Internet und Rundfunk verschmelzen auf modernen TV-Bildschirmen
Fernsehen wie wir es heute kennen – mit festgefügten Programmangeboten – ist ein Auslaufmodell. Was bleibt, ist allein der Akt des „Fernsehen guckens“, unabhängig vom vorgegebenen Zeitplan und Programmschema der Sender. Dank Web-TV, IPTV und des Hybrid-Fernsehers ist die Trennung von PC und TV-Gerät aufgehoben. Die neue Stufe der Konvergenz krempelt den Markt komplett um.
Serien, Filme, Dokumentationen, Privat-Videos – kurz: fast jede Art von Bewegtbild, die sich im Internet findet – kann nun auch von der Couch aus auf dem Fernseher betrachtet werden. Und nicht nur das: viele Nachrichten und andere Texte aus dem Web sind auf dem TV-Bildschirm nutzbar. Damit erwächst den klassischen Sendern in ihrem angestammten Revier erhebliche Konkurrenz. Denn wenn das Zappen kein interessantes Programm zutage fördert, ist es von nun an ein Leichtes auf YouTube zu wechseln oder zu einer Seite, auf der man die neuesten amerikanischen Serien findet. Einfach per Knopfdruck an der TV-Fernbedienung und ohne den Computer anzuschalten!
Seit April 2009 sind die neuen Hybrid-Fernseher, die neben klassischen Programmempfangswegen auch einen schnellen Internetanschluss haben, im Handel. Eine Millionen davon stehen schon in deutschen Haushalten, bis Ende des Jahres soll sich die Zahl verdoppeln, schätzt Jürgen Sewczyk. Der Berater ist Vorstandsmitglied der Deutschen TV-Plattform und leitet nach der AG IPTV nun die Arbeitsgruppe Hybride Endgeräte.
Die Hybridtechnik setzt die Fernsehsender gehörig unter Druck, denn der Wettbewerb zwischen ihren Angeboten und jenen aus dem Netz findet nun auf einem Bildschirm statt. Bisher galt: Webnutzung tagsüber im Büro am PC, Fernsehen abends auf der Couch. Nun verschmilzt beides. Im Grunde wird damit die ältere Generation ins Visier genommen, deren Nutzungsverhalten man ändern will. Sie kann sich per TV-Fernbedienung einfach Hintergrundinformationen auf den Bildschirm holen, statt dem Aufruf des Nachrichtensprechers zu folgen und am Laptop oder PC Zusätzliches unter www.heute.de oder www.tagesschau.de abzurufen. Viele Jüngere haben die Trennung von Computer und Fernseher ohnehin längst aufgegeben und besitzen oft nur ein Notebook oder Handy, die ihnen gleichermaßen als Kommunikations-, Unterhaltungs- und Arbeitsmittel dienen. „Das klassische Fernsehen verliert die Jungen“, sagt denn auch Robert Wagner, Vice President Marketing & Content von der Deutschen Telekom, der den Webserien-Kanal 3min verantwortet. Und er ist sich sicher: „Webbasiertes Fernsehen wird ein großer Markt werden, da sich der Zuschauer nicht mehr an einer vorgegebenen Programmstruktur orientiert – der Prozess ist nicht mehr aufzuhalten.“
Und er entwickelt sich mit einem atemberaubenden Tempo – getrieben von neuen Technologien und Geräteherstellern, die ihre TV-Flachbildschirme oder Boxen mit Zusatzfunktionen bereichern. „Die Frage lautet im Augenblick, wie schnell setzen sich die Endgeräte, die Inhalte und die Akzeptanz dieses Angebots beim Zuschauer durch“, erklärt Jürgen Sewczyk von der Deutschen TV-Plattform: „Immerhin entwickeln sich die ersten beiden Aspekte in einer Rasanz wie keine andere Technik je zuvor – und dies ganz ohne Werbung.“ Das liegt aber auch daran, dass neue Flachbildschirme in der Regel mit einem Internet-Zugang ausgestattet sind und der Konsument ihn oft nichtsahnend mitkauft.
Auf die neue TV-Ära richten sich die Sender schon mal ein – private wie öffentlich-rechtliche. So bieten inzwischen alle Mediatheken oder Videoabrufplattformen im Web. Der Verband Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) begrüßt grundsätzlich die erweiterten Möglichkeiten, die das Hybrid-Fernsehen mit Hilfe des neu eingeführten Standards HbbTV (Hybrid Broadcast Broadband TV) bietet. Mit seiner Hilfe ist eine neue Art von Videotext möglich, über den die Sender mit Hilfe von Applikationen ihr Programm mit Zusatzangeboten ausstatten. Gleichzeitig macht der VPRT klar, dass das Hybrid-Fernsehen nicht dafür genutzt werden darf, das Geschäftsmodell der Privat-Sender zu unterminieren. „Es gibt die Verabredung mit dem Zuschauer, dass die privaten Sender ihr Angebot mit Werbung finanzieren“, ist sich Sebastian Artymiak vom VPRT sicher.
Einen konkreten Zeitrahmen, in dem sich die Verschmelzung von Web und TV zu einer relevanten Größe entwickeln wird, nennt eine internationale Analyse der Kölner Beratungsfirma Global Media Consult (GMC), die während der Mipcom im Oktober 2009 vorgestellt wurde. Sie kommt zu dem Schluss, dass die stetige Erhöhung der Bandbreiten, die Einführung des Hybrid-Fernsehens und die zurück gehende Zahlungsbereitschaft der Konsumenten die klassischen Sender innerhalb der nächsten fünf Jahre so stark unter Druck setzt, dass „es zu spürbaren Machtverschiebungen in den Content-Märkten kommen wird – und dies bedeutet das Ende der dominanten Position der klassischen Rundfunkanbieter“. Laut GMC gehören zu den Gewinnern dieser Verschiebung u.a. Telekommunikationskonzerne, IPTV-Anbieter sowie die Produzenten aller fiktionalen und einer bestimmten Gruppe von non-fiktionalen Formaten.
Die Perspektiven dieses Wandels sind nicht nur für die Sender absehbar, die ihr Geschäftsmodell ja schon jetzt aufgrund wegbrechender Werbeeinnahmen umstellen. Für die Produzenten eröffnen sich neue Geschäftsfelder und ein direkterer Zugang zum Endverbraucher. Einerseits sind sie nun gefragt, ihre Inhalte selber zu vermarkten und zu refinanzieren. „Denn die Marge kommt im Web über die Auswertung“, benennt Britta Schewe, Produzentin und Beraterin für die Finanzierung und Vermarktung von Web-Serien, den entscheidenden Unterschied. „Das bedeutet aber auch, dass sich der Produzent darum kümmern muss, wie der Werbekunde eingebunden wird.“ Andererseits ist dies für ihn die große Chance seine kreative Freiheit wiederzuerlangen, weil er sich sehr viel direkter an seine Zielgruppe wenden kann. „Wir müssen als Produzent wieder lernen, die Menschen zu überraschen“, freut sich Marc Lepetit, Produzent der von Phoenix Film produzierten Webserie „Kill Your Darling“, auf die Aussichten. „Als Produzenten können wir so ohne Kompromisse arbeiten – etwas, das die Zielgruppe honoriert.“ Die muss letztendlich gar nicht mal so groß sein. 100 bis 150.000 User nennt Marc Lepetit als Minimum. „Im Netz ist alles viel Kleinteiliger“, sagt er.
Das mag zwar etwas mühselig sein, aber zum einen fragmentiert sich der Markt durch das Internet immer stärker und bei großen Projekten sinkt die Marge. Um dies zu erreichen, muss der Produzent sein an den Bedürfnissen der Fernsehsender geübtes Denken über Bord werfen und Neues erfinden. Für einen Produzenten von Web-Inhalten gilt: sich nicht nach dem 14–49-Jahre-Denken der Werbeindustrie zu richten, unkonventionell und frei zu denken, die Wünsche und Bedürfnisse der Zielgruppe zu identifizieren, einen Partner für ein Nischenprodukt zu finden, sich vom risikofreien Leben eines Auftragsproduzenten zu verabschieden.
„Das bedeutet aber auch, dass der Produzent akzeptieren und sich darum kümmern muss, wie die Interessen des Werbekunden mit dem Wesen des Produkts verbunden werden“, sagt Britta Schewe zu den Finanzierungsmöglichkeiten. Dass es sich lohnt, weiß Dirk Hampel, der Medienprojekte wie die „4 Yoginis“ für maedchen.de konzipiert und produziert und mit dieser Serie tatsächlich Geld verdient. „Wenn man es geschickt macht“, sagt er, „kann man mit kleinen Sachen einen größeren Profit machen, als mit Großen.“ Und er erklärt, wie es geht: „Man muss die Zielgruppe suchen und ihnen dort ein Angebot unterbreiten, wo sie sich aufhalten. Oder man baut ihr einen Weg, damit sie dorthin findet, wo das Produkt ist.“
Einer dieser Wege sind auf Web-Videoinhalte spezialisierte Portale. Effizienter ist es hingegen nach einem Ort zu suchen, an dem sich die Zielgruppe bereits befindet, denn die Erfolge von „4 Yoginis“ (über 400.000 Zuschauer) und „Pietshow“ (3 Mio. Views in zwei Monaten für Staffel I) basieren auf ihrer Einbindung in maedchen.de respektive studiVZ. Ein anderer Weg ist die Schaffung eines Community-Senders. „Man muss sich Gedanken darüber machen wie man eine Zielgruppe ansprechen kann, die woanders nicht angesprochen wird“, erklärt Robert Wagner. Für 3min heißt dies, Programmmarken aufzubauen, mit denen man sich klar vom Fernsehen differenzieren kann. Damit positioniert sich das Portal als Plattform für Produktionen, die im Fernsehen nicht durchkommen. „Wir müssen Inhalte und Formate suchen, die originär zum Internet passen“, sagt Robert Wagner und nennt als Beispiel den Erfolg von „Bubble Universe“, einer Web-Doku für die Gamer-Community, die in die zweite Staffel geht. „Im Netz sind derbere, witzigere und schnellere Inhalte möglich als im Fernsehen“, identifiziert Britta Schewe das Alleinstellungsmerkmal von Web-Serien: „Denn der User geht gezielt ins Netz und sucht nach diesen Inhalten.“
Bei der Entwicklung von originären Web-Inhalten befindet sich die Branche jedoch noch in der Zeit des Suchens und Ausprobierens. Man vermutet große Chancen und ist nicht bereit, sie sich durch die Lappen gehen zu lassen. Die UFA hat bisher einiges investiert: Die 1.Staffel der „Pietshow“ wurde selbst finanziert. „Von studiVZ kam das Marketing, von GrundyUFA das Produktions-Knowhow“, sagt Pietshow-Produzent Nico Heise: „Für uns war es wichtig das Sujet auszuprobieren. Die erste Staffel war daher klar ein Test.“ Eine Mio. Euro steckte die UFA in „Kill Your Darling“ der Tochter Phoenix Film und gerade wurde das UFALab, die Ideenwerkstatt für bahnbrechende neue Medieninhalte in Berlin eröffnet.
Ungelöst ist immer noch die Frage nach der Refinanzierung. Durch die Umsonst-Mentalität, die sich im Netz längst als Gewohnheitsrecht durchgesetzt hat, ist Werbung nach wie vor die wichtigste Finanzierungsquelle in einem Medium, das nur drei Einnahmequellen kennt: Werbung/Sponsoring, Bezahl-Inhalte und Handelserlöse. „Der Online-Markt ist 2009 trotz Krise überdurchschnittlich gewachsen“, hat Nico Heise beobachtet und Robert Wagner schätzt, ausgehend von einem Anzeigenwachstum für Online-Videos von 400 Prozent, dass die Werbeausgaben für Fernsehen und Webserien in fünf Jahren bei 50/50 liegen. Vielleicht aber kommt auch Hilfe von Google. Der Internet-Gigant plant in Partnerschaft mit Intel und Sony in den Web-TV-Markt einzusteigen, um sein Werbeerlöskonzept so auch auf den Fernseher zu bringen.
Web-TV, IPTV, Hybrid-TV
Die Experten der Deutschen TV-Plattform (www.tv-plattform.de) unterscheiden klar zwischen Web-TV, IPTV und Hybrid-TV – auch wenn alle drei Formen fernsehähnliche Bewegtbildangebote sind. IPTV ist ein vorgegebenes Rundfunkangebot für TV-Bildschirme mit gesicherter technischer Übertragungsqualität eines Dienstleisters. In Deutschland sind das die Programmangebote von T-HomeEntertain und Alice TV mit über 1,2 Mio. Abonnenten, die inzwischen neben Kabel, Satellit und Antenne einen vierten TV-Übertragungsweg etabliert haben.
Web-TV hingegen ist alles, was man sich ohne technische Qualitätsgarantie aus dem Netz ziehen kann, wozu YouTube, 3min. oder Film- und Serienwebseiten gehören – fast immer am PC-Bildschirm konsumiert. In der zweiten Phase der Konvergenz von Internet und TV entsteht nun Hybrid-TV als Kombination von Fernsehprogrammen mit Internet-Angeboten auf modernen TV-Flachbildschirmen.