaltete.
Die Initiative „Qualität und Vielfalt sichern“ sieht sich in ihrer Arbeit bestätigt: Michael Silkeit, der am 4. September für die CDU ins Schweriner Parlament einziehen will, beklagte einen „Verfall der Medienlandschaft“, der sich in mangelnder Sorgfalt und Professionalität zeige.

Niedrigst-Lohnland

Als Ursachen dieser Entwicklung machte Regine Lück (Linke) die teilweise „erschütternden“ Arbeitsbedingungen aus: MV sei ein Niedrigst-Lohnland für freie Journalisten. Die Politik müsse überlegen, wie sie dieser Entwicklung entgegenwirke, ohne in die Pressefreiheit einzugreifen. So sprach sich Johann Georg Jaeger (Bündnis 90/Die Grünen) wie die anderen Teilnehmer des Gesprächs für eine Überarbeitung des Landespressegesetzes aus. So könne dem mit-unter fehlenden Bewusstsein für die Bedeutung der Presse in der demokratischen Gesellschaft begegnet werden. Jochen Hoffmann (Freie Wähler) ergänzte: Transparenz über wirtschaftliche Verflechtungen, wie sie die Partner der Initiative „Unser Land braucht seine Zeitungen“ fordern, sei eine Möglichkeit, die Medien-Nutzer zu sensibilisieren.
Und dann ist da noch ein anderes Problem in Mecklenburg-Vorpommern. Neben der Sachlage „Einfalt statt Vielfalt“ der bürgerlichen Medien gibt es auch die rechte Presse. Es sind Gratis-Blätter wie Anklamer Bote, Greifswalder Bote, Bote für Usedom und Stralsunder Bote, die von einer NPD-nahen Initiative herausgegeben werden. Nicht bestrittenes Ziel von NPD und rechter Presse ist es, in die Lücken, die traditionelle Medien hinterlassen, vorzudringen. Originalton der rechten Webseite freies-pommern.de: „In den letzten Tagen verteilten viele fleißige Aktivisten den Anklamer Boten in der Hansestadt an der Peene. Inhaltlich geht es in der Ausgabe um die Themen Kinderschänder, die Ausgaben für Asylanten, den Schwund beim Nordkurier, die Streichung des Heizkostenzuschusses und vieles mehr.“

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