Gespräch mit Manfred Krupp, Intendant des Hessischen Rundfunks und Vorsitzender der ARD-Verwertungskommission
M | Zwar wird das Totenglöckchen für das lineare Fernsehen noch nicht geläutet. Aber auch bei den Öffentlich-Rechtlichen stellt man fest, dass immer mehr Zuschauer zu nicht-linearen TV-Konsumformen abwandern. Wie reagiert die ARD-Verwertungskommission, deren Vorsitzender Sie sind, auf diesen Trend?
Manfred Krupp | Das lineare Fernsehen wird noch über viele Jahre dominant sein. Im Augenblick ist es noch so, dass bedeutend mehr linear gesehen als non-linear abgerufen wird. Unsere vordringlichste Aufgabe ist, das beitragsfinanzierte Programm unseren Nutzern kostenfrei zugänglich zu machen. Das heißt, erste Priorität hat der Ausbau unserer Mediatheken. Wir wollen sie funktionsfähiger machen, einfacher steuerbar und sie möglicherweise nach Genres sortieren. Dann erst kommt der Verwertungsbereich. Dort wollen wir dafür sorgen, dass wir Zielgruppen, die wir über die normale Verbreitung nicht mehr erreichen, möglicherweise über ein Verwertungsmodell erreichen können. Denn wer sich freiwillig entscheidet, auf eine Verwer
tungsplattform zu gehen, der soll auch dort unsere Inhalte finden.
Bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten wird ein Generationenabriss beklagt. Vor allem die junge Generation ist fahnenflüchtig. Mit welcher Strategie wollen Sie diese Generation erreichen?
Zum einen werden wir demnächst ein junges Angebot haben nur im Netz, mit dem wir ganz gezielt auf die sehr junge Zielgruppe gehen. Zum anderen haben wir in der Entwicklung bestimmter Produktionen gelernt, dass wir mit unseren klassischen Produkten, vor allem mit unseren starken Marken und jüngeren Erzählformen junge Menschen durchaus erreichen können. Nach den positiven Erfahrungen mit der „Tagesschau”-App haben wir daher jetzt auch eine kostenlose „Tatort”-App auf den Markt gebracht. Wir wissen, dass einige Zielgruppen verstärkt das Mobilgerät nutzen. Deswegen müssen wir mehr Angebote für Mobilgeräte entwickeln.
Was haben Dienste wie Netflix oder Maxdome den öffentlich-rechtlichen Mediatheken voraus?
Bei den Angeboten wenig. Unser Angebot ist viel breiter und um einiges vielfältiger. Was sie uns voraus
haben, ist eine einfache Funktionalität und insbesondere Empfehlungsmechanismen. Wer sich für ein Thema interessiert, kriegt dort gleich ein weiteres auf seine Bedürfnisse zugeschnittenes Angebot und wird dort auch zu anderen Angeboten übergeleitet. Wir sind in der Steuerung teilweise zu umständlich. Wir bieten zu wenig Vorsortierung etwa nach Genres. Zum Beispiel: Wer sich für Krimis interessiert, kann gleich auf einen Blick alle Krimi-Angebote sehen. Wer sich für Dokumentation, einen Teil unseres absoluten Markenkerns, interessiert, kann die Dokumentationen sehen. Und wenn ich eine Dokumentation zu einem Thema habe, kriege ich gleich die Empfehlung für die nächste. Da können wir von den kommerziellen Anbietern noch einiges lernen.
Wo wollen Sie bei der Neuordnung der Mediatheken am ehesten ansetzen? Es gibt ja auch noch medienrechtliche Einschränkungen…
Wir haben eine bestimmte Verweildauer, die wir aber nicht in allen Genres ausschöpfen. Deswegen wollen wir in einem ersten Schritt zunächst die Verweildauer, die uns gesetzlich zugestanden wird, ausschöpfen. Wir sind gerade dabei, die unterschiedlichen Verweildauerregelungen zwischen der Mediathek „Das Erste” und der ARD-Mediathek anzugleichen. Dazu findet gerade ein Drei-Stufen-Test beim Bayerischen Rundfunk statt. Das heißt, wir wollen unsere Inhalte länger kostenfrei verfügbar machen. Wir wissen aber auch, dass die Nutzung, je länger ein Produkt in der Mediathek ist, umso mehr absinkt. Deswegen ist es dann sinnvoll, in einen anderen Verwertungsweg zu gehen. Aber die Nutzer sollen erkennen, dass es ein Produkt von uns ist. Deswegen müssen wir drauf achten, dass immer auch klar ist: Wer ist der Absender.
Die populärste Marke der ARD ist der „Tatort”, der non-linear am häufigsten abgerufen wird. Aber zu Ihrem Kummer nicht nur auf legalem Wege. Wie gehen Sie mit der Videopiraterie um?
Wir haben gerade bei YouTube Hunderte von Fassungen von „Tatorten”, die dort illegal eingestellt worden sind. Da hinterlegen wir – bei den „Tatorten” und auch bei den „Mittwochsfilmen”, bei wertvollen szenischen Produktionen – mit der Ausstrahlung schon eine Content-ID. Damit wird es möglich, bei YouTube das illegale Herunterladen, das illegale Einstellen, das urheberrechtlich problematische Verändern zu unterbinden. Da sind wir sehr gut aufgestellt und arbeiten auch sehr eng mit Google und YouTube zusammen.
Aufsehen erregt hat in der Branche die Kooperation mit Sky Deutschland. Was steckt dahinter?
Wir haben gerade Neuland betreten mit „Babylon Berlin”. Das ist eine extrem anspruchsvolle und ambitionierte Produktion, die ein Produzent allein nicht hätte stemmen können, weder ein öffentlich-rechtlicher Sender noch ein Pay-TV-Sender. Da wir aber auch glauben, dass wir in Deutschland Innovation und andere Erzählformen brauchen, haben wir uns entschlossen, mit Sky und dem Produzenten zusammen diese Serie gleich in zwei Staffeln zu produzieren. Das kostet viel Geld, ist aber auch eine Investition. Sie wird erst im Pay-TV bei Sky zu sehen sein, dann bei uns in der ARD, im Ersten. Wir sind sehr gespannt, wie das Experiment funktioniert.
Sie nutzen auch kommerzielle Plattformen, um ein anderes, jüngeres Publikum zu erreichen: zum Beispiel Entertain TV der Deutschen Telekom. Unter welchen Kriterien machen sie das?
Es ist uns immer wichtig, dass unser frei empfangbares Produkt auch dort gut sortiert empfangbar ist. Wir wollen nach Möglichkeit auf der Startseite auffindbar sein. Unsere Mediatheken sollen ohne weitere Zugangsschwellen genutzt werden können. Deshalb ermöglichen wir Entertain TV zum Beispiel, für eine sehr begrenzte Zeit nach einer Genre-Sortierung das anzubieten, was wir in den Mediatheken haben.
Sie arbeiten auch mit Netflix zusammen. Zumindest zwei Serien werden auch über Netflix vermarktet…
Es gibt Produkte, die wir an Amazon verkauft haben, es gibt Produkte, die einzelne Häuser an Netflix verkauft haben. Wir legen aber schon Wert darauf, dass man den Absender erkennt. Und wir werden in Zukunft bei den wichtigen Produktionen sicherzustellen versuchen, dass die Absenderkennung schon im Titel drin ist. Das ist besonders wichtig für Anbieter wie Netflix, die eine vorgeschaltete Senderkennung, eine sogenannte Pre-Roll, ablehnen.
Bei der Arbeitsgemeinschaft für Fernsehforschung (AGF), in der Sie die ARD vertreten, wird verstärkt versucht, auch die Messung des non-linearen TV-Konsums voran zu treiben. Wie weit sind Sie da?
Wir haben jetzt gerade einen großen Schritt getan, indem wir die Messungen auf Streaming ausgeweitet haben. Dadurch erhalten wir sehr viele weitere Nutzungsdaten. Der nächste Schritt wird sein, die Meßsysteme, die wir zurzeit im non-linearen Bereich beim wichtigsten Content-Anbieter, nämlich YouTube, haben, vergleichbar zu machen mit der Fernsehnutzung. Da haben wir ein gemeinsames Projekt der AGF mit Google/YouTube. Und wir wollen auch auf anderen Feldern die Kooperation verstärken.
Wie sehen Sie die Chancen für eine große deutsche VoD-Plattform? Das Kartellamt ist ja seinerzeit bei Germany’s Gold in die Parade gesprungen.
Das Kartellamt hat vor drei Jahren einen sehr sinnvollen Ansatz verhindert, weil es nur auf den deutschen Markt geschaut hat. Dieser Markt wird aber gerade von internationalen Anbietern erobert. Nach rein deutschen Kriterien durften wir mit Germany’s Gold nicht an den Start gehen. Wir sind im Augenblick in Gesprächen mit Produzenten, ob wir noch einen zweiten Anlauf starten. Nur mit erheblichen finanziellen Mitteln wird es möglich sein, jetzt in diesen schon vorsortierten Markt mit einer deutschen Plattform neu einzusteigen. Aber wir wissen nicht, ob wir überhaupt so weit kommen.
Quelle und mehr:
www.ard-zdf-onlinestudie.de/ fileadmin/Onlinestudie_2015/0915_Kupferschmitt.pdf