Wie eine südafrikanische Schülerzeitung Klischees bricht
Bis vor einem Jahr gab es in Walmer Township, in das die meisten weißen Südafrikaner nach wie vor keinen Fuß setzen würden, kein einziges Medium. Keine Zeitung, kein Radio, nicht mal einen Blog. Wie für fast alle Schwarzen-Viertel gilt: Es wird über Walmer berichtet, nicht aus Walmer. Die Themen: Morde, Überfälle, Vergewaltigungen. Eine Gruppe von elf Schülern der örtlichen High School kämpft gegen die einseitige Berichterstattung inzwischen mit einem 16-seitigen Magazin an. Walmer’s Own heißt das Heft vielsagend, Walmers Eigenes.
Die Nervosität war Lihleli Kutase deutlich anzumerken. Obwohl die zierliche 9. Klässlerin wie das Küken des Magazins wirkt, weiß sie sich normalerweise durchzusetzen. Lihleli reißt Diskussionen an sich und macht Vorschläge zur Heftentwicklung. Schüchtern ist sie nicht, zumindest in gewohnter Umgebung. Doch nun soll sie bei einem Recycling-Unternehmen anrufen. Irgendwo da draußen in Port Elizabeth, der Stadt, von der ihr Township zwar ein Teil ist, die aber doch wie eine andere Welt erscheint. In einem anonymen Büro wird da ein Geschäftsmann sitzen, den sie interviewen will. Die Sekretärin geht ran, der Chef ist nicht da. „Versuchen Sie es morgen nochmal.“
So einfach ist das allerdings nicht. Walmer’s Own hat kein Telefon. Die Schüler treffen sich jeden Mittwochnachmittag in einer kargen Pressholzbaracke, die ansonsten als Klassenraum dient. Für Internetrecherchen und Telefonate laufen die Jugendlichen nach Schulschluss die drei Kilometer zum Büro der deutsch-südafrikanischen Bildungsförderungsorganisation Masifunde im angrenzenden Mittelstandsviertel, einer ehemals Weißen vorbehaltenen Gegend. Walmer’s Own ist ein Teilprojekt von Masifunde, aber worüber sie schreiben, das entscheiden die Schüler ganz allein. Das Magazin soll der Jugend von Walmer Township eine Stimme verleihen und das Selbstvertrauen der Schüler stärken.
Sören Krüger, der bei Masifunde ein freiwilliges Jahr absolviert und hinter den Kulissen die Organisation des Hefts stemmt, erklärt die Bedeutung: „Erst einmal ist die Förderung von Talenten an Township-Schulen völlig defizitär und außerschulische Aktivitäten werden fast überhaupt nicht angeboten.“ Durch das Schulmagazin üben die Schüler, mit der englischen Sprache sicher umzugehen, ohne die sich später nur schwer ein Job finden lässt. Sie lernen, sich kritisch mit ihrer Umgebung auseinanderzusetzen, andere Meinungen einzuholen und Themen tiefgehend zu analysieren. Außerdem, sagt Krüger, steige durch die Arbeit am Magazin das Selbstwertgefühl der Schüler. „Viele haben nicht viel, von dem sie sagen können ‚Das bin ich, das macht mich aus’, jetzt sind sie Schülerzeitungs-Journalisten.“
„Wie beharrlich und hartnäckig Lihleli bei ihrer Recherche war, zeigt, wie interessiert die Schüler sind“, sagt Balisa Ntloko, die die allwöchentlichen Redaktionstreffen leitet. Lihleli hatte sich gefragt, was mit den leeren Bierflaschen passiert, die sich containerweise vor den unzähligen Township-Kneipen auftürmen. Sie hat die langen Fußwege ins Büro nicht gescheut, E-Mails geschrieben und immer wieder nachgehakt. Letztendlich hat die Recycling-Firma sie zu einem Interview mit dem Geschäftsführer und einem Rundgang durch den Betrieb eingeladen. Lihlelis Reportage ist Mitte April erschienen. „Das war schon ein Erlebnis“, blickt sie freudestrahlend zurück. „Schreiben“, sagt Lihleli dann eigentlich viel zu pathetisch für eine 14-Jährige, „ist für mich Freiheit und ein Weg, mich auszudrücken.“
Auch für den 18-jährigen Amlindile Mapitiza ist das Schreiben für Walmer’s Own „eine Ehre, etwas auf das ich einmal zurückblicken werde.“ Der engagierte Kopf der Redaktionsgruppe schreibt gerade eine Serie über Musik-Produzenten im Township, um zu zeigen, dass „hinter der Township-Fassade und den Stereotypen jede Menge Talente stecken“. Hier sieht auch Krüger eine große Stärke des Magazins. „Es geht nicht nur um Morde und Vergewaltigungen, wie in den Massenmedien, sondern auch darum, dass sich was bewegt.“ Das Konzept geht auf, die 150er Auflage ist regelmäßig in Windeseile verkauft. Sobald die Jugendlichen weitere Anzeigen eingeworben haben, wollen sie ihr selbstfinanziertes Magazin, das mit 3 Rand (30 Eurocent) absichtlich unter den Druckkosten verkauft wird, um es allen zugänglich zu machen, noch häufiger verkaufen.
Anleiterin Ntloko gefällt die Eigenständigkeit des Projekts. „Walmer’s Own ist eine Initiative von Leuten aus dem Township für das Township – und etwas, das die Jugendlichen für sich selbst tun.“ Die 19-jährige studiert an der Nelson Mandela Metropolitan University Medien-, Kommunikations- und Kulturwissenschaft und hat erst vor anderthalb Jahren selbst ihren Abschluss an einer Township-Schule gemacht. Wegen ihrer guten Noten und ihres sozialen Engagements hat sie ein Stipendium der größten lokalen Wochenendzeitung bekommen. Nun gibt sie ihr Wissen weiter. Aber das Heft machen die Schüler selbst. „Das sind ihre Geschichten, aus ihrem Township – Geschichten, mit denen sie tatsächlich verbunden sind.“ Der Mix wirkt von außen teilweise brutal. Es geht um die Talentshow in der Schulaula oder Fußballvereine im Township, genauso aber auch um Teenager-Schwangerschaften oder Alkoholmissbrauch. Krüger fragt daher zu Recht: „Wer sollte diesen Themen besser auf den Grund gehen als die Township-Jugend selbst?“