Sorge um die türkischen Medien

In der Türkei ist der Putschversuch gescheitert, doch Beobachter warnen, dass der eigentliche Putsch jetzt erst losgehen könnte. Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach von einem „Geschenk Gottes“ und fing gleich damit an, in der Justiz und in der Armee vermeintliche Regierungsgegner zu entlassen oder festnehmen zu lassen. Man möchte in diesen Tagen nicht als Erdogan-Kritiker in der Türkei leben, denn es ist mit weiteren Repressionen und Racheaktionen zu rechnen. Auch die Medien könnten das zu spüren bekommen.

Die Macht des Präsidenten ist gestärkt. Noch in der Nacht des Umsturzversuchs von einer kleinen Gruppe von Soldaten rief er die Bevölkerung auf, Widerstand zu leisten. Dann flog er nach Istanbul und ließ sich als Helden feiern, dem nicht einmal ein Putsch des mächtigen türkischen Militärs etwas zuleide tun kann. So wie es aussieht, wird es für Erdogan jetzt ein leichtes sein, die umstrittene Präsidialverfassung umzusetzen. Denn wer würde es wagen, sich ihm in den Weg zu stellen?

Als Drahtzieher hinter dem Putsch hat Erdogan den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen ausgemacht. Er hat sich vom einstigen langjährigen Verbündeten seit wenigen Jahren zum Todfeind Erdogans gewandelt, weil er angeblich hinter Korruptionsermittlungen gegen Freunde und Familienangehörige Erdogans stand.

Seitdem hat der heutige Präsident in der Justiz aufgeräumt, zahllose Richter und Staatsanwälte wurden ausgetauscht. Und schon am Morgen nach dem Putsch ließ er erneut mehr als 2.700 Richter suspendieren. Die politische Opposition hat den Putsch einhellig verurteilt, sie hatte kein Interesse an einer Militärdiktatur, die Erdogans Ein-Personen-Demokratur ersetzt. Aber was kann sie ihm jetzt noch entgegensetzen? Dazu kommt, dass die linke und pro-kurdische Partei HDP gerade mit juristischen Mitteln zerstört werden soll. Den meisten ihrer Abgeordneten wurde bereits die Immunität entzogen, sie können jederzeit als Terroristen angeklagt werden, weil sie angeblich die Arbeiterpartei Kurdistans, die PKK, unterstützen.

Auch die Medien werden von Erdogan und seiner islamisch-konservativen Partei AKP seit Monaten unter Druck gesetzt. Zahlreiche Journalisten sitzen in Haft, die linke Presse wird drangsaliert. Nur das laufende Berufungsverfahren verhindert, dass zwei zu langjährigen Haftstrafen verurteilte führende Redakteure der säkularen und linksliberalen Tageszeitung „Cumhuriyet“ nicht im Gefängnis sitzen. Auch der Korrespondent der „Reporter ohne Grenzen“ wurde zwischenzeitlich festgenommen. Angesichts des Trends zur Säuberung aller Institutionen von Regierungsgegnern muss man sich um die Medien allergrößte Sorgen machen. Die wenigen noch kritischen Zeitungen und Fernsehsender haben in den kommenden Wochen und Monaten das Schlimmste zu befürchten.

Aus dem Ausland ist wenig Hilfe zu erwarten. Denn der Westen hat sich in völlige Abhängigkeit der türkischen Machthaber begeben. Als Nato-Partner und Anrainer wird die Türkei bei der Lösung der Syrien-Krise benötigt – und bei der Abwehr der Flüchtlinge erst recht. Erdogan fühlt sich zurzeit unangreifbar. Menschenrechte und Pressefreiheit dürften bei den Beratungen mit der Türkei deshalb keine große Rolle spielen.

Dabei hat die trotz der Regierungspolitik noch immer verbliebene Medienvielfalt des Landes Erdogan kurioserweise dabei geholfen, den Putsch niederzuschlagen. 1980 reichte es den Militärs noch, das staatliche Fernsehen zu besetzen, und sie hatten umgehend die alleinige Meinungshoheit im Land. Diesmal drangen die – insgesamt recht dilettantisch agierenden – Putschisten zwar auch in die Zentrale des türkischen Staatsfernsehens ein. Doch Erdogan ging via Smartphone bei CNN Türk an die Öffentlichkeit. CNN Türk ist ein privater Fernsehsender, der dem kemalistischen Verleger Aydin Dogan und seiner Holding gehört, und die unter anderem auch die oppositionelle Tageszeitung „Hürriyet“ herausgibt.

Hätte Erdogan die ihm eigentlich verhassten Dogan-Medien vollständig zerschlagen, wäre der Umsturzversuch vermutlich nicht so schnell abgewehrt worden.
Es ist allerdings mehr als fraglich, ob Erdogan das bei seiner künftigen Medienpolitik berücksichtigen wird.

Weitere Informationen:

Nachrichtenseiten in der Türkei gesperrt – Reporter ohne Grenzen 18.7.2016

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

Trump: Angriff auf kritische Medien

Donald Trump hat schon im Wahlkampf angekündigt, US-Medien, von denen er sich kritisiert und angegriffen sieht, auszuschalten, sollte er gewählt werden. Von welchen Möglichkeiten er dabei unter anderem Gebrauch machen kann, hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in einem Beitrag aufgeführt. Es zeigt sich: Trumps Drohungen sind alles andere als unrealistisch. Und sein Vorbild für diese sitzt in Europa.
mehr »

US-Wahlkampf: Absurd, aber sehr real

Der US-Wahlkampf kommt in die heiße Phase. Journalistin und Historikerin Annika Brockschmidt beobachtet seit mehr als einem Jahrzehnt das politische System der USA. In ihren neuen Buch beschreibt sie, wie historische Entwicklungen und Machtkämpfe die republikanische Partei geprägt und radikalisiert haben. Mit M spricht Brockschmidt über die Kommunikationsstrategien der extremen Rechten in den USA und die Wahlberichterstattung.
mehr »