Der 20. Mai 1866 lag zu Pfingsten. 34 Abgesandte deutscher Buchdruckergehilfen hatten sich in Leipzig zum ersten Buchdruckertag versammelt, um ihren Verband zu gründen. Der bildet die älteste Wurzel der heutigen Dienstleistungsgewerkschaft. Auf den Tag genau 150 Jahre später wurde in der ver.di-Bundesverwaltung des Jubiläums gedacht – mit der Eröffnung der Ausstellung „Vom Deutschen Buchdruckerverband zur Einheitsgewerkschaft – ver.di. Solidarität. Emanzipation. Tarifkampf“.
Die Schau, die zehn Themenschwerpunkte und 26 Biografien beleuchtet, setzt sogar noch früher an: 1848. Im Revolutionsjahr – wieder zu Pfingsten – waren die Buchdrucker mit Streiks und Forderungen gegen unmenschlich lange Arbeitszeiten und Hungerlöhne, mit dem ersten Entwurf eines Tarifvertrages auf die gesellschaftliche Bühne getreten. Ihre Lage analysierend, hatten sie zuvor festgestellt, dass sich das „Capital“ nur dann um den Arbeiter kümmert, „wenn es ihn zu einer vorübergehenden Spekulation nöthig hat“. Auch der „Staat will und kann nicht unsere Existenz garantieren, deshalb müssen wir für uns sorgen“. Die Forderungen verrauchten zunächst auf der Asche der Barrikaden der bürgerlich-demokratischen Revolution, wurden aber nach der Gewerkschaftsgründung wieder aufgenommen. 1873 führten sie zum Abschluss des ersten reichsweiten Tarifvertrages: Zehn Stunden Arbeit mit zwei Pausen, Kündigungsfristen, ein Akkord- sowie ein wöchentlicher Mindestlohn wurden darin festgelegt.
Stolz auf die Traditionslinie
Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen, Entlohnung. Diese Grundforderungen tauchen in der 150jährigen gewerkschaftlichen Geschichte immer wieder auf. Sei es beim verlustreichen Kampf um den Neunstundentag und den Einstieg dazu 1896. Sei es beim Ringen um erste Lohnerhöhungen nach dem I. Weltkrieg, die schließlich 1925 erstritten wurden. Sei es bei der Durchsetzung der 40-Stunden- und der Fünf-Tage-Woche in der alten Bundesrepublik in den 1960er Jahren oder beim Kampf der Heinze-Frauen um gleichen Lohn für gleiche Arbeit bis zu ihrem Sieg vor dem Bundesarbeitsgericht 1981. Die Tradition führt hin zum 13-wöchigen Streik um die Einführung der 35-Stunden-Woche, den die IG Druck und Papier 1984 am Ende solidarisch gewann.
All diese Meilensteine gewerkschaftlicher Selbstbehauptung lassen sich in der Ausstellung mit Texten, Bildern und Dokumenten eindrücklich nachvollziehen. Besucher können aber gleichzeitig erfahren, was Menschen wie Richard Härtel, Paula Thiede, Emil Döblin, Rudi Arndt, Gertrud Petzold, Heinrich Hansen oder Leonhard Mahlein mit dieser Geschichte zu tun haben. Ein großes Verdienst der Schau, die von Gewerkschafter_innen, Wissenschaftler_innen und Historiker_innen überwiegend ehrenamtlich erarbeitet wurde, liegt gerade darin, den Beitrag bekannter und weniger bekannter gewerkschaftlicher Mitstreiter_innen zu würdigen. Speziell gilt das für Gewerkschafter im Widerstand gegen Hitler.
Auch wenn die moderne Dienstleistungsgewerkschaft, die jetzt 15 Jahre alt wird, „organisatorisch und kulturell nicht mehr sehr viel gemein hat“ mit der frühen Vorgängerorganisation der Buchdrucker, sei ver.di „stolz auf diese Traditionslinie“ erklärte der stellvertretende Vorsitzende Frank Werneke zur Feier der Ausstellungseröffnung. Im historischen Diskurs schlussfolgerte er: „Wir wären nicht da, wo wir heute sind, wenn es diesen langen Kampf für Fortschritt, Gerechtigkeit und Demokratie nicht gegeben hätte.“ Der ver.di-Vize dankte den Ausstellungsmachern, die „Arbeit und Herzblut“ in das Vorhaben gesteckt hätten, Geschehnisse und Biografien „dem Vergessen zu entreißen“. Constanze Lindemann vom Berliner Karl-Richter-Verein als Initiatorin und Koordinatorin überreichte ihren Mitautoren Buchpräsente. Sie hielt ein leidenschaftliches Plädoyer, die Gewerkschaft auch künftig „von innen heraus zu entwickeln“. Es sei existenziell, den Mitgliedern Identität zu vermitteln, ein „Zu-Hause-Sein und gemeinsames Wachsen mit Kolleginnen und Kollegen in überschaubaren Zusammenhängen“ zu ermöglichen: Strukturen und Orte seien „nicht austauschbar“.
Die Ausstellung ist bis 30. Juni in der ver.di-Zentrale zu sehen. Ein aufwändig gestalteter Katalog dürfte sie noch länger bewahren. Zu einer informativen thematischen Webseite geht es hier.