„Mehr Männer in Kitas“ im Spiegel der Medienberichterstattung
Wenn Zeitungen oder Fernsehsender über männliche Erzieher in Kindertagesstätten berichten, geraten gut gemeinte Geschichten schnell zum Klischee. Die in wohlwollenden Porträts vorgestellten Erzieher sind Männer wie aus dem Märchenbuch: Alleskönner, außen hart und innen ganz weich, gute Kumpel und keine Basteltanten. Ganze Kerle eben.
Wolfgang Pomierski weiß, „wie man Besenstiele in Pferde verwandelt. Er reißt Fahrkarten für Busse ab, die aus vier Holzstühlen bestehen.“ Damit nicht genug: Der 50-jährige Erzieher aus der Kita Fünfhandbank in Essen-Kray ist ein „phantastischer Geschichten-Erzähler“ – und „ein Buden-Bauer, einer, mit dem man wild toben und auf Bäume klettern kann“. Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung jubelt schon in der Überschrift: „Wild sein mit Wolfi“. So nennen ihn „zärtlich seine Fans, die „zwischen zwei und sechs Jahre alt sind“. Auch die Mütter sind angetan: Männliche Erzieher, erzählt eine, „lassen den Kindern mehr Freiräume, trauen ihnen mehr zu und sind auch oft entspannter“. „Wolfi“ bleibt auch bei riskanten Spielen ganz ruhig. „Die Kinder klettern an Seilen. Irgendwann sind die oben und man denkt, oh je, hoffentlich geht das gut. Wolfgang sagt: ,Das geht schon’.“ Dank energischer männlicher Initiative geht man in der Essener Kita „auch bei Regen raus“ – oder zumindest in den Räumen der Tagesstätte auf „Fantasiereisen, bei denen die Kinder im Cockpit sitzen“. Fazit der Autorin: „Die brave Mal- und Bastelstube war gestern.“
Michael Oehme war früher Gebäudereiniger und Maschinenführer in einer Kabelfabrik. Nach zwei Bandscheibenvorfällen wollte er „etwas Neues machen“. Der 43-jährige „Quereinsteiger“ absolvierte eine reguläre Ausbildung zum staatlich anerkannter Erzieher. Jetzt ist er Fachkraft in der Kita Franz-Wallraff-Straße in Aachen-Brand. Manchmal rasiert er sich tagelang nicht, weil „die Kinder das toll finden. Eine Frau mit Bart gibt es hier nicht.“ Pädagogisch wertvolles Spielen mit Rasierschaum am lebenden Objekt: Die Kleinen aus der gelben Gruppe dürfen Oehmes Gesicht dick eincremen – „eine gute Übung für den Tastsinn“, loben die Aachener Nachrichten. Auch wenn sich die Pausengespräche in seiner weiblich geprägten Umgebung „um Brust-OPs drehen“, bleibt der „einzige Mann unter 15 Frauen“ wunderbar gelassen. Mit seiner „netten ruhigen Art“ löst der männliche Außenseiter Konflikte einfach anders: „Er zickt nicht so rum wie manche Frauen“, sagt eine Kollegin. Das ist der Reporterin prompt die Schlagzeile wert.
Mann beißt Hund
Zwei Beispiele für die Berichterstattung über das Thema „Mehr Männer in Kitas“. Die Bundesregierung hat dazu ein Millionen Euro schweres Programm aufgelegt und an vielen Orten Modellprojekte gestartet. Seither porträtieren vor allem Regionalzeitungen das exotische männliche Personal. Die Erzieher heißen Nico Wolfrath, Tino Wach, Janno Schütte oder Andreas Franke. Sie sind meist jung, die Älteren haben vorher oft in einem „typisch männlichen“ Beruf gearbeitet. Manche kommen gar, kaum zu glauben, von der Bundeswehr: Statt in der Kaserne oder auf Patrouille liegt ihr „Einsatz im Sandkasten“, titelt griffig die Financial Times Deutschland.
Weniger als drei Prozent der Fachkräfte in Kindertagesstätten sind Männer. Die seltenen Exemplare werden als Vorreiter und Vorbilder gefeiert. In den Medien funktioniert das wie die berühmte Meldung „Mann beißt Hund“ – das Gegenteil ist einfach keine Nachricht wert. Autorinnen dieser Berichte sind fast immer Frauen. Die Journalistinnen bemühen sich redlich, gegen Abwertungen wie „Weichei“ und „Weiberkram“ anzuschreiben – und tappen gerade deshalb in die Falle. Indem sie männliche Erzieher als traumhafte Tausendsassas porträtieren, zementieren sie gängige Stereotype über die Unterschiede zwischen den Geschlechtern.
In der Sendung nano auf 3sat zeigt ein Erzieher umringt von Kindern, wie die Maschine funktioniert. Im Länderreport von Deutschlandradio Kultur hat selbstredend die männliche Fachkraft für eine Kita in Brandenburg den technischen Baukasten angeschafft. „Zwei Zahnräder auf einem hölzernen Steckbrett. Johanna dreht am Schwungrad, ein hölzerner Zapfen springt von Zahn zu Zahn“. Den „Erfolg für die kleine Ingenieurin“ darf Kevin Kühne für sich verbuchen. Der Erzieher ist auch zur Stelle, „wenn das Bobby-Car ein Rad verloren hat“.
Männer in Kitas kennen sich mit Technik aus, sie toben und raufen, machen Schneeballschlachten und sind Fußfallfans. Festschreibungen dieser Art finden sich vor allem dann, wenn Autorinnen mit besten Absichten darstellen wollen, was Männer im Umgang mit Kindern vielleicht anders machen. Das Ergebnis ist der echte Kerl, der „starke Mann im Kindergarten“, wie ihn die Neue Osnabrücker Zeitung nennt.
Das Idealbild des weichen, aber zugleich risikobereiten und handwerklich versierten männlichen Alleskönners enthält eine Kränkung der weiblichen Pädagoginnen, die so viel Vielfalt in ihrer Persönlichkeit angeblich nicht zu bieten haben. Oft sind es die Erzieherinnen selbst (oder die Mütter), die in den Berichten über ihre Defizite reden. „Christian traut den Kindern einfach mehr zu als wir Frauen“, lobt die Leiterin der Tagesstätte in Dormagen ihren Mitarbeiter. Der Exot müsse allerdings aufpassen, „nicht zu sehr im männlichen Rollenfach“ aufzugehen, warnt seine Chefin: Sonst werde er „von den Kolleginnen als Hausmeister missbraucht“.
Der Journalist und Buchautor Thomas Gesterkamp hat für die bundesweite Koordinationsstelle Männer in Kitas analysiert, wie und wo die Medien das Projekt aufgreifen.