Am 30. März im nächsten Jahr wird die europäische Wirtschaftswelt ein andere sein, soviel steht fest. Und egal wie der Brexit-Deal letztlich aussieht, es wird ein Riesendeal sein. Auch für die Film- und Medienbranche steht möglicherweise ein gravierender Umbruch bevor, wenn einer der weltweit wichtigsten Medienmärkte aussteigt. Darüber war sich aktuell eine internationale Expertenrunde auf der der EU-Konferenz „Brexit – impact, challenges and chances for the European audiovisual sector“ einig, die auf Einladung der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle in Brüssel stattfand.
„Der Marktanteil in der Europäischen Union an Film- und Medieninhalten von Großbritannien beträgt 21 Prozent, 16 Prozent aller Kinofilme entstehen dort, und der Markt ist die Nummer Eins, wenn es um Highend-Serien geht“, betonte dort Susanne Nikoltchev vom der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle die Bedeutung Englands. Im Frühjahr werden sämtliche bisherige Regeln für den gesamten audiovisuellen Austausch erst einmal aufgehoben sein. Denn ob geordnet oder ungeordnet: Nach dem Rückzug des Vereinigten Königreichs aus dem europäischen Staatenverbund können allein schon vom Aufwand her bis April noch keine Normen für die neue Situation ausgearbeitet sein.
Vor allem aufwändige Koproduktionen, an denen bisher häufig EU-Staaten wie Deutschland, Frankreich oder Spanien mit England zusammen gewirkt haben, sind von besonderer Bedeutung. Bis zu 40 große Projekte mit britischer Mitwirkung wurden bislang pro Jahr realisiert. Dafür haben die Engländer aus Brüssel Fördergelder in Milliardenhöhe erhalten. Wie es hier weitergehen soll, ist noch komplett unklar. Ähnlich sieht es bei den Fachkräften aus: Ein Drittel aller Animationsspezialist_innen zum Beispiel, die in Großbritannien arbeiten, kommt aus dem Ausland.
Ein weiteres großes Fragezeichen steht hinter den Copyrightrechten für Kabel- und Satellitenübertragungen. Möglicherweise kommt es auch zum Exodus von in England ansässigen Unternehmen, damit sie ihre Sendeerlaubnis für EU-Staaten behalten. Denn viele Sender auf dem Inselstaat, darunter SKY, zielen auf ein größeres europäisches Publikum. Gerade hat etwa Turner Broadcasting System Deutschland bei der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien sechs Lizenzen für internationale TV-Sender beantragt. Bei Discovery befindet man sich noch in Wartestellung wie Geschäftsführungsmitglied Ross Biggam in der belgischen Hauptstadt bestätigte: „Wir haben noch keine Entscheidung getroffen, was unsere internationale Aufstellung angeht. Wir schauen uns erstmal an, was passiert.“ Nicht nur der englische Manager ist verunsichert darüber, wie bei englischen Bezahlangeboten für TV oder Internet abgerechnet werden soll. Ed Hall vom Beratungsunternehmen Expert Media Partners warnte jedenfalls vor zu viel Gelassenheit: „Es kann alles viel dramatischer werden, als wir denken. Es könnte sein, dass am 31. März zum Beispiel englische Sender in Irland einfach abgeschaltet werden.“
Zwar gibt es bereits einen regen Austausch zwischen Behörden und Institutionen, um die Folgen des Brexits für die europäische und englische Film- und Medienbranche abzumildern und Sondervereinbarungen zu treffen, aber das könnte andere Länder wie Kanada oder die Türkei, die ebenfalls Beziehungen zur EU pflegen, verärgern.
Während ein Großteil der deutschen Wirtschaft mit Sorge auf die Folgen des Brexits schaut, hält sich die hiesige Medienbranche mit Äußerungen noch zurück. Dabei hat sie enge und zahlreiche Verbindungen zum Vereinigten Königreich. Der Konzern SKY zum Beispiel hat sein Hauptquartier jenseits des Kanals. Die deutschsprachigen Disney-Ableger wiederum unterstehen zwar letztlich der Zentrale in den USA, aber die nächste Kontrollinstanz sitzt ebenfalls in der britischen Hauptstadt. Auch einige der größten Fernsehproduktionsfirmen in Deutschland haben ihr Mutterhaus in London. Die UFA etwa ist ein Tochterunternehmen der weltweit agierenden englischen Fremantle, die wiederum zum Bertelsmann-Konzern gehört. Und die ITV Studios Germany sind ein Ableger des englischen Mediengiganten ITV.
Der Kölner Produzent Wolfgang Link jedenfalls prognostiziert, dass der britische Markt auch zukünftig neben Deutschland einer der wichtigsten Treiber der TV-Industrie bleiben wird: „Beim Formathandel erwarte ich kaum negative Effekte – da mit Rechten und nicht mit Waren gedealt wird. Die TV-Industrie wird also nicht für lange Autoschlangen an den Grenzen sorgen. Nichts ist physisch, die Bedingungen sind nicht von den staatlichen Gesetzgebungen abhängig.“
Grund zur Besorgnis gibt es für die Produzenten trotzdem. Großbritannien ist generell ein wichtiger Exportmarkt für Deutschland. Die Briten erwarben 2017 Waren aus Deutschland im Wert von rund 85 Milliarden Euro. Ein chaotischer Austritt könnte die deutschen Firmen laut Studien mit neun Milliarden Euro teuer zu stehen kommen. Besonders die sowieso schon gebeutelte Autoindustrie wäre betroffen. Dieser Effekt würde sich mit Sicherheit auf die Werbeausgaben auswirken, die die Industrie bei den Fernsehsendern investiert und die sowieso seit Jahren kontinuierlich sinken. Und Kürzungen hier würden wiederum zu Kürzungen bei den Ausgaben für Produktionen führen. Genau diesen Mechanismus erlebte die TV-Branche bereits 2008, zu Beginn der Bankenkrise.