Sparpaket drückt weiter auf journalistische Beschäftigung
Führungskraft oder Prekariat? Die berufliche Situation von Journalisten schwankt zwischen Extremen. Wer arbeitslos wird, kann derzeit kaum auf sozialpolitische Hilfen hoffen. Betroffene Journalisten und Experten geben Tipps fürs Überleben am Arbeitsmarkt.
Sie war ein TV-Star. Aber als alleinerziehende Mutter von drei Kindern hatte die ehemalige Sportredakteurin Gabriele Echt*, 39, auf dem Arbeitsmarkt keine Chancen mehr. Das Jobcenter finanzierte ihr eine Weiterbildung zur Pressereferentin. Heute ist sie Pressesprecherin eines Industriebetriebs.
2010 räumte die Kommunikationswissenschaftlerin Mina Nickel*, 30, ab 6 Uhr früh Regale im Supermarkt ein, um zu Hartz IV hinzuzuverdienen. Heute arbeitet sie als Onlineredakteurin bei einem internationalen Medienunternehmen.
Die arbeitlose TV-Journalistin Marie Innersdorf*, 30, hatte Glück: Sie bekam 2011 sechs Monate Weiterbildung im Online-Bereich finanziert. Mithilfe des Gründungszuschusses machte sie sich mit einer Kombination aus Video- und Online-Redaktion selbstständig. „Es war nicht leicht, die Förderung zu bekommen“, berichtet Innersdorf. „Die Sachbearbeiterin kannte sich in den Vorschriften schlechter aus als ich.“ Ihre gleichaltrige Kollegin im Lehrgang Karin Konnen*, eine Zeitschriftenredakteurin, fand im Anschluss eine unbefristete Festanstellung in der Online-Redaktion eines Medienunternehmens mit dem Schwerpunkt Social-Media.
Diese Erfolgsgeschichten können so heute kaum mehr geschrieben werden. Ursula von der Leyen verfolgt im Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen strikten Sparkurs. Vom Grundsatz „Fördern und fordern“ ist seit dem 1. Januar 2011 nicht mehr viel übrig geblieben. Jobcenter wie Arbeitsagenturen haben die Aufgabe, die Hilfesuchenden so rasch wie möglich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dabei müssen vor allem die Vorgaben aus dem sogenannten Sparpaket umgesetzt werden.
„Sie suchen einen Job als Journalist? Da besteht leider gar kein Bedarf am Arbeitsmarkt“ – das hört nicht selten, wer sich bei Arbeitsagentur oder Jobcenter arbeitssuchend oder arbeitslos meldet. Tatsächlich meldet die Jahresstatistik der Arbeitsagenturen für 2010 insgesamt 5.200 arbeitslose Redakteure und Journalisten. Das sind zehn Prozent mehr als im Jahr zuvor. In der ersten Jahreshälfte 2011 sank die Arbeitslosigkeit um sieben Prozent.
Gleichzeitig gibt es mehr Menschen als je zuvor, die hauptberuflich vom Journalismus leben. 2010 waren es schätzungsweise 160.000 Festangestellte und Freiberufler gegenüber etwa 127.000 im Jahr 2000 – auch diese Zahl nennt die aktuelle Statistik des Statistischen Bundesamts. Ihre Zahl hat in den letzten zehn Jahren um mehr als 30.000 zugenommen, das ist ein Zuwachs um 23 Prozent.
Schwieriger Berufseinstieg
Im Durchschnitt verdienten die in Vollzeit Festangestellten 4.605 Euro im Monat (West) bzw. 4.405 Euro (Ost). Anders die Freien, die über die Künstlersozialkasse versichert sind – das sind rund 40.000 Menschen allein im Bereich „Wort“. Sie verdienen deutlich weniger: 16.983 Euro durchschnittliches Jahreseinkommen haben sie bei der Künstlersozialversicherung angegeben. Das sind monatlich 1.415,25 Euro netto, ausschließlich für journalistische Tätigkeit im Bereich Wort, wohlgemerkt. Wer kann, bessert sein Einkommen aus freiberuflicher journalistischer Tätigkeit mit verwandten Tätigkeiten auf. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist fester Bestandteil im Einkommen vieler Freier – trotz des Verdikts von Verbänden wie dem „Netzwerk Recherche“, die das als absolutes „No-Go“ ansehen.
Unter den „Publizisten“, wie die Berufsgruppe in der Arbeitsmarktstatistik offiziell heißt, verstecken sich zum einen Ressortleiter und Chefredakteure, aber auch Fach- und Führungskräfte aus der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Sie verdienen nicht selten über Tarif. Darauf weist Ralf Beckmann, Arbeitsmarktexperte bei der Bundesagentur für Arbeit (BA), hin. Kein Wunder, dass mehr als 20 Prozent davon sogar ein monatliches Einkommen erzielen, das über der Beitragsbemessungsgrenze 2010 von 5.500 Euro (West) bzw. 4.650 Euro (Ost) liegt.
Am schlechtesten geht es Berufseinsteigern in den Journalismus. Ihnen fällt der Berufseinstieg grundsätzlich nicht leicht, da ein Überangebot an Textern bestehe, sagt Beckmann. Die größte Schwierigkeit bei der Stellensuche sehen die jungen Leute darin, dass Bewerber mit Berufserfahrung gewünscht werden. Das sagen 78 Prozent der Befragten, wie die HIS-Absolventenbefragung zur Berufszufriedenheit herausgefunden hat. 56 Prozent geben an, dass es generell zu wenig ausgeschriebene Stellen im Journalismus gebe, 24 Prozent sagen, dass das angebotene Gehalt zu niedrig sei. Zum Vergleich: Über zu niedriges Gehalt klagen nur 9 Prozent der jungen Maschinenbauingenieure. Immerhin fühlen sich etwa zwei Drittel der jungen Journalisten angemessen beschäftigt, so die Befragung. Nach 1,5 Jahren sinkt der Anteil auf 27 Prozent. „Hochschulabsolventen bräuchten noch mehr realistische Einschätzung der Arbeitsbedingungen im Journalismus“, meint Statistiker Ralf Beckmann.
„Gezielte Weiterbildung mit hohem Praxisanteil kann den jungen Akademikerinnen und Akademikern beim Berufseinstieg helfen“, sagt Irene Stuiber, stellvertretende Leiterin der Münchner Journalistenakademie. Vorausgesetzt, die Weiterbildung werde weiterhin wie bisher gefördert. Trotz offizieller Verlautbarungen ist das derzeit alles andere als sicher: Die Zahl derjenigen, die eine Weiterbildung, gefördert durch den sogenannten Bildungsgutschein, beginnen konnten, ging 2011 gegenüber 2010 stark zurück. Bereits 2010 wurden 25 Prozent weniger Personen durch eine berufliche Weiterbildung neu gefördert als 2009, 2011 waren es noch einmal 45 Prozent weniger.
Tausende von Jobs sind inzwischen bedroht: 40.000 Beschäftigten seien betroffen, sagte NRW-Sozialminister Guntram Schneider (SPD). Viele Freiberufler arbeiten zusätzlich als Text-Trainer oder als Dozent an Journalistenschulen, Akademien oder Hochschulen. Fallen hier Fördermittel für die Weiterbildung weg, wird auch bei ihnen das monatliche Einkommen noch einmal prekärer.
Verdienen durch Online-Angebote
Mindestens 40 Prozent der festangestellten Publizisten erzielten monatlich 5.401 Euro und mehr. Auch wer sich als Freiberufler mit Programmierkenntnissen und einer pfiffigen Geschäftsidee für ein Online-Portal oder eine Nischenpublikation selbstständig macht, kann solche Einkünfte monatlich erzielen, im Einzelfall auch schon mal im fünfstelligen Bereich. So wie Gottfried Miehner*: „Ich bin mein eigener Chefredakteur, und Google ist mein Verlag.“ Der IT-Journalist verfügt über ausgezeichnete Kenntnisse in Suchmaschinen-Optimierung und programmiert die Software, auf der seine Website läuft, weitgehend selbst. Auch die meisten Texte verfasst er selbst. Bei der Künstlersozialkasse hat sich der freie Journalist Miehner nicht angemeldet. Er setzt auf freiwillige Vorsorge. „Freie Journalisten sind nicht unbedingt notgedrungen frei, weil sie keine Festanstellung finden, sondern deshalb, weil sie gut verdienen und die Life-Work-Balance selbst in der Hand haben“, sagt Stefan Mühleisen, Diplom-Journalist und Coach aus Münsing.
Im klassischen Zeitungs- oder Zeitschriftenjournalismus arbeiten sie selten. Häufig verbinden sie wie Miehner hohe Textaffinität mit Programmierkenntnissen zu einem onlinejournalistischen Angebot. Andere gut verdienende Freiberufler bieten als Dienstleistung ein Komplettpaket aus Konzeption und Produktion von Audio- oder Videobeiträgen an. Sie sind sozusagen ihr eigener Produzent. Verdient wird vor allem rund um Online-Angebote, und auch hier weniger im klassischen Journalismus, sondern im Bereich von Unternehmens- und Verbands-Websites. Rund 32.000 Menschen arbeiten etwa in diesem Bereich, die Mehrheit davon in sozialversicherungspflichtiger Festanstellung. 2010 waren insgesamt 13,2 Prozent mehr Redakteure und Journalisten in solchen Arbeitsverhältnissen beschäftigt als im Jahr 2000, unter denjenigen mit Fach- und Hochschulabschluss waren es sogar 16,5 Prozent mehr. Im Printbereich hingegen sank die Zahl der gemeldeten Stellen für Redakteure und Journalisten 2009 auf 2010 mit 29 Prozent überdurchschnittlich stark.
Die Arbeitslosigkeit kann alle treffen. Selbst innerhalb eines Journalistenlebens sind Extreme keine Ausnahme mehr: Die Autorin Katja Kullmann („Generation Ally“) schildert in ihrem neuen Roman „Echtleben“ ihren Weg von der Bestsellerautorin (2002) über die Hartz-IV-Empfängerin (2008) bis heute. Die Gegensätze, die sie beschreibt, könnten kaum größer sein: Sie pendelt zwischen dem Luxus, zwischen mehreren gut bezahlten Jobs wählen zu können, und Situationen, in denen Grundnahrungsmittel kaum mehr erschwinglich sind. Ihre Strategie: nach außen hin das Gesicht wahren. Ihre Beobachtungen: Es geht vielen ähnlich.
„Wenn Sie monatelang 13 Euro am Tag haben“, schreibt Kullmann, „essen Sie unter der Woche ganz, ganz wenig, um am Wochenende dabei sein zu können, um die verfluchten Kontakte zu pflegen, Kollegen zu treffen, Empfänge zu besuchen.“ Jeder, den es trifft, der denke, er sei der einzige. Katja Kullmann: „Ich hatte mich entschieden, es niemandem zu sagen. Es war ein Kraftakt. Heute weiß ich: Viele machen es genauso. Letztlich hat mich das gerettet. Mein Ruf blieb intakt.“
Arbeitslosengeld (ALG) I bekommen derzeit mehr als 3.200 Journalistinnen und Journalisten. Arbeitslosengeld II oder „Hartz IV“ oder „Basisgeld“, wie die PR-Experten aus dem Arbeitsministerium das lieber nennen, erhalten rund 3.000 Menschen. In Ostdeutschland ist der Anteil der Hartz-IV-Empfänger unter den Journalisten deutlich höher. Und genau diese Anzahl stagniert – die Betroffenen profitieren nicht vom Wirtschaftsaufschwung.
Der Buchtitel „Reich werden durch Hartz IV“ mutet angesichts der Erfahrungen arbeitsloser Journalistinnen und Journalisten geradezu zynisch an. In diese Kerbe schlug Ursula von der Leyen und verwies auf „zu hohe Mitnahme-Effekte“ beim Gründungszuschuss. Sie spart deshalb an den sogenannten arbeitsmarktpolitischen Instrumenten. Dieser Werkzeugkasten soll Arbeitslose wieder in den Job bringen. Dazu zählen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (Ein-Euro-Jobs) ebenso wie der Gründungszuschuss zur freiberuflichen Tätigkeit oder der Bildungsgutschein, mit dem die persönliche Weiterbildung gefördert werden soll.
Erfolgreiches gekürzt
Das Sparpaket der Bundesregierung geht bei seinen Berechnungen davon aus, dass der Konjunkturaufschwung von Beginn des Jahres 2011 sich weiter fortsetzt. Daher soll weiter gespart werden: Die Bundesagentur für Arbeit und der Bund müssen in der Arbeitsförderung von 2011 bis 2014 insgesamt 16 Milliarden Euro einsparen.
Mit dem neuen Gesetz wird das Sparpaket umgesetzt. Es verringert die Zahl der Fördermaßnahmen. Offiziell soll eine effizientere Eingliederung der Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt erreicht werden. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und der Existenzgründungszuschuss werden stark eingeschränkt (M 10/2011). Der Bundesrat hat das vom Kabinett verabschiedete Gesetz im Oktober 2011 zwar gestoppt und an dem Vermittlungsausschuss verwiesen. Verhindern kann er es jedoch nicht.
Kürzlich hat das Institut für Arbeitsmarktforschung (IAB) eine Studie vorgelegt, in der die Förderinstrumente evaluiert werden. Ein Ergebnis: Berufliche Weiterbildung wirkt, wenn auch oft zeitverzögert. Wenig wirksam hingegen sind die Vermittlung durch private Dritte, ABM und Beschäftigungszuschüsse. Sehr erfolgreich sind Instrumente wie die Gründungsförderung, der Eingliederungszuschuss sowie betriebliche Trainingsmaßnahmen. Experten wie Andreas Lutz von gruendungszuschuss.de wundern sich daher, dass gerade die erfolgreichen Instrumente gekürzt werden sollen.
Gabriele Hooffacker,
Journalismus-Lehrerin und Leiterin der Journalistenakademie in München
(*Namen im Text auf Wunsch geändert)