Filmtipp: System Error als ökonomische Reise

Florian Opitz begibt sich auf eine filmische Suche nach Fehlern im System.
Copyright: Basis Berlin Filmproduktion

Was ist Wachstum? So lautet die Eingangsfrage. Eine Religion? Ein Virus? Oder ein Naturgesetz? Die Wachstumsgesellschaft sei unveränderbar wie die Schwerkraft, befindet der Industrielobbyist Markus Kerber. Der ist einer der Protagonisten in Florian Opitz Essayfilm „System Error“, der am 10. Mai bundesweit in die Kinos kommt. Die Frage nach dem System der kapitalistischen Warenproduktion und den Folgen unbegrenzten Wachstums auf einem begrenzten Planeten stellt Opitz in den Mittelpunkt. Seine Kronzeugen sind Karl Marx, dessen Geburtstag sich Anfang Mai zum 200. Mal jährt, und Tim Jackson, Ökonom, Wachstumskritiker, Mitglied des Club of Rome.

Jackson fungiert als der argumentative Reiseführer durch die Welt des internationalen Kapitals, aus der nahezu alle Protagonisten kommen. Stationen der Reise: Bloomberg, wo die Wirtschaftsinformationen blühen. Brasilien, wo die größten Fleischproduzenten der Welt arbeiten und wo noch vor wenigen Jahrzehnten Regenwald wuchs. Die Smart Factory bei Audi, wo nach der körperlichen jetzt auch geistige Arbeit automatisiert wird.

Der Film schaut vorbei in der Wallstreet, wo das Börsenparkett nur noch wie Staffage wirkt, weil der Wertpapierhandel über Computer in Nanosekundengeschwindigkeit abläuft. Im Sitzungsraum der Allianz werden Milliarden verwaltet, die nach Anlage suchen, derzeit gelten Einkaufszentren weltweit als besonders lukrativ. Und wir erfahren vom Airbus- Chef für China erstaunliche Zahlen: Die Zahl der Flugzeuge werde sich dort in sieben bis acht Jahren verdoppeln. Und jedes Jahr würden in China zehn bis fünfzehn Flughäfen gebaut (hierzulande wird in zehn Jahren ein einziger Flughafen nicht fertig).

Auch interessante Nebenfiguren kommen vor. Etwa der junge Donald Trump, der Manhattan zu einer Stadt der Reichen gemacht haben und nur den Himmel als Grenze anerkennen will. Oder Anthony Scaramucci, Hedgefonds-Manager und TV-Börsenmoderator, für zehn Tage auch Trumps Kommunikationschef, ein Typ wie das Großmaul Scaramuccia aus der commedia dell arte. So einen Mann kann man nicht erfinden.

Der Regisseur greift auch in die Geschichte zurück. In die 60er Jahre, als mit dem Bruttoinlandsprodukt BIP der Maßstab für Wachstum als alleinseligmachende Kennziffer eingeführt wurde. In die 80er Jahre, als Politiker wie Thatcher und Reagan die Finanzmärkte entfesselten. Er erinnert auch an den großen Crash von 2008, als Lehman Brothers zusammenbrach. Und den Flash Crash von 2010, als für 20 Minuten die computergesteuerten Finanzmärkte vollautomatisch nach unten durchsackten, bis jemand den Stecker zog.

Zwischen die einzelnen Reisestationen setzt der Regisseur Marx-Zitate, was dann immer ein wenig klingt wie: Und Marx hatte doch recht. Ebenso kontrapunktisch stellt er Bilder aus der Raumstation ISS, wo die Schwerkraft eben doch ausgesetzt ist und der globalen Blick herrscht. Die Gleichzeitigkeit ökonomischer Prozesse löst er gern in Split-Screens auf, was den Film manchmal etwas gehetzt macht. Den sparsamen Kommentar spricht Florian Opitz selbst, gern mit Fragezeichen. Am Ende beantwortet er die Frage im Filmuntertitel, wie der Kapitalismus ende, mit einer Diagnose ohne Fragezeichen: „Der Kapitalismus ist in eine neue Eskalationsstufe eingetreten. Sein Ende ist näher als wir denken.“

Florian Opitz ist zweifacher Grimme-Preisträger. Bekannt wurde er mit seinen Filmen „Speed – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, „Der große Ausverkauf“ und einem Beitrag der Reihe „Akte D“.

 

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