Gespräch mit Christoph Schmitz, designierter Leiter des künftigen Fachbereichs A in ver.di
Die Delegierten des Fachbereichs Medien, Kunst und Industrie haben dich Anfang Mai als Leiter des künftigen Fachbereichs A nominiert. Sie folgten damit den Entscheidungen der drei Fachbereiche Finanzdienstleistungen, Ver- und Entsorgung sowie Tele?kommunikation, Informationstechnologie und Datenverarbeitung. Glückwunsch dazu! Auf dem Gewerkschaftstag im September wirst du dann gewählt – wenn der Kongress dem Votum der vier, die im A zusammengehen wollen, folgt.
Es sind augenscheinlich sehr unterschiedliche Branchen, die hier künftig in ver.di zusammengeführt werden sollen. Bei genauerer Betrachtung gibt es Gemeinsames. Was eint sie?
Wir erleben derzeit, dass Branchengrenzen verschwimmen und Geschäftsfelder übergreifend ausgeweitet werden. Zum Beispiel wird die Deutsche Telekom mit Magenta TV zum Fernsehanbieter und damit zur Konkurrenz für öffentlich-rechtliche und private Medienangebote. Aber sie kooperiert bei Fernsehserien auch mit öffentlich-rechtlichen Sendern, finanziert und produziert sie gemeinsam.
Wenn Energiekonzerne heute Stromleitungen verlegen, dann verlegen sie durchweg auch Glasfaserkabel. Sie werden zu Netzgesellschaften und zu eigenständigen Telekommunikationsanbietern. Damit sind sie Konkurrenten von Telekom, Vodafone oder Telefonica. Darüber hinaus haben wir zusätzliche neue Konkurrenten – Plattformunternehmen, die keine Verantwortung übernehmen für die eigenen Beschäftigten und für die Produkte oder die Dienstleistungen, die sie vertreiben. Ihnen ist völlig egal, ob sie Handy-, Gas- oder Stromtarife, Kredite oder Versicherungen verkaufen. Und wir erleben zunehmend Überschneidungen: Manche dieser Plattformen sind eben auch bei Medienunternehmen angesiedelt. Springer zum Beispiel macht 70 Prozent seiner Gewinne über seine Plattformangebote. All das zeigt, es lohnt sich, diese Entwicklungen der Unternehmen und die Veränderungen von Arbeitsformen gemeinsam anzugehen.
Die Branchen des neuen Fachbereiches A „sind in besonderem Maße von technologischen Umbrüchen und der Digitalisierung beeinflusst“, stellt das Positionspapier des ver.di-Bundesvorstands zu den Strukturveränderungen heraus. Wie siehst du das, wo sind die Knackpunkte?
Es ist in der Tat so, dass alle vier unter ganz erheblichem Digitalisierungsdruck stehen, wobei sie unterschiedliche Erfahrungen damit haben und auch einen unterschiedlichen Stand. Der Medienbereich hat seit mehr als vier Jahrzehnten mit der Digitalisierung zu tun. Das beschleunigt sich jetzt noch einmal, vor allem zu Lasten von Print, aber auch mit der Herausforderung, die Qualität für Kund*innen bezahlbar zu machen, was sich auch in Entgelten und besseren Arbeitsbedingungen abbilden kann.
Der Telekommunikationsbereich hat mehrere Stufen von Digitalisierung hinter sich. Er ist später eingestiegen, aber relativ weit in der Gestaltung von neuen Arbeitsformen einschließlich der Tarifbedingungen. Einen besonderen Schub, in einem atem-beraubenden Tempo, erlebt der Finanzbereich. Hier löst die Digitalisierung derzeit vor allem einen großen Druck auf Arbeitsplätze und die Veränderung von Tätigkeiten aus. In der Ver- und Entsorgung gibt es unterschiedliche Effekte. Energieunternehmen nutzen zum Teil die Möglichkeiten der Digitalisierung, um neue Geschäftsfelder zu erschließen. Aber natürlich werden beim hochkomplexen Energiesystem, aber auch für Abfallwirtschaftsströme oder Analysemethoden in der Wasserwirtschaft zunehmend digitale Instrumente genutzt, um Qualität zu verbessern, Abläufe zu optimieren. Insofern ist das ein übergreifendes Thema, das in unterschiedlicher Schärfe auf alle Branchen in den vier Fachbereichen durchschlägt. Man muss also nicht jedes Mal neu anfangen, um Probleme zu lösen, sondern wir können voneinander lernen.
Was heißt das für die Arbeitsverhältnisse?
Die Digitalisierung wirkt sich auf die Art von Arbeitsverhältnissen aus. Mobiles Arbeiten nimmt zu, technische und Montagedienste werden weniger, Arbeitsplätze fallen weg, neue Anforderungen entstehen. Zunehmend wird Homeoffice angeboten und wir erleben einen verstärkten Zugriff von Unternehmen auf selbstständige Leistungen. Auch da lohnt es sich, gemeinsam drauf zu schauen. Der Fachbereich Medien, Kunst und Industrie hat lange Erfahrungen mit dem Organisieren von Selbstständigen, bei freien Journalist*innen, Künstler*innen und Schriftsteller*innen. Wie kann ich auch für sie tarifvertragliche Regelungen schaffen, beispielsweise über einen 12a-Tarifvertrag bei Redakteur*innen? Eine gemeinsame Herausforderung ist: Wie können wir und die Betriebs- und Personalräte die Kolleg*innen, die nicht jeden Tag im Betrieb sind, ansprechen und in gewerkschaftliche Aktivitäten einbeziehen? Wir müssen zudem dafür sorgen, dass die Beschäftigten in den unterschiedlichen Arbeitsformen – Festanstellung, Leiharbeit, Werkverträge und Selbstständigkeit – von den Arbeitgebern nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Haben wir heute nicht auch in unseren Bereichen immer mehr selbstständige Arbeit?
Nicht in den klassischen Unternehmen. Wir erleben das vor allem bei den IT-Dienstleistungen, jedoch nicht unbedingt allein bei den IT-Firmen. Alle großen Konzerne haben derzeit IT-Abteilungen und greifen je nach Größe auch auf Selbstständige zurück. Da haben wir im Prinzip eine Zweiklassengesellschaft. Auf der einen Seite hochqualifizierte spezialisierte IT-Kräfte, die im Zweifel nicht auf eine Gewerkschaft warten. Wenn sie mit den Bedingungen nicht zufrieden sind, suchen sie sich einen anderen Job. Auf der anderen Seite gibt es zunehmend eine Art IT-Prekariat, wo Aufträge für kleinere Programmierungen, Datenanalysen, Projektaufträge quasi versteigert werden. Selbst IBM hat schon damit experimentiert. Man kann Angebote einbringen, nur die drei besten werden bezahlt, nur eins davon wird realisiert. Ähnlich wie in der Medienbranche bei Themenangeboten. Ob ich den Zuschlag bekomme, hängt vom Auftraggeber und natürlich von der Konkurrenzsituation ab. Letztlich kann ich den Arbeitsaufwand nur schwer kalkulieren, um am Ende ein entsprechendes Entgelt oder Honorar zu bekommen.
Und die Tarifpolitik – klar prinzipiell dieselben gewerkschaftlichen Ziele! Und doch sind sicher aktuell die Nichtunterzeichung des Tarifvertrages für Redakteur*innen an Tageszeitungen nach einer langen Auseinandersetzung, die laufende Verhandlungsrunde für die Beschäftigten des privaten und öffentlichen Bankgewerbes, die Kündigungen bei IBM unter Missachtung tarifvertraglicher Zusagen oder die erfolgreichen Tarif-Streiks beim Energieerzeuger Uniper ganz unterschiedliche Baustellen?
Bei allen Unterschieden in den Inhalten der Tarif-politik gab es schon bei der ver.di-Gründung die Erwartung, dass Drucker*innen oder Müllwerker*innen gemeinsam mit Verkäufer*innen streiken, Stärke zeigen. Und damit diejenigen, die vermeintlich schwächer ihren Arbeitgebern gegenüberstehen, auch dieses Gefühl von Stärke erfahren und spüren, dass sie nicht allein sind. Das müssen wir organisieren. Das ist das, was Gewerkschaft ausmacht. Aber es wird nicht immer einfach sein und erfordert manchmal vielleicht auch Absprachen, etwa wie man Tariflaufzeiten miteinander synchronisiert, so dass man bei Tarifkämpfen auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen gemeinsam auftreten kann. Spezifische Tariffragen müssen in den Fachgruppen gelöst werden. Aber bestimmte Fragen zur Gestaltung der Digitalisierung, zu Qualifizierung oder Arbeitszeit lassen sich auch übergreifend diskutieren.
Damit liegt die Verantwortung auch für die Mitgliedergewinnung, die ja vorrangig in Tarifrunden fruchtet, auch künftig weiter in den Fachgruppen?
Ja natürlich, aber Mitgliedergewinnung ist eben nicht nur eine Frage von Tarifkampf. Für viele Beschäftigte ist Gewerkschaft vor allem in Tarifauseinandersetzungen oder im Konflikt erlebbar. Das ist richtig, das bleibt auch der Kern. Dabei müssen wir noch deutlicher machen, dass gute Tarifergebnisse immer von der Durchsetzungsfähigkeit und damit von der Zahl der Mitglieder und somit der Organisationsmacht abhängen. Aber das wäre mir zu wenig. Es muss uns auch gelingen, die Vorteile von Gewerkschaft außerhalb von Arbeitskämpfen erlebbar zu machen. Das fängt an bei einer systematischen Organisation von Auszubildenden. Da gibt es ein gutes Projekt im Fachbereich Ver- und Entsorgung mit bundesweiter Koordination, verantwortlichen Ansprechpartner*innen in allen Landesbezirken, der Auswahl von Schwerpunktbetrieben und mit ehrenamtlichen Kümmerern, die vor Ort Azubis ansprechen. Das war sehr erfolgreich. Der Plan 2018 war, bis zum Jahresende 4.800 Azubis zu organisieren – diese Zahl wurde übertroffen!
Und wir müssen in der Kommunikation besser werden. Der Fachbereich Finanzdienstleistungen gibt beispielsweise regelmäßige Mitgliederinfos raus, die sich nicht nur um Betriebsratswahlen und Tarifausein-andersetzungen drehen. Da werden Rechtsveränderungen und Regulierungsthemen zusammengefasst und zu entsprechenden Veröffentlichungen verlinkt. Die Mitglieder, die sich nicht jeden Tag bei uns engagieren, müssen mindestens einmal im Quartal angesprochen werden. Sie sollen das Gefühl haben, meine Gewerkschaft ist auch da, wenn keine Tarifrunde ist. Hier gibt es gute Erfahrungen beim Newsletter junge dju oder dem Mitgliederbrief an Medienschaffende, wo Kolleg*innen informiert werden, was in ihrer -Gewerkschaft, in ihrer Branche, in ihrem Berufsfeld passiert. Das kann auf lange Sicht der Mitgliederbindung nützen und bietet einen Mehrwert, um Leute anzusprechen. Da sind wir noch steigerungs-fähig.
Apropos Mitglieder: Die Jugend ist gefragt. Auf der Bundesjugendkonferenz des FB 8 hast du die jungen Leute aufgefordert, sich in die kollektive Betriebsarbeit einzubringen und „dir auch auf die Füße zu treten“, wenn sie Neues austesten wollen. Müssen da nicht auch alle Fachgruppen an einem Strang ziehen?
Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe! Ich meine das sehr ernst, dass sie mir auf die Füße treten sollen, aber nicht nur mir, sondern auch den Kolleg*innen in den ver.di-Landesbezirken und Bezirken und ihren Betriebs- und Personalräten. Uns fehlt in der Mitgliedschaft eine ganze Generation und viele erfahrene Kolleg*innen werden in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen. Gewerkschaft lebt jedoch von Menschen, die mitmachen. Wenn wir es jetzt nicht schaffen, Azubis und junge Beschäftige für die Gewerkschaft zu gewinnen, sie zu begeistern zum Mitmachen, auch in den Gremien, dann werden wir bald handlungsunfähig sein. Dazu müssen junge Kolleg*innen gezielt und frühzeitig einbezogen werden, in den Interessenvertretungen an Aufgaben herangeführt werden. Das heißt dann vielleicht auch mal, dass jemand seinen Platz frei räumt auf den Listen der Betriebsräte, damit jüngere Leute mitarbeiten können.
Und wir müssen die Interessen, die nicht immer die der Älteren sind, anders aufgreifen. Wir haben in der Vergangenheit oft Besitzstände verteidigt und Verschlechterungen für Neueingestellte zugelassen. Das war nicht immer falsch, weil die Mehrheit der Mitglieder davon profitiert hat. Aber jetzt geht es darum, gute Arbeits- und Entlohnungsbedingungen für die Jüngeren zu schaffen. Das lässt sich mit Beratungsangeboten ergänzen, durchaus auch für die Karriere. Wer aus der Ausbildung in den Job kommt, möchte eine Perspektive haben. Dabei ist es wichtig, beruflichen Erfolg, gute Arbeits- und Entlohnungsbedingungen auf der einen Seite – Familiengründung, ehrenamtliches Engagement, Zeit für Hobbys auf der anderen, zusammen zu denken. Dafür haben wir die Kompetenz und das Handwerkzeug. Wenn wir es nicht anbieten, wer dann?
Weichen für den künftigen Fachbereich A gestellt
Die Bundeskonferenz des Fachbereiches Medien, Kunst und Industrie wählte einen neuen Fachbereichsvorstand und einen Gründungsvorstand. Letzterer wird in den nächsten vier Jahren gemeinsam mit Vertretern aus den anderen drei Ressorts unter Führung von Christoph Schmitz – nach seiner Wahl – die Strukturen und die inhaltlichen Schwerpunkte für den neuen Fachbereich A schaffen.
Die Delegierten verabschiedeten sich von ihrem bisherigen Fachbereichsleiter Frank Werneke, der auf dem Gewerkschaftskongress im September in Leipzig für den Vorsitz von ver.di kandidiert. Bis dahin ist der stellvertretende ver.di-Vorsitzende natürlich noch „Chef“ von Medien, Kunst und Industrie.
Die Mitglieder des Bundesfachbereichsvorstandes Medien, Kunst und Industrie (v.l.n.r. je Reihe): Anja Arp, Karin Fischer, Teresa Velten, Brigitte Praetorius; Rainer Lange, Alfred Roth, Ingrid Kröning, Hendrik de Boer; Bruno Zöllner, Lena Falkenhagen, Jan Schulze-Husmann; Matthias Holz; Peter Freitag, Andrea Eisfelder; Gabor Scheinpflug, Matthias Träger; Ralf-Dieter Wolfahrt, Jens Ehrlinger, Bernd Kittendorf.
Konferenzbericht auf M Online:
mmm.verdi.de/gewerkschaft/kaempferisch-und-verlaesslich-58389