Blockchain-Techniken revolutionieren nicht nur die Finanzwelt, sondern versprechen inzwischen auch die Content- und Kreativbranche umzukrempeln. Völlig neue Geschäftsmodelle sind möglich. Dank der Blockchain-Technologie können Urheberinnen und Urheber ohne zentrale Stellen wie Verlage oder auch Internet-Plattformen ihre Werke verwerten. Derzeit stehen spannende Start-Ups und Pilotprojekte am Start.
Das vom Axel-Springer-Verlag geförderte Startup SatoshiPay hat eine Technik für Nanopayments über die Bitcoin-Blockchain entwickelt. Damit könnten Verlagsinhalte nicht per Abo, sondern einzeln, zum Wert eines Cent-Bruchteils bezahlt werden. Ohne Anmelde-Prozesse und Download-Software könnten Leser_innen auch einzelne Bestandteile eines Buches oder eines Artikels kaufen. Auf eine Nachfrage vom M nach dem aktuellen Entwicklungsstand und etwaigen Referenzmodellen reagierte das Unternehmen allerdings nicht.
Weniger schweigsam hingegen gibt sich das Startup Ujo Music, das eine ähnliche Technik für die Musikbranche entwickelt. Es erprobte 2015 mit der britischen Künstlerin Imogen Heap eine transparentere Form der Musiklizensierung für ihren Song „Tiny Human“, vor kurzem wurde mit dem Künstler RAC die Technik für ein komplettes Album getestet. Das Ziel ist es, Abrechnungssysteme mit der Verwaltung von Urheberrechten so zu verschmelzen, dass Künstler_innen ihren Anteil unmittelbar, ohne Verlage oder Verwertungsgesellschaften in dem Moment erhalten, in dem Fans ihre Werke konsumieren.
Noch in diesem Jahr will Ujo Music ein „Creator’s Portal“ starten, in dem Künstler_innen Daten zu ihren Arbeiten in einem eigenen Online-Portal oder im Ujo Store zur Verfügung stellen können. Die Daten werden dann auf Basis der Blockchain-Technik Ethereum von verschiedenen Anwendungen genutzt, um Urheberrechte und Lizenzen sowie die Bezahlvorgänge dezentral zu verwalten. Über 1.400 Künstler_innen haben bereits ihr Interesse an der neuen Technik signalisiert. Voraussetzung ist, dass sie in vollem Umfang über die Verwertungsrechte an ihren Werken verfügen.
RAC nahm schon am ersten Tag mehr Geld über diese Plattform ein als über die üblichen Verwertungswege, was Ujo-Gründer Jesse Grushack aber vor allem dem Enthusiasmus der Ethereum-Community zuschreibt. Die Nutzer_innen müssen hierfür das Plugin MetaMask in ihrem Chrome-Browser installieren, um mit zwei Klicks das Album zu kaufen.
Mittelfristig könnten Blockchain-Techniken auch die Vormachtstellung von Internet-Plattformen wie Amazon, Facebook oder Airbnb brechen, da sie für Transaktionen keine zentrale Datenhaltung mehr verlangen: Eine Transaktion kann über „Smart Contracts“ abgewickelt werden. Dabei handelt es sich um „automatisch ausführbare Programme, die auf der Blockchain aufbauen und vordefinierte Transaktionsspielregeln im Programmcode abbilden“, wie Shermin Voshmgir erklärt, die für die Technologiestiftung Berlin eine Blockchain-Studie erarbeitet hat. Demnach wird eine Transaktion nur dann ausgeführt, wenn alle beteiligten Parteien die vereinbarten Konditionen erfüllen.
Anwendungen, die auf dem Backend oder dem Endgerät des Nutzers laufen, können diese Smart Contracts verwenden. Überdies können dezentrale autonome Organisationen (DAOs) sich über Smart Contracts organisieren. Shermin Voshmgir sagt aber auch: „Hier besteht noch viel Forschungs- und Entwicklungsbedarf und es bedarf technologischer Netzwerkeffekte, bevor diese Anwendungen in einer breiten Masse relevant werden können.“
Ujo liefert jedenfalls für DAOs bereits ein Beispiel: Die Metadaten eines Musikers bleiben mit dem Künstler verbunden, können aber von verschiedenen Musik-Anwendungen genutzt werden. Simon De La Rouviere, der bei Ujo für das Thema „Smart Contracts“ zuständig ist, stellt sich vor, dass mit Ujos Blockchain-Technik in nur wenigen Tagen ein innovativer Radio-Service aufgebaut werden kann, ohne dass man dafür die Plattenfirmen kontaktieren muss. Die Rechteklärung hat im Vorfeld ja schon stattgefunden, wobei Ujo bisher außerhalb des traditionellen Verwertungsrahmens der Plattenfirmen und Verwertungsgesellschaften agiert, da diese wenig Interesse an der neuen Technik zeigen.
Derzeit scheinen aber die Hindernisse für die Umsetzung in Deutschland weniger technischer, denn regulatorischer Art zu sein. So fehlt etwa für Smart Contracts noch die Erfahrung in der Rechtspraxis, wie diese rechtssicher gestaltet werden können. All dies kann aber, so hofft Voshmgier, in konkreten Pilotprojekten evaluiert werden. Ein weiteres Problem sieht Voshmgir noch in der Skalierbarkeit, also in der Frage, wie viele Transaktionen in einem bestimmten Zeitraum durchgeführt werden. Bitcoin-Nutzer_innen, die in einem Café mit Bitcoins bezahlten wollten, berichten beispielsweise, dass die Bestätigung einer Transaktion an der Ladenkasse über eine Minute dauern kann. Ähnliche Kapazitätsprobleme werden inzwischen auch über Ethereum berichtet.
Blockchain-Techniken stecken zwar noch in den Kinderschuhen, doch ihr Versprechen elektrisiert die Internetgemeinde. Sie stellen nämlich in Aussicht, die ursprüngliche Utopie des Internets doch noch zu verwirklichen, die von der unkontrollierten dezentralisierten Informationsverteilung ausging. Mit der Finanzbranche haben sie einen mächtigen Verbündeten, der die Entwicklung seit Jahren unerschütterlich vorantreibt. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sich noch mehr Startups auch für neue digitale journalistische Geschäftsmodelle finden lassen.