Am zweiten Prozesstag gegen die in der Türkei inhaftierte deutsche Journalistin und Übersetzerin Meşale Tolu hat die Staatsanwaltschaft die Freilassung der 33-Jährigen sowie von fünf weiteren Inhaftierten beantragt. Allen war die Mitgliedschaft oder „Terrorpropaganda“ für die linksextreme MLKP vorgeworfen worden. Nach kurzer Beratung setzte das Gericht die sechs Angeklagten auf freien Fuß.
Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di begrüßt die heutige Entscheidung des Istanbuler Gerichts. „Wir sind sehr erleichtert“, sagte dju-Bundesgeschäftsführerin Cornelia Haß und bezeichnete die Entscheidung als „längst überfällig“.
Tolu war am 30. April 2017 in ihrer Istanbuler Wohnung verhaftet worden und hatte seither im Frauengefängnis Bakırköy eingesessen, die meiste Zeit mit ihrem dreijähriger Sohn und anderen Verhafteten in einer Zelle. „Ebenso wie unzählige weitere in der Türkei inhaftierte Journalistinnen und Journalisten hat Meşale Tolu unschuldig und zu Unrecht im Gefängnis gesessen. Und das nur, weil sie ihrer journalistischen Arbeit nachgegangen ist“, erklärte Haß.
Auch Tolus Ehemann, Suat Corlu, saß in türkischer Haft, er war am 28. November gegen Auflagen frei gekommen. Das Verfahren gegen beide läuft jedoch weiter. Tolus Freilassung ist außerdem an ein Ausreiseverbot und an wöchentliche Meldungen bei der Polizei gebunden. „Meşale Tolu bleibt eine politische Geisel der Türkei, solange sie das Land nicht verlassen darf“, kritisierte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen.
Die Haftentlassung Tolus könne deshalb „nur ein erster Schritt sein“, so dju-Bundesgeschäftsführerin Cornelia Haß. „Die Verfahren gegen sie und ihren Ehemann sowie alle anderen aus politischen Gründen in Haft befindlichen Journalistinnen und Journalisten müssen unverzüglich eingestellt werden.“ Haß wies zudem darauf hin, dass der deutsche Journalist Deniz Yücel bereits seit Februar und noch immer ohne Anklageschrift im türkischen Gefängnis sitze. „Die Umstände seiner Haft sind skandalös. Daran ändert auch die Beendigung der Isolationshaft nichts!“
Die meisten türkischen und deutschen Reporter waren am 18. Dezember im Istanbuler Justizpalast wegen Platzmangels vom Verfahren ausgeschlossen worden. Als Beobachter im Saal nahmen jedoch der deutsche Botschafter Martin Erdmann, die angereiste Linken-Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel und der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff teil. Das Verfahren wirke so, als sei die Entscheidung bereits woanders getroffen worden, sagte Hänsel der dpa in einer Beratungspause. Auf Wallraff wirkte das Ganze laut der Agentur „wie eine Farce“. Tolu hatte bereits am ersten Prozesstag am 11. Oktober alle Anschuldigungen zurückgewiesen und ihren Freispruch verlangt.
Meşale Tolu arbeitete in Istanbul für die kleine linke Nachrichtenagentur Etha. Ein Solidaritätskreis organisierte Protest in Deutschland und wöchentliche Mahnwachen in Tolus Geburtsstadt Ulm. Ihre frühere Lehrerin wandte sich kürzlich mit einem offenen Brief an Außenminister Gabriel, in dem sie einen stärkeren Einsatz der Bundesregierung für die Freilassung der Deutschen forderte. Der zugehörigen Online-Resolution schlossen sich binnen weniger Tage über 100 000 Menschen an.