Journalismus im Spannungsfeld von Datenschutz und Selbstoffenbarung
Die Enthüllungen von Edward Snowden im Juni 2013 machten mit einem Schlag deutlich, wie sehr staatliche und kommerzielle Datenkraken unser gesamtes Leben kontrollieren. Was heißt das für die journalistische Arbeit und Berichterstattung? Darum ging es auf der gut besuchten vierten Medienpolitischen Tagung der dju in ver.di Mitte Oktober in Lage-Hörste.
Die hochkarätigen Referenten thematisierten Datennutzung und -missbrauch im Netz auf privater, kommerzieller und staatlicher Ebene. Welche Chancen und Risiken birgt die private Selbstoffenbarung im Netz? Man wird zwar via Facebook zur nächsten Party eingeladen, aber gleichzeitig erstellen kommerzielle Konzerne mit den gesammelten und verknüpften Daten Konsumentenprofile für die Werbewirtschaft und Geheimdienste gefährden Bürgerrechte.
Schutzlos im Internet?
„Das Internet ist eine segensreiche Einrichtung”, sagte Thilo Weichert, Datenschutzbeauftragter von Schleswig-Holstein in seinem Einführungsvortrag. Es sei geeignet zur Informationsbeschaffung, zum Publizieren, zur Freiheitsentfaltung. Das wiederum berge auch Risiken: Die Privatsphäre wird ausspioniert, Menschen werden angeprangert oder Informationen manipuliert. Vor kurzem seien die Internet-Seiten zweier Firmen in Lübeck und Kiel gehackt worden: Offenbar hatten Sympathisanten der Extremistengruppe Islamischer Staat Werbebotschaften auf deren Webseiten gestellt.
„Es gibt keine absolute Datensicherheit – außer man setzt sich in einen abgeschirmten Käfig und kappt alle Verbindungen”, so Weichert. Er empfahl eine überlegte Nutzung des Netzes, denn es gebe ein großes Machtgefälle zwischen kommerziellen Konzernen wie Facebook oder Google und den Bürgern. Ihr grundlegendes „Recht auf informationelle Selbstbestimmung” könne nur bedingt durch Gesetze geschützt werden. So hat Google trotz Verbots die Nutzerdaten von Youtube, Gmail, Maps und anderen Diensten miteinander verknüpft. Die verhängten Geldstrafen im fünfstelligen Bereich waren für den 225-Millarden-Dollar-schweren Internetriesen nur „Peanuts”.
„In digitalen Zeiten ist die Analyse der Datenflut kein Problem mehr”, sagte Weichert. Der Bundesnachrichtendienst benutze das gleiche Analysetool wie der US-amerikanische Geheimdienst NSA. Weichert warnte vor dem Cloud-Computing, da die Geheimdienste nicht nur Telefonnetze abhören, sondern auch Internetdienste abgreifen und Verschlüsselungen knacken. Besonders Fotografen werden von Agenturen oft genötigt, ihre Fotos an eine Cloud zu schicken. Deutsche Cloud-Anbieter wie strato seien verlässlicher als amerikanische, beruhigte Weichert. In den USA hätten „Geldverdienen und Sicherheit absolute Priorität gegenüber Privatheit und Datenschutz”. Weichert setzt deshalb große Hoffnung auf die Europäische Datenschutz-Grundverordnung, die jetzt verabschiedet werden soll. Mit der Vereinheitlichung der Gesetzgebung in Europa würden die höheren EU-Standards das Datenschutzniveau für alle weltweit tätigen Unternehmen anheben.
Das Private im Netz
Das Spannungsfeld zwischen Datenschutz und Selbstoffenbarung beleuchtete Philipp Masur, Medienpsychologe an der Universität Hohenheim. 1980 startete mit der E-Mail die digitale Kommunikation, die mittlerweile „zur Überwachung des gesamten Alltags geführt hat”, so Masur. Auch die Vorstellung von „Privat” hat sich gewandelt. Wenn der Vater dabei an „mein Haus” denkt, ist das Private für die Tochter „mein Handy”.
Nach aktuellen Studien ist die Privatsphäre für 97 Prozent der Befragten ein „schützenswertes Gut”, aber nur 62 Prozent sind besorgt, wenn sie das Internet nutzen. Das hat sich nach den Enthüllungen von Edward Snowdon geändert: Während 2011 noch zwei Drittel der Befragten die Preisgabe von Daten als „Teil der modernen Gesellschaft” betrachteten, schrumpfte ihre Zahl 2014 auf ein Drittel. Trotz dieser steigenden Bedenken scheint sich das Verhalten wenig zu ändern, so wird z.B. die Telefonnummer immer häufiger angegeben. Masur hat eine Erklärung für dieses scheinbare Paradox: „Die Nutzer wollen die Vorteile nutzen und ignorieren die Risiken.” Das Internet ermöglicht den Austausch mit Freunden, gibt Bestätigung und soziale Unterstützung, bietet Entspannung durch Unterhaltung und Realitätsflucht. Negative Erfahrungen mit Cybermobbing oder Datenklau haben dagegen die meisten bisher persönlich noch nicht gemacht. Vielen Nutzern mangelt es zudem an Datenschutzkompetenz. 65 Prozent von ihnen denken z.B., dass Facebook keinen Zugriff auf ihre Daten hat, wenn sie mit einem Klick auf den Button „Privat” ihre Daten verbergen. Fazit: Die kritische Medienberichterstattung beeinflusst zwar ihre Einstellung zur Netzsicherheit, aber nicht ihr Verhalten.
Fehlende Bilder
Der „digitale Wandel ist in allen Bereiche unseres Lebens eingedrungen” und nach der Snowden-Enthüllung gab es eine „Lawine von Presseartikeln”, konstatierte Johannes Boie, zuständig für Internet und digitale Themen bei der Süddeutschen Zeitung. „Jeder ist betroffen – anders als bei Ebola – und trotzdem passiert nichts.” Jedes Jahr wird in Berlin und anderswo zwar für „Freiheit statt Angst” demonstriert, aber für Massenproteste wie zu Zeiten der Friedensbewegung oder Waldrettung taugt der Datenschutz nicht. Warum? Vermitteln wir die reale Gefahr nicht, fragte Boie selbstkritisch. Datenschutz ist ein komplexes Thema und es gibt keine Bilder, die das Thema in seiner Brisanz veranschaulichen, die Emotionalität erzeugen. Was wir haben, sind Fotos vom NSA-Hauptquartier, von schwarzen Schränken und Datenkabeln.
Es gelte, kreativ zu sein, Illustrationen, Animationen oder Multimedia-Elemente wie „Scrollytellings” einzusetzen, mit Metaphern und Zuspitzungen zu arbeiten, eigene Erfahrungen zu sammeln. Nicht unumstritten war Boies Forderung, stärker zu personalisieren, dem Problem ein Gesicht zu geben, um Leser emotional anzusprechen. „This story is not about me”, habe Snowden anfangs gesagt, sich dann „glücklicherweise doch bereit erklärt, sein Gesicht in die Kamera zu halten”. „Das Thema gehört nach vorn, nicht die Person”, hieß es dagegen aus dem Publikum oder: Personalisierung führe „zur Verkleisterung von Strukturen”. Auch als Boie sagte, man dürfe „sich nicht mit den Aktivisten gemein machen”, widersprachen TagungsteilnehmerInnen: „Es gibt keinen Journalisten, der keine Interessen vertritt.” und „Man muss klare Position beziehen. Glaubwürdigkeit wird durch scheinbare Objektivität mehr beschädigt.”
Investigative Recherche
Eine überzeugende Berichterstattung basiert auch auf einer sorgfältigen Recherche. Der Journalist und IT-Spezialist Uwe Sievers demonstrierte am „Koobface-Fall”, was JournalistInnen von Internetfahndern lernen können. Eine fünfköpfige Gang aus Russland hatte über soziale Netzwerke wie Facebook „Malware” verteilt und damit zwischen 2008 und 2012 etwa zwei Millionen Dollar pro Jahr erzielt. Enttarnt wurde sie 2012.
Sievers erläuterte, wie „hilfreiche Fehler” der Cybergangster auf ihre Datenspur führten. Die Fahnder durchsuchten soziale Netzwerke, Online-Marktplätze, Jobportale und fanden unter anderem über eine Autoverkaufsanzeige, ein Stellenangebot und zahlreiche Urlaubsfotos, von Freundinnen gepostet, auch Usernamen und Handynummern. Mit dem Daten-Puzzle konnten alle fünf mutmaßlichen Internet-Betrüger identifiziert werden.
Wie JournalistInnen bei der Recherche ihre eigenen Datenspuren verwischen können, zeigte der Medienpädagoge Helgo Ollmann in einem Workshop: Firefox statt Internet-Explorer als Browser verwenden, Cookies löschen, mit einem Datenschutz-Add-on wie Anonymox die IP-Adresse wechseln und sensible Mails verschlüsseln.
Gegen die Macht der Datenkontrolleure
In zwei anderen Workshops wurde der Fokus auf den Journalismus in vernetzen Zeiten erweitert. Inge Hannemann von Jobcenter Hamburg zeigte, dass die Preisgabe von Informationen gut vorbereitet werden muss, will man auf gesellschaftliche Missstände hinweisen, ohne selbst daran zu zerbrechen. Als Whistleblowerin kritisierte die noch immer freigestellte Arbeitsvermittlerin öffentlich den entwürdigenden Umgang mit Erwerbslosen. „Ich brauche die Medien und die Medien brauchen mich”, ist ihre Überzeugung.
Brisante Themen bearbeitet auch das gemeinnützige Büro für investigative Recherche „correctiv”, das von manchen Tagungsteilnehmenden als „Billigkonkurrenz für freie Journalisten” kritisiert wurde. Doch Mitbegründer Daniel Drepper versicherte, die professionell recherchierten und im Netz veröffentlichten Informationen und Artikel können sowohl Medien als auch Journalisten nutzten. Es sind umfangreiche Recherchen, die von einem einzelnen Freien kaum geleistet werden können, weil sie nicht bezahlt werden. Das vor wenigen Wochen gestartete Projekt wird von der Brost-Stiftung finanziert, gegründet von den ehemaligen WAZ-Eignern Annelise und Erich Brost. Ein Modell für Non-Profit-Journalismus in vernetzten Zeiten?
4. Medienpolitische Tagung von ver.di
„Journalismus in vernetzten Zeiten: Alle hören mit und wen interessiert’s?“
Berichte und Materialien unter: http://imk.azlink.de/course/view.php?id=56