In der Suchschleife

Praktika als zusätzliche Probezeit auf Kosten der Gesellschaft

Die „Generation Praktikum“ ist kein kurzzeitiges Phänomen unserer Wirtschaft, sie löst sich nicht allein durch den prognostizierten Fachkräftemangel, sondern ist bei vielen Arbeitgebern zu einer zusätzlichen Probezeit auf Kosten der Gesellschaft avanciert. Das stellt die zweite DGB-Studie „Generation Praktikum 2011“ fest, für die nach vier Jahren erneut Absolventinnen und Absolventen über ihren Berufseinstieg befragt wurden. Deshalb fordert der DGB die gesetzliche Regulierung der Praktika als Lernverhältnis.

Nur jeder Fünfte hat 3,5 Jahre nach Studienabschluss eine unbefristete Stelle gefunden. 38 Prozent der Absolventen haben nach dem Studium noch ein Praktikum absolviert. Während Arbeitgeber dies gerne als notwendig wegen der mangelnden Praxiserfahrung der Akademiker bezeichnen, ergab die Befragung, dass ein Drittel der Studierenden das erste Praktikum schon vor Studienbeginn antritt, nahezu die Hälfte in das Studium eingebaute Praktika absolviert und fast zwei Drittel in dieser Zeit freiwillige Praktika ableistet. Von Praxisfremdheit kann wohl nicht ernsthaft die Rede sein.
Hatten die Wissenschaftler der Absolventenforschung der FU Berlin im Auftrag von DGB und Hans-Böckler-Stiftung 2007 rund 500 Fragebögen von Absolventen der FU Berlin und der Universität zu Köln ausgewertet, so liegen der neuen, ebenfalls nicht repräsentativen, Studie diesmal 674 Antworten von Absolventen der FU Berlin, der Kölner Uni sowie der Unis in Rostock und Hamburg zugrunde. Für die Medienbranche ist bei den 38 Prozent, die nach dem Abschluss „ein Praktikum oder eine praktikumsähnliche Tätigkeit“ machen, allerdings Vorsicht geboten, da unter die „praktikumsähnlichen Tätigkeiten“ nicht nur Hospitationen, sondern auch Volontariate und Traineeships gezählt werden. Zum einen also reguläre journalistische Ausbildungsverhältnisse und zum anderen ein Begriff, der auch für den Führungsnachwuchs in der Verlagsbranche verwendet wird. Ohne diese Beschäftigungsverhältnisse bleiben aber im Gesamtbild immer noch 29 Prozent Akademiker mit „echten“ Praktika übrig. Wie 2007 sind auch 2011 mehr Frauen (32 Prozent) in dieser „Suchschleife“ als Männer (25 Prozent), was auch an den bevorzugten Studiengängen und Branchen liegt.
Auffällig gestiegen ist die Zahl derjenigen, die sich durch ein Praktikum den Einstieg in ein festes Arbeitsverhältnis erhofft: Waren dies 2007 rund 35 Prozent, so setzen jetzt die Hälfte der Absolventen ihre Hoffnung auf den sogenannten Klebeeffekt, der aber gerade mal für ein Fünftel Wirklichkeit wird. Gesunken ist die Dauer der Praktika, worin DGB-Jugendsekretär René Rudolf einen Erfolg der gesellschaftlichen Diskussion sieht. Von 45 auf 40 Prozent gefallen ist auch die Zahl der unbezahlten Praktika, allerdings auch der Durchschnittsverdienst, nämlich auf 551 Euro monatlich oder 3,77 Euro pro Stunde – und das obwohl vier Fünftel angeben „vollwertige Arbeit“ geleistet zu haben und drei Viertel völlig in den Arbeitsablauf des Betriebes eingebaut waren.

Häufig ein Nullsummenspiel

Die höchsten Praktikazahlen nach dem Studium erreichen die Studienrichtungen Sozialwissenschaften und Psychologie (68%) sowie Geistes- und Kulturwissenschaften (55%). Die wenigsten Praktika leisten die Techniker und Ingenieure (3%), gefolgt von den Erziehungswissenschaftlern und Pädagogen (9%). Den Spitzenplatz bei den Branchen in der Häufigkeit der Praktika belegen Presse, Rundfunk und Fernsehen (44%), bei denen zwei Drittel der akademischen Praktikanten mit durchschnittlich 430 Euro oder einem Stundenlohn von 2,93 abgefunden wird. Ein Drittel geht leer aus. Wer sich auf ein Praktikum im Bereich Kunst und Kultur einlässt, sieht diesem Nullsummenspiel allerdings mit einer Wahrscheinlichkeit von 67Prozent entgegen. Auch bei den Praktika nach akademischen Weihen gibt es ein Nord-Süd-Gefälle: Hochburgen sind Berlin (60%) und die Küstenländer (63%), die mit 52 Prozent auch den Spitzenwert bei den unbezahlten Praktika einnehmen.

Finanziert wird diese zusätzliche Probezeit und der „kostengünstige“ Einsatz motivierter junger Arbeitskräfte in Unternehmen durch die Gesellschaft, die Arbeitenden und ihre Familien: In 56 Prozent der Fälle zahlen die Eltern zu, 43 Prozent der Praktikanten plündern dafür ihre Ersparnisse und 22 Prozent erhalten in dieser Zeit Sozialleistungen vom Staat.
Der DGB lehnt Praktika nach dem Studienabschluss ab und fordert, Praktika im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) eindeutig als „Lernverhältnisse“ zu definieren. Doch das bereits vorbereitete Gesetz der schwarzroten Koalition ist ganz tief in den Schubladen der Arbeits- und der Wissenschaftsministerin versunken. Für eine Regulierung sprachen sich bei einer Veranstaltung der DGB-Jugend in der Berliner Volksbühne die Vertreter der Grünen, der Linken und der SPD aus. Sie sehen in der Eingrenzung der Praktika und der Einführung eines allgemeinen Mindestlohns Möglichkeiten, den „ramponierten Faktor Arbeit“ wieder aufzuwerten und den Berufseinstieg wieder zu einer echten Startchance zu machen. Ein länderübergreifendes Problem, wie die Diskussion über die „Generation Praktikum“ nicht nur in der Europäischen Union zeigt. Die Illustrationen und Plakate zur neuen Studie stammen übrigens von zwei jungen Kreativen aus den Niederlanden, die sich nach niederschmetternden Erfahrungen als Layouterin und Fotograf auf Jobsuche schließlich für den Sprung in die Selbstständigkeit entschieden – mit Hilfe ihrer Eltern. Elf Prozent der deutschen Befragten sind den gleichen Weg gegangen.

Info

Boris Schmidt, Heidemarie Hecht: Generation Praktikum 2011 – Praktika nach Studienabschluss: Zwischen Fairness und Ausbeutung.
http://www.dgb-jugend.de/

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