Die jahrzehntelange Beobachtung des Bremer Publizisten und Rechtsanwalts Rolf Gössner durch den Verfassungsschutz war rechtswidrig. Das hat der 70-Jährige jetzt vom nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster bescheinigt bekommen. Damit hat der Geheimdienstkritiker bereits in zweiter Instanz gegen den Inlandsgeheimdienst gewonnen. Die Behörde kann allerdings noch Revision einlegen.
Als Rolf Gössner in Freiburg Jura studierte, fing alles an. Das war 1970, und er war erst 22 Jahre alt. Bis 2008, da war er 60, blieb das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ihm ständig auf den Fersen. Spitzel wurden zwar offenbar nicht auf ihn angesetzt, aber Unmengen von Daten über ihn gesammelt – insgesamt über 2.000 Seiten. Der Grund laut BfV: seine Kontakte zu „linksextremistischen bzw. linksextremistisch beeinflussten“ Medien und Organisationen. Der parteilose linke Geheimdienstexperte erfuhr davon erst 1996 durch eine eigene Anfrage beim BfV. Registriert wurden zum Beispiel Artikel und Interviews im Neuen Deutschland oder der geheimdienstkritischen Zeitschrift „Geheim“, zu deren Redaktion Gössner gehörte. Abgeheftet wurden aber auch Gastbeiträge für die Frankfurter Rundschau. Ebenfalls im Visier: seine Auftritte bei der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ oder der „Roten Hilfe“. Das BfV habe ihm unzulässigerweise eine Art „Kontaktschuld“ mit diesen Medien und Organisationen zur Last gelegt, kritisierte Gössner die fast 40-jährige Dauerüberwachung, die nahezu sein gesamtes Studien- und Berufsleben währte.
Die Datensammler hatten einiges zu tun, denn Gössner ist sehr aktiv. Er sitzt im Vorstand der Internationalen Liga für Menschenrechte, er gibt den kritischen „Grundrechte-Report“ mit heraus und gehört zur Jury für den Anti-Überwachungs-Preis „Big Brother Award“. Die Beobachtung endete auch nicht, als Gössner in Bundestags- und Landtagsausschüssen als Gutachter mitwirkte, in Polizeiakademien oder sogar beim hessischen Verfassungsschutz als Referent auftrat oder 2007 zum ehrenamtlichen stellvertretenden Mitglied des Bremer Staatsgerichtshofs gewählt wurde. Erst 2008 stoppte das BfV die Beobachtung und sperrte den Datenbestand – kurz vor der ersten mündlichen Verhandlung über eine Klage Gössners, die er 2006 beim Verwaltungsgericht Köln eingereicht hatte, also am Sitz des BfV.
Das Urteil der ersten Instanz fiel 2011 eindeutig aus: Die Überwachung sei ein „schwerwiegender Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Positionen“ und sei zudem unverhältnismäßig gewesen. Gössner habe zwar vereinzelt „klassenkämpferisch anmutende Formulierungen“ verwendet und teilweise Auffassungen wie die DKP oder ihr Umfeld vertreten, etwa Kritik am KPD-Verbot, an Berufsverboten und am Verfassungsschutz. Er verfolge aber nicht das „eigentliche Ziel“ der DKP, eine sozialistische Gesellschaftsordnung zu errichten. Außerdem falle es unter die Meinungsfreiheit, „bestimmte Positionen zu vertreten, die auch von verfassungsfeindlichen Organisationen geäußert werden“.
Das gefiel dem BfV gar nicht, und es legte Berufung ein. Nach sieben Jahre hat jetzt endlich das OVG in Münster darüber verhandelt und auch gleich ein Urteil gefällt: Die Entscheidung der ersten Instanz war korrekt, die jahrzehntelange Überwachung rechtswidrig. (Aktenzeichen: 16 A 906/11)
Die Begründung liegt noch nicht vor, aber in einer Pressemitteilung fasste das OVG die Entscheidung so zusammen: Im Beobachtungszeitraum habe es keine konkreten Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen gegeben, weder bei Gössner selbst noch bei der von ihm mitgestalteten Zeitschrift „Geheim“ oder bei dem von ihm unterstützten „Sozialdemokratischen Hochschulbund“ (SHB, später umbenannt in „Sozialistischer Hochschulbund“). Soweit er in DKP-Kreisen aktiv gewesen sei, fehle es an Anhaltspunkten dafür, dass er diese Organisationen als solche oder deren verfassungsfeindliche Ziele „nachdrücklich unterstützt“ habe. Außerdem sei die Beobachtung „angesichts der mit ihr einhergehenden Grundrechtseingriffe auch unverhältnismäßig gewesen“, so das OVG.
Damit ist der langwierige Rechtsstreit aber noch nicht unbedingt vorbei. Denn wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falles haben die Richter eine mögliche Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Rechtskräftig ist bisher nur ein Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf von 2011 gegen den NRW-Verfassungsschutz. Auch der hatte nämlich Daten über Gössner gesammelt – rechtswidrig, wie die Düsseldorfer Richter damals entschieden.
In einer persönlichen Erklärung vor dem OVG machte der Bremer Anwalt und Autor deutlich, dass er sich vom BfV als Verfassungsfeind verleumdet sieht. Die Behörde habe seine Schriften „in geradezu inquisitorischer Weise“ umgedeutet. Die „rekordverdächtige“ Dauerüberwachung sei ein „fast 40 Jahre langer Grundrechtsbruch“. Für ihn sei es „mehr als schockierend, mit welcher ideologischen Verbissenheit und Ausdauer“ er beobachtet worden sei, während sich Neonazis „fast unbehelligt entwickeln und ihre Blutspur durch die Republik ziehen konnten“. Seine angeblich diffamierende Kritik am Inlandsgeheimdienst sei von der Wirklichkeit noch übertroffen worden, etwa beim NSU-Skandal. Er fühle sich darin bestätigt, dass es sich beim Verfassungsschutz „letztlich um eine demokratieunverträgliche Institution handelt“.