Junge Welt: Mit Abokampagne gegen Millionenloch?

Die Existenz der linken überregionalen Tagszeitung „Junge Welt“ ist neuerlich ernsthaft gefährdet. Das teilten Verlag und Redaktion Mitte Oktober mit. Am 15. Oktober 2016 erfuhr auch die Leserschaft, dass „im laufenden Geschäftsjahr 2016 ein Jahresfehlbetrag in Höhe von 144 000 Euro aufgelaufen ist“ und in den Bilanzen insgesamt ein Loch von über 900 000 Euro klaffe. Damit die Zeitung weiter erscheinen könne, müsse „eine Reihe von Maßnahmen ergriffen werden“. Es sei nicht leicht, in Zeiten rechten Vormarschs eine linke unabhängige Tageszeitung zu machen, die „Junge Welt“ sei „aber gerade jetzt notwendiger denn je“, erklärte Chefredakteur Stefan Huth.

Die „Junge Welt“ stecke in Schwierigkeiten, „obwohl wir in vielem das Richtige gemacht haben“, heißt es in einem Offenen Brief an die Leser_innen. Entgegen dem Trend habe man die bezahlten Abonnements und den Einzelverkauf entwickeln können. Die verkaufte Auflage sei in den vergangenen fünf Jahren von 17 500 auf 19 400 Exemplare gestiegen. Die für die Ökonomie entscheidende Zahl der Abonnements sei aber um 2000 zu niedrig, so Dietmar Koschmieder, Geschäftsführer der Verlag 8. Mai GmbH, in der die „Junge Welt“ erscheint. Die Printausgabe werde nicht als Nebenprodukt oder Auslaufmodell zum Online-Auftritt behandelt, sondern strukturiere und begrenze die tägliche Informationsmenge „durch die von der Redaktion erfolgte Auswahl“. Man konzentriere sich auf „Hintergrund und Analyse, nicht auf Häppchenjournalismus“. Die „Junge Welt“ sei zudem heute „mit Abstand die preisgünstigste überregionale Tageszeitung“, das solle so bleiben.

Weder Preisexplosion noch Personalabbau

Im Frühjahr war ein zweiter Druckstandort südlich Frankfurt am Main eröffnet worden, um mehr Leser in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz erreichen zu können. Das sei mit einer Werbekampagne für 100 000 Euro begleitet worden. „Für eine Produkteinführung ein lächerlicher Betrag. Für uns eine ungeheuer hohe Summe“, so Koschmieder auf M-Nachfrage. Der Geschäftsführer verteidigt auch andere Verlagsaktivitäten wie die jährliche Rosa-Luxemburg-Konferenz, Messebesuche und den Betrieb einer Ladengalerie in der Berliner Torstraße als „dringend notwendig, um auf die Junge Welt aufmerksam zu machen“. In der Öffentlichkeit komme die linke Tageszeitung nur vor, „wenn es negative Schlagzeilen gibt“, man müsse mit dem Produkt für sich selbst werben. Die Tageszeitung bleibe das Kerngeschäft, versichert der Geschäftsführer. Dennoch wolle man auch die im gleichen Verlag erscheinende Musikzeitschrift „Melodie & Rhythmus“ behalten und als „linke Kulturzeitschrift“ profilieren, allerdings nur noch mit vier statt sechs Heften jährlich.

Keine Änderungen werde es an der inhaltlichen Ausrichtung der „Jungen Welt“ geben. Die Zeitung, die 1947 in der sowjetischen Besatzungszone gegründet wurde und jahrzehntelang in der DDR als Zentralorgan der Freien Deutschen Jugend erschien, machte nach dem Mauerfall mehrere Eigentümer- und Führungswechsel durch. Sie versteht sich heute als unabhängige, linke, marxistisch orientierte, überregionale Tageszeitung und erscheint werktäglich mit 16 Seiten. Ihr sei „eine gewerkschaftliche Orientierung wichtig“, vor allem aber sei sie eine Stimme, die sich „konsequent gegen Kriege und gegen eine Beteiligung deutscher Soldaten in Auslandseinsätzen wendet“. Auch an der zuletzt wieder deutlich ausgebauten Redaktion solle nicht gespart werden. „Ein Personalabbau kommt für uns nicht in Frage!“, so Koschmieder. Man brauche eher mehr statt weniger Mitarbeitende. Für die Festangestellten gilt seit 1998 ein Haustarifvertrag, in dessen Rahmen – „wenn auch auf sehr niedrigem Niveau“ – regelmäßig Entgeltsteigerungen ausgehandelt würden, so ver.di-Landesfachbereichsleiter Andreas Köhn. Doch sieht er die Beschäftigten angesichts der Finanzlage unter noch stärkerem Druck.

Die Genossenschaft ist akut gefragt

Entscheidend für eine Konsolidierung der Tageszeitung sei es, so der Verlagschef, möglichst rasch neue Abonnenten zu gewinnen, sowohl für die Print- als auch für die Online-Ausgabe. Bis zum Februar 2017, wenn die „Junge Welt“ 70 Jahre alt wird, wolle man den Abo-Bestand so entwickeln, dass damit die laufenden Kosten gedeckt werden können. Flankierend müsse die Herausgeberin, die Linke Presse Verlags-Förderungs- und Beteiligungsgenossenschaft Junge Welt (LPG) Maßnahmen beschließen, die noch in diesem Jahr greifen. Darüber werde am 19. November eine außerordentliche Vollversammlung der Genossenschaft beraten.

 

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Negativrekord der Pressefreiheit

Mehr Übergriffe im Umfeld von Wahlen und eine Rekordzahl von Ländern mit katastrophalen Bedingungen für Medienschaffende. Die Lage der Pressefreiheit hat sich im weltweiten Vergleich weiter deutlich verschlechtert. Dies geht aus der Rangliste der Pressefreiheit 2024 von Reporter ohne Grenzen (RSF) hervor. Der Analyse zufolge befanden sich im vergangenen Jahr 36 Länder in der schlechtesten Wertungskategorie. Das sind so viele wie seit mehr als zehn Jahren nicht.
mehr »

Medienhäuser müssen Journalisten schützen

„Die Pressefreiheit ist auch in Deutschland zunehmend bedroht”, kritisiert die Bundesvorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion (dju) in ver.di, Tina Groll, zum Internationalen Tag der Pressefreiheit. Die dju in ver.di verzeichne mit großer Sorge eine wachsende Anzahl der Angriffe, die die Gewerkschaft für Medienschaffende in einem internen Monitoring festhält.
mehr »

Beitragsanpassung unter der Inflationsrate

Seit die aktuelle Empfehlung der KEF zur Beitragsanpassung vorliegt, gibt es mehrere Ministerpräsidenten, die eine Zustimmung zu einer Erhöhung kategorisch ausschließen. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht vor drei Jahren bereits geurteilt, dass sich ein Bundesland dem Vorschlag der KEF im bislang gültigen Verfahren nicht einfach so widersetzen darf. M sprach mit dem KEF-Vorsitzenden Prof. Dr. Martin Detzel über die aktuelle Debatte um die Rundfunkfinanzierung.
mehr »

Filmtipp: Die Mutigen 56

Hin und wieder ist es gar nicht verkehrt, sich bewusst zu machen, wie gut es uns in vielerlei Hinsicht geht. Jedenfalls gemessen an anderen Zeiten. Vieles von dem, was uns heute selbstverständlich erscheint, musste erst erkämpft werden, zum Beispiel die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall; davon erzählt das sehenswerte Dokudrama „Die Mutigen 56 – Deutschlands längster Streik“.
mehr »