EJF-Präsident fordert: „Stoppt alle Attacken auf Journalisten und Medien!“
Für freie und unabhängige Medien“ – unter diesem Motto stand der Kongress „Free European Media 2018“, zu dem die Europäische Journalistenvereinigung (EJF) und der Europarat am 15./16. Februar ins polnische Gdansk geladen hatten. Mehr als 120 Journalist_innen, Wissenschaftler_innen, Politiker_innen und Zivilaktivist_innen debattierten über die Situation der Medien in Europa.
In seiner Eröffnungsrede zeichnete EJF-Präsident Mogens Blicher Bjerregård ein düsteres Bild aktueller Entwicklungen der Mediensituation in Europa. Das gelte auch für das Gastgeberland. Vom Aufbruch der polnischen Journalisten im Zeichen der gesellschaftlichen Wende nach 1989 sei derzeit wenig zu spüren. Ein neues restriktives Mediengesetz habe zur Kontrolle des staatlichen Rundfunks durch die regierende PiS-Partei geführt. Auch die privaten Print- und Funkmedien gerieten immer stärker unter Druck. Regierungskritische Berichterstattung werde mit Anzeigenentzug und Bußgeldern sanktioniert. Ähnliche Entwicklungen gebe es seit langem in Ungarn und aktuell auch in der Tschechischen Republik. Selbst in Westeuropa erhöhe sich der Druck vor allem auf die öffentlich-rechtlichen Medien: In der Schweiz strebe die No-Billag Inititative per Referendum eine finanzielle Austrocknung des öffentlichen Rundfunks SRG an. Auch in anderen Ländern wie etwa Dänemark erhöhe sich der finanzielle Druck auf den öffentlichen Mediensektor. Am schlimmsten sei die Lage in der Türkei und in Aserbaidschan. „In diesen Ländern ist die Medienfreiheit faktisch hinter Gittern.“ Mehr als 150 Journalist_innen seien weltweit unter falschen Anschuldigungen oder einfach, „weil sie ihrem Beruf als unabhängige Reporter nachgegangen sind“, inhaftiert. Bjerregård rief die Politiker Europas dazu auf, die Pressefreiheit als „fundamentale Säule der Demokratie“ zu verteidigen: „Stoppt alle Attacken auf Journalisten und Medien! Setzt euch für freie, unabhängige und pluralistische Medien ein!“
Für einen Ethik-Kodex
Auch Patrick Penninckx, Vorsitzender der Abteilung Informationsgesellschaft des Europarats, Manuel Mateo Goyet, Mitarbeiter der EU-Digitalkommissarin Mariya Gabriel und Harlem Désir, OSZE-Beauftragter für die Freiheit der Medien, formulierten in Grußworten ihre wachsende Besorgnis über die aktuelle Situation der Medienfreiheit in Europa. „Der Medienpluralismus ist gefährdet, nicht nur in Nachbarländern oder entfernten Regionen, sondern auch in der Europäischen Union“, konstatierte Goyet. OSZE-Mann Harlem Désir rief auf zur Verteidigung eines finanziell abgesicherten unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems, plädierte für einen Ethik-Kodex gegen Fake News und machte sich stark für die Verteidigung sozialer Rechte der Journalisten inklusive ihres Streikrechts. (S. 16/17)
Für Matthew Caruana Galizia, Journalist und Sohn der im Oktober 2017 ermordeten maltesischen Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia, ist klar: „Wer die Interessen der Mächtigen tangiert, gerät leicht in Schwierigkeiten“, erklärte der Pulitzer-Preisträger, der an der internationalen Recherche zu den Panama Papers beteiligt war. Galizia erinnerte an die ethischen Standards, denen die Angehörigen der journalistischen Profession verpflichtet sein sollten. Jeder Journalist müsse in der Ausübung seines Berufs in vielen Situationen abwägen. Manche Entscheidungen hätten lebenslangen Einfluss auf die Art, wie man seinen Beruf auffasse: etwa „die Entscheidung, ein Bestechungsangebot anzunehmen, es zurückzuweisen oder selbst ein solches Angebot zu machen“. Andere Entscheidungen fielen im Newsroom: der Beschluss, eine Geschichte nicht zu veröffentlichen, weil sie gefährliche Auswirkungen haben könnte, oder der Beschluss, Anweisungen des Verlags zu folgen, lieber die Finger von einer Geschichte zu lassen. „Das ist die Entscheidung zwischen der Verteidigung der professionellen Würde und der Absicherung des nächsten Monatsgehaltes“.
Seine Mutter habe früh ihre Wahl getroffen. Wenige Monate vor ihrer Ermordung habe ein Mitglied der Regierung Maltas einen Gerichtsbeschluss erwirkt, mit dem ihr Bankguthaben gesperrt wurde. Sie habe sich nicht einschüchtern lassen, den Sachverhalt offen gelegt und weiter berichtet. Erst recht, nachdem sie herausgefunden habe, dass der Premierminister persönlich die juristische Kampagne gegen sie forcierte. Nicht jeder sei so charakterstark und mutig. Manche knickten bei jeder Gefahr eines persönlichen Risikos ein. Galizia ermunterte dazu, der Versuchung zur Selbstzensur nicht nachzugeben. Wichtig sei es, sich die Unterstützung von Berufsorganisationen und anderen Bündnispartnern zu sichern.
Wie gefährlich der Journalist_innenjob mittlerweile selbst in „good old Europe“ geworden ist, belegt die Studie „Journalisten unter Druck“, eine vom Europarat in Auftrag gegebene Umfrage, an der 940 Journalist_innen aus 48 Ländern inklusive Weißrussland teilgenommen haben. Demnach wurde die überwiegende Zahl der Befragten in den letzten drei Jahren in irgendeiner Form bei der Berufsausübung bedroht. Am häufigsten waren psychische Gewalt (69%) und Cybermobbing (53%). Andere Formen von Gewalt: Einschüchterung durch Interessengruppen (50%), durch politische Gruppen (43%), durch die Polizei (35%), Gewaltandrohung (46%), gezielte Überwachung (39%), physische Attacken (31%). „Wer die Mächtigen angreift, setzt sich vielerorts einem Risiko aus“, resümierte Marilyn Clark von der Universität Malta, Koautorin der Studie. Viele Journalist_innen nähmen Bedrohungen aufgrund ihrer Arbeit hin, nach dem Motto: „Wer in einer Mine arbeitet, kann Probleme mit der Lunge bekommen.“ Sie appellierte an die Betroffenen, solche Attacken bei der Justiz zu denunzieren: „Viele Delinquenten gehen straffrei aus, weil die Betroffenen schweigen, um nicht noch mehr in die Schusslinie zu geraten.“
Gegen Kleingeistigkeit
Ein besonderer Höhepunkt war die Diskussion mit Solidarnosc-Gründer, Friedensnobelpreisträger und Ex-Präsident Polens Lech Walesa. Zu den ersten Forderungen, die die Solidarnosc ab 1980 aufgestellt habe, zählte neben freien Wahlen und dem Recht auf unabhängige Gewerkschaften auch die Presse- und Meinungsfreiheit, erinnerte er. Gegen den kleingeistigen Nationalismus der aktuellen Regierung forderte er „globales Denken“. Walesa kritisierte die ungerechte Spaltung der Weltgesellschaft in Arm und Reich. Die Superreichen müssten sich entscheiden: „Entweder sie teilen ihren Wohlstand mit der Gesellschaft oder sie riskieren – 100 Jahre danach – eine neue soziale Umwälzung wie die Oktoberrevolution!“
Abschließend formulierten die Kongressteilnehmer_innen eine Liste mit Forderungen. An vorderster Stelle steht der Appell zur „Freilassung aller inhaftierten Journalisten“ sowie die Forderung nach „Stopp aller politischen Prozesse gegen Journalisten“. Weitere Anregungen bzw. Handlungsempfehlungen: Förderung von Medienpluralismus, Dialog der Journalistenorganisationen mit Richtern und Staatsanwälten, Verzicht auf selektive Anzeigenvergabe durch staatliche Stellen, Bekämpfung von Fake News mit Qualitätsjournalismus, Unterstützung unabhängiger Medien in autoritären Staaten, Verteidigung von investigativem Journalismus, Training von digitaler Selbstverteidigung.
In die Abschlussdebatte des Kongresses platzte die frohe Nachricht von der Freilassung Deniz Yücels, die von den Teilnehmer_innen enthusiastisch beklatscht wurde. Für EJF-Präsident Bjerregård ein klarer Beleg dafür, „dass internationale Solidarität Wirkung zeigt“.
„Free European Media 2018“ in Gdansk: Mehr als 120 Teilnehmer diskutierten auf der Veranstaltung, zu der EJF und Europarat eingeladen hatten