Mit „funk“ wollen ARD und ZDF endlich die Jugend erreichen

„schönschlau“ vermittelt Wissen zum Lachen, Weitererzählen und Beeindrucken im Alltag und auf Partys. Wissenschaftlerin Mai, bald Dr. Mai, besitzt als Chemikerin und Science-Geek die seltene Superkraft, Menschen mit Wissenschaft zu unterhalten. Man sieht es. Foto: screenshot funk.net

Die öffentlich-rechtlichen Programmanstalten senden seit dem Wochenende ein neues Funksignal in das für sie bisher weitestgehend unbekannte Weltall, das sich Internet nennt. Das Signal scheint von einer etwas unheimlich dreinblickenden Katze mit buntem Lutscher auszugehen. Als Empfänger geben ARD und ZDF die etwas unspezifische Gruppe der 14- bis 29-Jährigen an. Offensichtlich sind das die Wesen, die auf den bunten Planeten der Internetwelt sitzen, eine Hand am Smartphone, das andere am Tablet, in möglichst weiter Entfernung zur nächsten Fernbedienung.

Die ältere Gruppe kennt die Funktions- und Bedienweise der historischen Einrichtung namens Rundfunk zumindest noch von familiären Autofahrten in den Urlaub und Sonntagabenden mit den Eltern, als Schimanski schon nicht mehr jung, aber noch Kult war. Der jüngere Teil der Funk-Empfänger nutzt dagegen nicht mal mehr die Mediatheken. Ihre Kanäle heißen mehr denn je Youtube, Snapchat, Instagram und vielleicht noch Facebook – was für 14-Jährige heute fast schon dieselbe Museumsreife besitzt wie eine VHS-Kassette.

Alles auf eine Karte

„funk“ also soll die Lösung des Dilemmas sein, wonach die junge Zielgruppe von öffentlich-rechtlichen Programminhalten nichts mehr wissen möchte. Eine 45 Millionen Euro teure Lösung, an der die Sendeanstalten in den vergangenen Monaten getüftelt haben. „Online only“ war die Zielvorgabe. Über eine browserbasierte Website, eine App, aber vor allem über die sozialen Netzwerke sollen die „funk“-Inhalte die begehrten jungen Nutzer_innen erreichen. Der Schritt, den ARD und ZDF damit gehen, ist konsequenter und mutiger als alles Dagewesene. Bisherige „junge Angebote“ wie EinsPlus wurden zum „funk“-Start am 1. Oktober abgeschaltet. Alles wird auf eine Karte gesetzt. Die ist laut, bunt, schrill und kann – schenkt man dem Trailer Glauben – nicht genug Emoticons haben. Nebenbei soll auch noch das Lügenpresse-Problem analysiert werden.

Um konkret zu werden: Eigentlich soll „funk“ nicht nur eine Gruppe erreichen, sondern gleich vier. Unterschieden werden vier Altersgruppen: 14- bis 16-Jährige, 17- bis 19-Jährige, 20- bis 24-Jährige und 25- bis 29-Jährige. „Denn das Leben mit 29 ist eben ganz anders als das Leben mit 14. Dazu kommen unterschiedliche Interessen und Lebenswelten.“ Klare Erkenntnis. Soweit so gut. 40 Formate sollen alle vier Altersgruppen glücklich machen – welches Format welche Altersklasse anspricht, müssen sowohl der 14-Jährige als auch die 29-Jährige allerdings selbst herausfinden. Einen Filter gibt es nicht.

Nach eigenen Angaben will „funk“ aber noch viel mehr, nämlich Мenschen unter 30 eine Stimme geben, ihnen die Möglichkeit bieten, sich zu orientieren, zu informieren und zu unterhalten. Das zeige sich in der Themenwahl, aber auch in der Unterstützung junger, talentierter Medienmacher_innen, die die Gesichter von „funk“ sind. Diese Gesichter sind vor allem auf Youtube & Co. zu Hause: Kristina Weitkamp beantwortet auf ihrem YouTube-Kanal bereits seit zwei Jahren Liebesfragen. Für „funk“ ruft sie in dem Format „Fickt euch!“ jetzt zu mehr Selbstliebe auf. Chemikerin Mai-Thi Nguyen-Kim, beantwortet „schönschlau“ allerlei kuriose Fragen aus der Wissenschaft. Ebenfalls mit dabei sind der YouTuber LeFloid, die Kontroversen auslösende Autorin Ronja von Rönne und die aus der Gaming-Szene bekannten Rocket Beans – Namen, die aufhorchen lassen und mit denen sich „funk“ bereits etablierte Erfolgsrezepte zunutze machen will. Bleibt die Frage, ob sich die Fangemeinschaft der bekannten Internetstars von deren angestammten Plattformen weg und zu „funk“ hin locken lässt.

Informatives in sehr kleinen Häppchen

Mutig ist auf jeden Fall der Schritt, auf Internationalität zu setzen. „funk“ versucht, Lizenzen für die Originalfassungen von Serien zu erwerben. Globalisierung und grenzenloser Medienkonsum in einer App von ARD und ZDF, den ersten Nutzern gefällt es. Die Kommentare im App-Store sind erstaunlich positiv. Inhalte, Look und technische Umsetzung werden gelobt. Insgesamt überwiegen die freudig überraschten Stimmen.

Kinderkrankheiten sind natürlich schnell ausgemacht. Die App wartet mit ein paar interessanten Infos auf, aber 24mal Umblättern für einen Artikel ist nervig und stupide. Diese Erfahrung lässt sich bestätigen. Gerade die informierenden Inhalte sind in sehr kleine Häppchen unterteilt. Wenn ich wissen will, was in meinem Gehirn passiert, wenn einer meiner Sinne dauerhaft ausfällt, muss ich schon alle meine Sinne anstrengen, um den Beitrag bis zu Ende zu lesen. Fotos aus dem Horrorfilm „Don’t Breathe“ wechseln sich mit Seiten ab, auf denen in der Mitte in recht kleiner Schrift immer nur ein Satz zu lesen steht. Dabei wechseln die Hintergrundfarben und der Nutzer hat zeitweise das Gefühl, einer Kindernachrichtensendung zu lauschen, die sich dadurch auszeichnet, dass die Moderator_in bewusst langsam und deutlich spricht. Wem es dennoch gefällt, kann zweimal nach unten wischen, um die Geschichte zu „keepen“, also zu sichern. Auf dem iPad funktioniert das hingegen nicht. „funk“ bietet noch keine Tablet-optimierte App-Version an, das ist auch der am häufigsten benannte Kritikpunkt im App-Store. Eine Erklärung dazu lässt sich trotz langer Frage-Antwort-Kataloge von ARD und ZDF nicht finden. Vielleicht gehen die Macher_innen davon aus, dass die „funk“-Generation nur dem Smartphone treu ist. Die Browserversion zumindest funktioniert auf dem Tablet hervorragend.

Wie alle öffentlich-rechtlichen Angebote wird „funk“ aus dem Rundfunkbeitrag finanziert. Ob dies das Verständnis für den Beitrag bei den jungen Nutzer_innen erhöht, ist eher fraglich. Dem oft gehörten Spruch „Warum soll ich das zahlen? Ich gucke doch eh kein ARD oder ZDF!“ kann nun aber zumindest argumentativ etwas entgegengesetzt werden. Gesellschaftskritische Formate wie die „Datteltäter“ – politische Satire über deutsch-muslimisches Selbstverständnis und Vorurteile gegen Muslime in Deutschland – werden dem Ursprungsauftrag der Öffentlich-Rechtlichen mehr als gerecht. Davon dürfte es auf „funk“ gerne mehr geben.

Unterm Strich ist das neue Jugendangebot von ARD und ZDF ein bisschen wie seine Zielgruppe – „funk“ ist noch auf der Suche nach sich selbst, seinem Weg, seinem Ziel. Genau das aber könnte am Ende funktionieren.


Miriam Scharlibbe ist Redakteurin bei der „Neuen Westfälischen“ in Herford und Jugendvertreterin im Bundesvorstand der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di. Sie ist Tatort-Fan, seit sie als Kind gerade auf dem Sofa sitzen konnte, und kann sich nicht entscheiden, ob sie die politischen Talkshows im Öffentlich-Rechtlichen furchtbar oder wichtig finden soll. Programmverantwortliche und ihr dauerhaft glühendes Handy würden sie zur Internetgeneration zählen, dabei weiß sie noch, wie VHS-Kassetten aussehen und dass die heilige Viertelstunde des Tages immer zwischen 20 und 20.15 Uhr lag, wenn die Eltern die Tagesschau sahen.

 

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