Mit der Veröffentlichung seiner Video-Ausschnitte bot Bild.de dem Täter von Christchurch genau die öffentliche Bühne, die er haben wollte. Die Redaktion verstieß damit gegen Richtlinie 11.2 des Pressekodex. Der Deutsche Presserat rügte das. Die Beschwerdeausschüsse sanktionierten auf ihren Sitzungen vom 4. bis 6. Juni auch Schleichwerbung und Verletzungen des Persönlichkeitsrechts.
Bild.de erhielt die Rüge für die Veröffentlichung von Video-Sequenzen des Christchurch-Attentäters, der im März 2019 die Tötung von über 50 Menschen live ins Internet übertragen hatte. Zwar habe die Redaktion unter der Schlagzeile „17 Minuten Mordfeldzug“ nicht die Taten selbst, wohl aber den mutmaßlichen Mörder auf dem Weg zu den Moscheen und beim Laden seiner Waffen gezeigt. Diese Bilder reichten jedoch, um Assoziationen zu erzeugen, die weit über das berechtigte öffentliche Interesse an dem Geschehen hinausgingen, so der Deutsche Presserat. Presse dürfe sich nicht zum Werkzeug von Verbrechern machen. Auch die detaillierte, dramatisierende Schilderung und drastische Bebilderung im Begleittext zum Video bedienten nach Ansicht des Beschwerdeausschusses überwiegend Sensationsinteressen.
Opferschutz und Prangerwirkung
Auch wegen einer Verletzung des Persönlichkeitsschutzes nach Ziffer 8 des Pressekodex wurde Bild.de gerügt. Die Redaktion hatte unter der Überschrift „Anwältin: ‚Opfer waren zur falschen Zeit am falschen Ort‘“ über einen Verkehrsunfall berichtet, bei dem ein junges Paar ums Leben kam. Veröffentlicht wurden in diesem Zusammenhang Vorname, abgekürzter Nachname und Alter sowie ein Foto des männlichen Opfers. Ein öffentliches Interesse an dieser identifizierenden Darstellung habe nicht bestanden. Auch hätten die Hinterbliebenen einer Veröffentlichung der Angaben nicht zugestimmt, sodass ein grober Verstoß vorgelegen habe.
Wegen einer Verletzung der journalistischen Sorgfalt nach Ziffer 2 des Pressekodex und einer unzulässigen Vorverurteilung nach Ziffer 13, Richtlinie 13.1 wurde die Nordwest-Zeitung gerügt. Die Redaktion hatte unter der Überschrift „Klinikum-Leitung unbestechlich?“ eine anonyme Strafanzeige gegen eine Klinik-Leitung zum Anlass genommen, unter voller Namensnennung und mit Fotos der Angezeigten umfangreich über die erhobenen Vorwürfe zu berichten. Die Redaktion gab den Betroffenen keine ausreichende Gelegenheit, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Die Staatsanwaltschaft stellte schon wenige Tage später das Ermittlungsverfahren mangels Anfangsverdachts ein. Die Betroffenen seien jedoch öffentlich an den Pranger gestellt worden. Dies stelle eine massive Verletzung presseethischer Grundsätze dar, urteilte der Presserat.
Ebenfalls wegen einer Verletzung des Persönlichkeitsschutzes nach Ziffer 8 Pressekodex wurde die Ostthüringer Zeitung gerügt. Die Redaktion hatte unter der Überschrift „Eile eines Feuerwehrmannes wird bestraft‘“ über ein Bußgeldverfahren gegen einen Feuerwehrmann berichtet, der mit seinem Privatwagen auf dem Weg zum Einsatz geblitzt wurde. In dem Artikel fand sich auch ein Ausschnitt aus dem Vollstreckungsbescheid mit Namen und Daten der zuständigen Behördenmitarbeiterin. Ein öffentliches Interesse an dieser identifizierenden Darstellung habe nicht bestanden.
Schleichwerbung und fehlende Trennung zu Anzeigen
Gerügt wurde auch ein Verstoß von Bravo Sport gegen die in Ziffer 7 des Pressekodex, die die klare Trennung von Redaktion und Werbung fordert. Die Redaktion hatte über einen neuen Fußballschuh berichtet und ihn mit werblichen Formulierungen und PR-Fotos des Herstellers u.a. als „Legenden-Boot“ bezeichnet, der mit „geiler Passform“ für „Zauberfüße“ gemacht sei. Der Beitrag enthielt zudem PR-Fotos des Herstellers. Diese Gesamtdarstellung überschritt nach Urteil des Presserates deutlich die Grenze zwischen einer Berichterstattung von öffentlichem Interesse und Schleichwerbung nach Richtlinie 7.2 des Pressekodex.
Gerügt wurde auch Brigitte wegen der Veröffentlichung eines Interviews mit einer bekannten Fernsehmoderatorin, die ein Podium als Markenbotschafterin für ein – konkret benanntes – Schönheitspräparat erhielt. In der Form der Produktplatzierung in einer redaktionellen Veröffentlichung sah der Presserat deutliche Schleichwerbung.
Als eindeutigen Fall von Schleichwerbung gemäß Richtlinie 7.2 des Pressekodex bewertete der Beschwerdeausschuss auch den in der Online-Ausgabe des Merkur veröffentlichten Beitrag „Bei McDonald’s gibt’s heute zwei Klassiker mit Softdrink und Pommes – zum halben Preis“ über eine Oster-Aktion der Fast-Food-Kette.
Dafür, dass mehrere Ausgaben der von Rheinmain.media (RMM) verantworteten Zeitungsbeilage „Wochenende!“ werbliche Texte enthielten, die nicht als solche gekennzeichnet waren, erteilte der Presserat eine Rüge gemäß der in Richtlinie 7.1 geforderten Trennung von redaktionellem Text und Anzeigen.
Insgesamt wurden bei den jüngsten Beschwerdeausschusssitzungen acht öffentliche Rügen erteilt, 25 Missbilligungen und 32 Hinweise ausgesprochen. Weitere 16 Beschwerden sah der Presserat als begründet an, verzichtete jedoch auf Maßnahmen. 47 Beschwerden wurden als unbegründet eingestuft.