Konferenzaufträge: Jugend fördern, Mindestlohn und Streikrecht stärken
Die kämpferisch-kollegiale Diskussionskultur gefalle ihm. Er käme gern zu den Medienschaffenden, Künstlern und Industriegewerkschaftern in ver.di, versicherte Frank Bsirske den 90 Delegierten. Die Rede des ver.di-Chefs bildeten ein Highlight, doch nur einen Punkt auf der umfangreichen Agenda der 4. Bundesfachbereichskonferenz Medien, Kunst und Industrie am 25. und 26. April 2015 in Berlin.
Als „selbstbewusst, aber nicht selbstgerecht, streitbar und konfliktfähig“ charakterisierte ver.di-Vize und Bundesfachbereichsleiter Frank Werneke die Mitglieder aus Medien, Kunst und Industrie und ihre Aktivitäten in der vergangen Wahlperiode. So gehöre der Fachbereich in ver.di zu denen mit der höchsten Zahl von Arbeitskämpfen. Sie betrafen in den vergangen Jahren Redakteurinnen und Redakteure ebenso wie Beschäftigte in der Druckindustrie und der Papierverarbeitung. ver.di-Mitglieder in Theatern und Bühnen sowie aus Musikschulen hätten sich zu wichtigen Stützen in Tarifkämpfen des öffentlichen Dienstes entwickelt. Eine Besonderheit: Die „Anzahl der Streikenden im Verhältnis zu den Beschäftigten liegt viel höher“ als anderswo. Dennoch gebe es im Bereich leider „noch unzählige gewerkschaftsfreie Zonen“. Denen werde mit speziellen ver.di-Projekten wie in der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie entgegengewirkt, aber auch mit verstärkten Aktivitäten in Kinos und Senderverbänden. Das Mitgliederprojekt „Perspektive 2015“ mit verschiedenen Werbe- und Mitgliederbindungsangeboten, auch der Einrichtung von Mitgliedercentern, sei „Mittel zum Zweck“. Es ziele auch auf jene Teile der Arbeitswelt, wo betriebliche Bindung und tarifliche Absicherung nicht gegeben seien, etwa auf Selbständige. Doch auch angestammten Bereichen wie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gelte mehr Augenmerk. 900 Neueintritte in diesem Jahr seien hier das Ziel.
Werneke sprach sich energisch gegen alle Versuche aus, das Streikrecht einzuschränken. Aktuell: Der Vorstandsbeschluss der CSU in Bayern, der viertätige Ankündigungsfristen, ein Zwangsschlichtungsverfahren vor jedem Streik und weitere Zumutungen enthält. Sofern das Gesetz zur Tarifeinheit am 7. Mai im Bundestag durchgehe, werde ver.di – so die Empfehlung an den Gewerkschaftsrat – Verfassungsbeschwerde dagegen einlegen. Ein solches Gesetz verschärfe nicht zuletzt die Konkurrenz unter Gewerkschaften und Berufsverbänden. Zersplitterung verschlechtere Einkommensverhältnisse. Risiken drohten aber auch von einem „Bündnis für Industrie“, in dem die vier DGB-Gewerkschaften IG Metall, IG BCE, IG BAU und EVG kooperieren und einen Alleinvertretungsanspruch für Industriebeschäftigte ableiten. „Druckindustrie und Papierverarbeitung sind traditionell Teil von ver.di, wir werden keinerlei Boden preisgeben“, versicherte der Vize-Vorsitzende.
Würde kennt keine Ausnahmen
In der Diskussion sprach Robert Stauffer (Bayern) zur kulturpolitischen Arbeit und betonte die Rolle der Gewerkschaftspresse. Zu den „Printmedien im Umbruch“ meldete sich Holger Artus (Hamburg) zu Wort. ver.di müsse Begleiter der Beschäftigten in der „digitalen Businesstransformation“ sein. Abwehrkämpfe seien nötig, noch wichtiger seien strategische Überlegungen, um Gegenmacht aufzubauen. Peter Stark, stellv. Betriebsratsvorsitzender bei Giesecke & Devrient in München, berichtete vom über viermonatigen Kampf der Belegschaft gegen die Streichung und die Verlagerung von 800 Arbeitsplätzen beim Banknotendrucker, von bereits 17 Streiktagen und öffentlichkeitswirksamen Aktionen. Die Konferenz erklärte ihre Solidarität und verurteilte die Eigentümer, die sich „ihrer sozialen Verantwortung gegenüber den Beschäftigten in unverantwortlicher Weise entledigt haben“. Rainer Butenschön (Niedersachsen-Bremen) kritisierte die Haltung mehrerer DGB-Gewerkschaften zur Tarifeinheit und die „Blockbildung“ innerhalb der Dachorganisation als eine „fundamentale Fehlentwicklung der deutschen Gewerkschaftsbewegung“. Gewerkschaften dürften sich nicht gegenseitig „kannibalisieren“.
Folgen der Agenda 2010 und aktuelle Entwicklungen in der Arbeitswelt seien ohnehin geeignet, die Beschäftigten in diesem Lande weiter zu „entsichern“, wie es durch Minijobs, Scheinselbständigkeit, Leiharbeit und Werkverträge bereits Alltag sei, sagte ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske. Lohndrückerei gehöre ein grundsätzlicher Riegel vorgeschoben. Der gesetzliche Mindestlohn bedeute deshalb einen „historischen Erfolg der Gewerkschaftsbewegung“, zu dem ver.di tatkräftig beigetragen habe. Doch gelte: „Würde kennt keine Ausnahmen!“ Das Gerede vom „Bürokratie-Monster“ gehöre zur Arbeitgebertaktik, den Mindestlohn auszuhöhlen. Bsirske regte an, der Kampagne um den Mindestlohn nun eine Kampagne gegen Altersarmut folgen zu lassen. Er kündigte Großkonflikte bei der Postbank, der Deutschen Post AG und im Kita-Bereich an. Für die Auseinandersetzungen „brauchen wir die Solidarität der gesamten Organisation“. ver.di werde sich verstärkt auch um die Digitalisierung von Arbeitsprozessen, um Cloudworker und digitale Transparenz kümmern. Nach wie vor hänge gewerkschaftlicher Erfolg aber von Verankerung und Stärke im Betrieb ab, schloss der Redner.
Zukunftsdebatten
Mit gesellschafts-, medien- und tarifpolitischen Anträgen brachte sich die Konferenz in die Zukunftsdebatten zum ver.di-Kongress ein, bezog Stellung, übermittelte Forderungen, Ideen und Anregungen. Um mehr Gerechtigkeit in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ging es in solchen Anträgen ebenso wie um die Rücknahme der Rente mit 67. Der gesetzliche Mindestlohn soll schnellstmöglich auf zunächst 10 Euro steigen und danach jährlich orientiert am Lohnindex angepasst werden. Sachgrundlose Befristungen von Arbeitsverträgen müssen abgeschafft, Werkverträge gesetzlich geregelt und eingeschränkt werden. Einstimmig beschlossen wurden auch die Forderung nach uneingeschränktem Streikrecht für jede und jeden sowie ein Nein zu Vorratsdatenspeicherung.
Mit einem Antrag „Pressevielfalt sichern – Presseförderung ausweiten und an Bedingungen knüpfen, die dem Erhalt journalistischer Qualität dienen, Pressestatistik wieder bzw. Medienstatistik einführen“ mischt sich die Konferenz in aktuelle medienpolitischen Debatten ein. Ein weiterer Antrag soll Urheberrecht und angemessene Vergütung auf nationaler und europäischer Ebene gewährleisten. Personalvertretungsrechte für arbeitnehmerähnliche Freie wurden ebenso gefordert wie Arbeitnehmervertretungen in Töchtern öffentlich-rechtlicher Sender. Ein umfangreicher Antrag behandelte die Tarifpolitik in der Medienwirtschaft. Er zielt auf eine Trendwende bei Entgeltsteigerungen, da „Menschen und nicht Technik“ für Qualität sorgen.
Ein Leitantrag zur „Perspektive 2015 – ver.di wächst“ sorgte für teils kontroverse Debatten. Die „Stärkung der kollektiven Gewerkschaftsarbeit, insbesondere der Betriebs- und Tarifarbeit setzt eine enge Verzahnung“ zur individuellen Mitgliederarbeit voraus, heißt es darin. Unnötige Fronten zwischen individueller und kollektiver Mitgliederbetreuung sahen Redner. Frank Werneke bekräftigte als Ziel, dass „die politische Arbeit im Fachbereich und in den Landesbezirken besser werden soll“. Die Nachwuchsförderung und der Stellenwert der Jugendarbeit im Fachbereich wurden ebenfalls durch einen Antrag hervorgehoben und mit Statistik bekräftigt. Eine umfangreiche Diskussion rief der Antrag „Bildungsmaßnahmen gehören in Bildungsstätten – Lage-Hörste als unser Haus sichern“ hervor. Delegierte griffen auf, was Constanze Lindemann (Berlin) bereits am ersten Konferenztag beschworen hatte: Gewerkschaftliche Bildungsarbeit sei es, die Konfliktfähigkeit und gewerkschaftliches Handeln begründe. Heidrun Abel (NRW) verlangte, Hörste eine Chance zu geben, Brigitte Praetorius (NRW) setzte die Forderung hinzu, die Arbeitsplätze dort zu erhalten. Heinrich Hartmann (Hessen) sprach sich dafür aus, die „Zeitschiene zu strecken“. Für seine Aussage „Eine Lösung jenseits der Schließung ist möglich“, erhielt er tosenden Applaus.