Schon entdeckt? SeeMoz

Engagierte Medien abseits des Mainstreams gibt es zunehmend mehr. Sie sind hoch­interessant, aber oft wenig bekannt. Deshalb stellt M in jeder gedruckten Ausgabe und auf M Online einige davon vor. SeeMoZ zum Zweiten

Wiederentdeckt, müsste es richtig heißen. Denn zum 10. Jubiläum am 1. Mai präsentierte sich die Online-Ausgabe SeeMoZ noch immer „kritisch – widerborstig – informativ”, wie bei der ersten Vorstellung in M 6–7.2010. Nicht selbstverständlich für ein Medium, das auf Leser_innen zielt, die „sich mit dem konservativen Einheitsbrei des hiesigen Südkurier nicht mehr zufrieden geben”, wie Mitgründer Holger Reile formuliert. Zu Spit­zenzeiten verzeichnet man „täglich bis zu 6.000 Seitenaufrufe”.

Nach wie vor bietet die Internetausgabe „Lesenswertes aus Kultur und Politik für den Bodenseeraum und das befreundete Ausland”, wie Reile und Mitherausgeber Hans Peter Koch das einst konzipierten. Sie stehe in der Tradition unabhängiger Stadt- und Regionalzeitungen und zählt nunmehr zu den ältesten Online-Magazinen nicht nur in Baden-Württemberg. Von der „etwas naiven” Gründer-Vorstellung, eine „MonatsZeitung” in gedruckter Form herausgeben zu können, habe man sich realistischerweise schnell verabschiedet. Doch blieb elektronisch immerhin das Namenskürzel am See hängen. Auch das Team ist stabil, ein Webmaster kam hinzu. Noch immer sieht man sich in der „glücklichen Lage, dass viele erfahrene Kollegen für uns ohne Honorar schreiben”. Mittlerweile erhalte zumindest der Schreiber, der ständig aus dem Gemeinderat berichte, eine bescheidene Vergütung. Und am Monatsende klaffe kein Loch im Budget, sondern für die Macher bliebe zumindest ein motivierender Rest, auch wenn der Lebensunterhalt anders verdient werden muss. Immerhin habe „diese Art von Selbstausbeutung” in den vergangenen zehn Jahren dazu geführt, dass SeeMoZ aus der Region nicht mehr wegzudenken sei und sich „als ernstzunehmendes Medienprodukt gut entwickelt”, so Reile.

Häufiger mal Zusammensitzen

SeeMoZ publiziert täglich neue Artikel, Analysen, Reportagen, Interviews und Rezensionen – gestalterisch klar, ohne jeden Schnickschnack. Wer aktuell auf die Seite geht, erfährt, warum eine Resolution der Linken Liste gegen weitere von der Landesregierung geplante Abschiebungen afghanischer Flüchtlinge von der Tagesordnung des Konstanzer Gemeinderates flog, oder dass AStA und Studenten der Hochschule Konstanz entschieden gegen Studiengebühren demonstrieren. Mit Statistiken belegt man (Alters)Armut in einer reichen Region, lädt zum Fahrradflohmarkt auf dem Palmenhausareal ein. Leser_innen können sich ein Bild machen, was ein „Seilbahntreffen” im Auftrag des Ministeriums für Verkehr Baden-Württemberg mit interessengeleiteter Suche der Stadt Konstanz nach neuen Verkehrskonzepten zu tun haben könnte. Oder warum sich Bürger dafür stark machen, dem 1932 zum Ehrenbürger ernannten Erzbischof Gröber, berüchtigt als „Brauner Conrad”, diese Würde endlich wieder abzuerkennen. Mit einer eigenen Rubrik wird immer wieder aus der benachbarten Schweiz berichtet. Solcherart Grenzüberschreitung soll noch ausgebaut werden, Kooperationen sind in Planung. Für regelmäßige Informationen aus dem Hegau, der westliche Bodenseeregion, sorgen nun auch Mitarbeiter_innen aus der Nachbarstadt Singen. Damit die Kooperation klappt, müsse die Verständigung per Mail und Telefon durch häufigere Redaktionskonferenzen ergänzt werden, heißt es aus dem professionellen Alltag.

Mit langem Atem

Noch immer stehen Testimonials auf der Webseite und erklären, warum sie SeeMoZ lesen oder mit Spenden unterstützen: „Engagierter Journalismus ist mir wichtig. Vielfalt und kritische, faire Auseinandersetzung, womit auch immer, sind einfach notwendig”, hießt es da; „weil ich hier meinungsfreudige und mitunter schön einseitige Beiträge zum Geschehen in Konstanz und darüber hinaus finde” oder dass man „ein offenes, kritisches und schnelles Medium wie den seemoz, das aktuell, zeit- und bürgernah möglichst viele Interessen und Meinungen widerspiegelt”, nicht missen möchte. Es äußern sich Künstler, Kneipiers, Studenten, Wissenschaftler, eine Frau vom Naturschutz oder ein Mann vom Mieterbund. Das entspricht dem Credo, dass das ­Magazin allen offenstehe, „die zu einer Demokratisierung der Medienlandschaft und der Gesellschaft beitragen” wollen. Für eifrige Leser_innenbeteiligung spricht: Die Anzahl der Kommentare steigt ständig. Breit gefächert ist auch das Spektrum der

Anzeigenkunden, die von Biobrotbäcker und Buchladen über Immobilienberater, Mosterei, Museen, Rechtsanwälte bis zu Restaurants und Verlagen reichen. Auch als Werbeträger werde SeeMoZ „zunehmend ernstgenommen”, freuen sich die Macher. Doch vergebe man auch Gratisbanner an „Initiativen, denen es an Finanzen fehlt, deren Engagement wir aber gerne unterstützen”. Spenden sind für den laufenden Betrieb des Portals lebenswichtig: „Schon der nächste Crash eines altersschwachen Computers gefährdet das Projekt”, warnt der Trägerverein. Die Zahl der Zuwender_innen steige. Einen neuen Schub erhofft sich Holger Reile, wenn Gemeinnützigkeit erreicht ist und bald Spendenbescheinigungen ausgestellt werden können.

Bis man es merkt

Solidere Finanzen – ein Wunsch, der die Macher von Beginn an begleitet. Doch Luft nach oben sehen sie auch für weitere Mitarbeiter_innen. Und ohne grenzenlosen Optimismus geht nichts. So wie das grantelnde Multitalent Herbert Achternbusch über seine bayerische Heimat bekannte, die Gegend habe ihn kaputt gemacht, er bleibe so lange, bis man ihr das anmerkt, sagen Reile und Koch: „Wir mögen dieses Stückchen Erde am südlichen Ende der Republik …” Sie wollen weitermachen, bis man ihnen das anmerke. Zum Jubiläum und zu weiterer Veränderung sei ihnen langer Atem gegönnt!

 

 

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