Der Journalist Georg Restle ist seit 2012 Leiter und Moderator des Politmagazins Monitor in der ARD. Der studierte Jurist tritt für einen „werteorientierten Journalismus“ ein. Mit M sprach er über Fakenews, Fehlerkultur und journalistische Resilienz.
Als Moderator und Redaktionsleiter des ARD-Politmagazins „Monitor“ sind Sie deutschlandweit bekannt und geschätzt – bei manchen aber auch umstritten. Was ist für Sie guter, sinnvoller Journalismus?
Georg Restle | Guter Journalismus ist in erster Linie faktenbasiert, aufklärend und machtkritisch. Das bedeutet zunächst ganz schlicht, die Leute über Sachverhalte zu informieren, die ihnen so noch nicht bewusst waren. Das muss nicht immer aufdeckend investigativ sein, sondern kann auch bedeuten, Fakten in Zusammenhänge einzuordnen, Kontext herzustellen, neue Perspektiven zu eröffnen. Für mich als überzeugten öffentlich-rechtlichen Journalisten ist es immer auch wichtig, die Werte des Grundgesetzes mit im Blick zu haben. Da fühle ich mich an die Programmgrundsätze der Öffentlich-Rechtlichen gebunden, nach denen wir die demokratischen Freiheiten unserer Verfassung zu verteidigen haben. Ich bin überzeugt davon, dass es sehr wichtig und richtig ist, die deutsche Gesellschaft daran zu erinnern, wie fragil unsere Verfassungswerte und Institutionen angesichts des wachsenden Rechtsextremismus‘ in diesem Land geworden sind.
Inwieweit hängt das Gelingen von gutem, sinnvollem Journalismus von der Medienkompetenz der Rezipient*innen ab?
Klar spielt das eine Rolle. Man sollte seine Rezipient*innen aber nie unterschätzen. Wir gehen bei Monitor davon aus, dass es sich bei den meisten unserer Zuschauer*innen um an Politik interessierte Menschen handelt, die auch eine relativ hohe Medienkompetenz haben. Ich sehe hier aber auch Veränderungen, die mit der Digitalisierung zu tun haben. Die klassischen Zuschauer*innen, die um 21:45 den Fernseher für Monitor einschalten, unterscheiden sich deutlich von denen, die unseren Inhalten auf Instagram oder YouTube begegnen. Auf den Plattformen müssen wir, anders als im linearen Format, sehr viel dialogischer unterwegs sein. Gerade beim Community-Management sind wir da gefordert: etwa um mögliche Missverständnisse aufzuklären oder um bei Kampagnen, die gegen unsere Berichterstattung laufen, mit Fakten dagegenzuhalten. Wenn ich bei uns in die Kommentarspalten schaue, zweifle ich aber doch hin und wieder an der Medienkompetenz mancher Leute. Da scheinen die Wut und der Hass gegenüber Andersdenkenden einige blind zu machen. Dann helfen auch die besten Argumente nicht mehr.
Hat die Medienkompetenz des Publikums aus Ihrer Sicht abgenommen oder sind die Leute, etwas weniger kulturpessimistisch gesagt, heute einfach nur anders medienkompetent?
Ich glaube, dass insbesondere die Jüngeren deutlich medienkompetenter sind als generell angenommen. Im Rahmen des Projektes „Journalismus macht Schule“ begegne ich Schüler*innen, die um die 15 Jahre alt sind. Da erlebe ich sehr häufig, dass sie eigentlich ganz gut wissen, was sie tagtäglich konsumieren und was davon eher seriös ist und was nicht. Das Problem sehe ich vor allem in den Gesetzen der Plattformen, die mit ihren Algorithmen dafür sorgen, dass sie nebenbei unglaublich viel Schrott konsumieren, darunter auch jede Menge rechtsextreme Inhalte insbesondere bei TikTok.
Was wünschen sich die Schüler*innen von einer Vermittlung von Medienkompetenz, die sie wirklich weiterbringt?
Die Jüngeren fragen vor allem, woran sie erkennen können, ob Informationen seriös sind oder nicht, also wie man Fakes von Fakten unterscheiden kann. Da merke ich schon, dass dieses Thema in den Schulen offensichtlich noch nicht ausreichend adressiert wird. Grundsätzlich können viele von ihnen zwar schon ganz gut erkennen, ob ihnen jemand einfach Müll erzählt. In den Graubereichen wird es dann allerdings schwieriger. Insbesondere bei Influencern, die als Journalisten getarnt daherkommen und den Leuten auf TikTok mit halbgaren Fakten erzählen, was angeblich „wirklich wahr“ ist. Einiges davon ist ja sehr professionell gemacht. Vielen Schüler*innen fällt es dann schwer zu unterscheiden: Kann ich denen glauben oder nicht? Schlicht, weil das alles viel zu schnell geht und kritische Quellenanalyse im Minutentakt eben sehr schwierig ist. Das machen sich AfD-Politiker wie Maximilian Krah zunutze.
Was können wir professionelle Journalist*innen dazu beitragen, dass unsere Rezipient*innen besser unterscheiden können, was Fake und was Fakt oder was Grauzone ist?
Bei Monitor verwenden wir sehr viel Mühe darauf, bis ins kleinste Detail Faktenchecks zu betreiben und arbeiten mit hohen journalistischen Standards. Und trotzdem scheint es so zu sein, dass einige Leute den Unterschied nicht mehr erkennen zwischen dem, was wir machen oder „Krawallmedien“ vor allem vom rechten Rand produzieren. Für uns bedeutet das, dass wir den Leuten unsere Arbeitsweise noch transparenter erklären müssen. Wir müssen unsere Recherchewege und unsere Quellen offenlegen und im Dialog mit dem Publikum bleiben. Dafür ist das Community Management ein ganz entscheidendes Tool, auch um seriösen Journalismus gegenüber denen zu verteidigen, die ihn angreifen, weil er ihre Propaganda entlarvt. Längst sind die Kommentarspalten bei Facebook, Instagram oder YouTube zum Einfalltor für gezielte Falschinformationen geworden. Das erleben wir beim Thema Ukrainekrieg gerade besonders stark, wo russisch-gelenkte Troll-Armeen die Debatte mindestens zahlenmäßig dominieren wollen. Ich glaube, dass Community-Management oftmals immer noch unterschätzt wird. Auch hier werden Ressourcen benötigt.
Zu gutem und fairem Journalismus gehört doch eigentlich auch das Eingestehen und die Korrektur von Fehlern oder Ungenauigkeiten oder der Verweis auf neue Erkenntnisse. Gibt es Beiträge, die Sie bereuen oder wo Sie zumindest im Rückblick gemerkt haben: Da haben ich und mein Team nicht ausreichend recherchiert und die Sachen aufbereitet.
Eine gute Fehlerkultur gehört zum guten, seriösen Journalismus dazu. Nicht jeder Beitrag, den wir bei Monitor veröffentlichen, entspricht gleichermaßen unseren eigenen Standards. In unseren internen Runden sind wir oft unsere schärfsten Kritiker. Wenn uns Fehler unterlaufen, versuchen wir das so transparent wie möglich zu korrigieren, auch auf unseren Social-Media-Kanälen. Dabei geht es nicht nur um Fakten, sondern auch um Argumente oder Perspektiven, die wir möglicherweise nicht genügend berücksichtigt haben. Ein Beispiel: Nach einem Bericht über ein Gerichtsverfahren hat sich eine Zeugin gemeldet und sich öffentlich darüber beschwert, dass wir sie und ihre Perspektive nicht gehört hätten. Da wir mit unserem eigenen YouTube-Kanal sehr flexibel sind, konnten wir in diesem Fall schnell darauf reagieren, und haben einen weiteren Film auf YouTube veröffentlicht, in dem die Zeugin zu Wort kam.
Für Zuschauer*innen dürfte es wohltuend sein zu merken, dass die eigene Stimme bei konstruktiver Kritik gehört wird.
Hinweise auf Fehler und konstruktive, sachliche Kritik wissen wir bei Monitor stets zu schätzen, auch wenn sie mal zugespitzt daherkommt. Gerade auf Social Media gehe ich dann gerne in die Diskussion. Doch leider ist konstruktive Kritik eher die Ausnahme. Die große Mehrzahl der Kommentare ist dann doch herablassende Hetze, Beleidigungen oder Wutausbrüche. So etwas richtig einschätzen zu können, gehört zur Medienkompetenz auf Seiten der Macher*innen.
Manche Kolleg*innen halten das, was sie im Netz mitbekommen, leider immer noch für repräsentativ oder messen dem mehr Aussagekraft bei als nötig. Leider beobachte ich immer wieder, wie schnell sich manche Kolleg*innen entmutigen lassen, weil sie Kampagnen oder Shitstorms einfach nicht richtig einschätzen und sich davon zu stark beeindrucken lassen. Im schlimmsten Fall kann das dazu führen, dass bestimmte Themen gar nicht mehr angepackt werden oder mit einer gewissen Schlagseite berichtet wird, weil man zu große Angst vor den Reaktionen hat. Hier braucht es verstärkt Resilienz-Trainings der Medienhäuser, damit sich die Betroffenen – auch aus dem Community Management – nicht so oft alleingelassen fühlen.
Wie sieht guter Journalismus aus, der gegen die Normalisierung der extremen Rechten vorgeht?
Ich sehe, was sich in den Diskursen verschiebt. Dazu gehört ganz sicher auch, dass das Beharren oder der Hinweis auf den gemeinsamen Wertekonsens, wie er in unserer Verfassung kodifiziert ist, heute schon als ideologisch gilt. Es ist beispielsweise völlig legitim, kontrovers über die Migrationspolitik diskutieren. Aber man sollte dann eben nicht die Menschenwürde infrage stellen, indem man sie anderen Menschen abspricht. Bei manchen Leuten gelte ich schon als Linksextremist, weil ich auf solche Dinge hinweise. Aber wir berichten nicht, weil wir eine bestimmte Ideologie für richtig halten. Wir berichten kritisch über Politik, wenn wir der Meinung sind, dass sie gegen die verabredeten Grundwerte unserer Gesellschaft verstößt. Das ist unser Maßstab.
Was bedeutet diese Verschiebung der Diskurse und die Normalisierung der extremen Rechten für die Arbeit der Öffentlich-Rechtlichen?
Die AfD verkleidet sich zwar gerne als Freundin der Meinungs- und Pressefreiheit, ist in der Realität aber zutiefst medien- und pressefeindlich. Sie will Medien, die ihr nicht in den Kram passen, abschaffen und diffamiert sie, weil sie Grundpfeiler der von ihr verhassten liberalen Demokratie sind. Als Öffentlich-Rechtliche müssen wir da entschieden gegenhalten und den Menschen da draußen noch besser erklären, warum und wofür es uns in einer demokratisch verfassten Gesellschaft braucht.
Was ist ihre Antwort?
In Zeiten der Unübersichtlichkeit des Mediengeschäfts steht der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk für demokratischen Journalismus. Das bedeutet in seinem besten Sinn: Bürger*innen zu ermöglichen, an den wichtigen Debatten dieser Gesellschaft teilzuhaben, informiert zu sein und auf Grundlage von Fakten und Hintergrundrecherchen selbst einschätzen zu können, wie Politik oder wie Macht funktioniert. Ausgewogenheit ist dabei insgesamt wichtig. Das heißt aber nicht, extremistischen Positionen eine Plattform zu bieten, das Framing rechtsextremer Demagogen zu übernehmen oder sich von ihnen in der eigenen Berichterstattung in die Ecke treiben zu lassen.
Was kann man von Kolleg*innen aus anderen Ländern für einen werteorientierten Journalismus lernen?
Als Korrespondent in Moskau habe ich erlebt, wie ein Land aussieht, in dem die Pressefreiheit nichts mehr zählt. Journalist*innen stehen da von Staats wegen unter Ideologieverdacht, nur weil sie auf die Geltung der Menschenrechte hinweisen. In Russland sieht man, wie wichtig ein Journalismus ist, der sich an universellen Werten orientiert – und wieviel Mut er gerade in solchen Ländern erfordert: Journalist*innen wandern dort in den Knast oder werden im schlimmsten Fall umgebracht, nur weil sie ihren Job machen, auf die Einhaltung der Menschenrechte, auf Korruption und Machtmissbrauch hinweisen. Von diesem Mut können wir jede Menge lernen, auch dass ein werteorientierter Journalismus stets ein breites Kreuz braucht.
